Premiere "Endlich Kokain" II: Lottmanns Erläuterungen

Was passiert, wenn ein Rezensent sich plötzlich neben dem Autor der Vorlage wiederfindet – und der so gerne mal eine Rezension schriebe.

Noch schüchtern und tapsig: Hauptfigur Stephan Braum bei der Premiere von "Endlich Kokain". Bild: dpa

BREMEN taz | Neben dem Autor zu sitzen, diese Gunst hatte sich die Pressestelle des Bremer Theaters ganz spontan für die solo erschienene taz einfallen lassen. Der verehrte und mit Hemd sowie Pullunder adrett bekleidete Joachim Lottmann, dessen jüngster Roman //:„Endlich Kokain“, vom Dramaturgen Tarun Kade für die Bühne zurechtgemacht, gespielt wird, wirkt fast kindlich aufgeregt.

Er möchte unbedingt eine Theaterkritik schreiben und sie in der taz unterbringen: Ob das möglich sei? Ja, klar. Er sei ja schließlich selbst Lottmann, gibt er zu verstehen – als würde ihn nicht jeder erkennen –, also selbst der Autor des Romans … das könne komisch wirken, unanständig. Wie Selbstlob. Ja, Lottmann ist in Wirklichkeit Moralist.

Also wird verabredet, den Text, der ihm ein Anliegen ist, unter einem derart bescheuerten Pseudonym zu veröffentlichen, dass alle denken, das sei ein Witz des taz.provinz-Redakteurs, um so zu tun, als sei er Lottmann, der so tut, als schreibe er unter falschem Namen eine völlig ungebührliche Kritik: So ein richtig stumpfes Pseudonym, wie es Loachim Jottmann wäre, oder Stephan Braum, also wie die Hauptfigur des Romans, oder auch – Jolandi Stützer.

Verbotenes Phone

So macht sich Lottmann alias Stützer ans Werk, macht Notizen, bringt sogar, verbotenerweise, um das Eingangsbild zu knipsen, eine Spiegelwand, die dem Publikum anstelle eines Vorhangs vorgehalten wird, sein iPhone in Anschlag; er filmt und er erläutert, dass nämlich der Schauspieler Matthieu Svetchine Stephan Braum sei, also die Hauptfigur, und später, dass das Hamburger Post-Riot-Grrl-Duo Zucker, gerade „Lucy in the Sky with Diamonds“ covert.

Die restliche Musik ist origineller und lohnt allein den Gang ins Theater: Zucker lieben entrückt-dissonanten zweistimmigen Gesang. Das lässt die einen schweben, die anderen wüten. So geht gute Musik.

Jenseits davon ist der Abend ein ausgiebiges, ständig accelerierendes Solo für den großartigen Svetchine, bleibt jede Interaktion sprachschwallende Behauptung: Braum nimmt Koks und dadurch ab – das ist, was passiert.

Dabei spricht Svetchine von Kunst, Paris und von Sex, und legt in diese in redseligem Gebrauchsdeutsch gefassten Erfahrensbehauptungen so viel Fieber und Emphase, dass er tatsächlich über die Ödnis dieser Prosa triumphiert; auch weil Pedro Martins Bejas Regie durch klug-effektvollen Licht- und Videoeinsatz ein beeindruckendes Panorama eines sich auflösenden Bewusstseins entwirft.

Nach einer Stunde – es dauert mindestens fünf – möchte man die wachsende Aufgeregtheit nicht länger teilen müssen. Letztlich funktioniert das Ganze als eher moralisierendes Anti-Drogen-Stück: So langweilig wirst du durch Kokain, mein Kind!

Müde verebbt der freundliche Applaus, gerade noch schafft es Lottmann für eine Verbeugung auf die Bühne, vergisst Sakko und Block auf dem Sitz. Beides wird dem verlegen lächelnden Intendanten in die Hand gedrückt, der nie die Premierenfeier schwänzt.

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