Pro und Contra Studiengebühren: Brauchen wir Studiengebühren?

Studiengebühren sind dringend notwendig – der Gerechtigkeit wegen. Studiengebühren gehören dringend abgeschafft – der Gerechtigkeit wegen. Ein Pro und Contra.

Bildung für alle: Aber was soll sie kosten? Bild: suze / photocase.com

JA!

In Nordrhein-Westfalen wird am Sonntag gewählt. Über eine der wichtigsten Gerechtigkeitsfragen aber wird es keine Abstimmung geben: Studiengebühren. Selbst die CDU hat die Campusmaut vorsorglich aus ihrem Programm genommen.

Das bedeutet: Die Gebühren für den privaten Karriereturbo Hochschulen bleiben abgeschafft. Anders gesagt: In NRW darf eine kulturelle und soziale Oberschicht ihre Kinder ab sofort wieder mit dem profitträchtigen Privileg eines Studiums beglücken – ohne dafür zu bezahlen. Das ist, man kann es nicht anders sagen, ein Affront gegen alle Nichtabiturienten, vor allem gegen Haupt- und Sonderschüler. Denn sie werden das Universitätsprivileg nicht in Anspruch nehmen. Es ist ihnen juristisch durch ihren Bildungsmalus verwehrt. Sie müssen also mit ihren Steuern jene Studienplätze finanzieren, die sie und ihre Kinder so gut wie nie einnehmen werden.

Für einen Staat, der qua Verfassung verspricht, die Gesellschaft gerechter zu machen, ist das eine schwere Hypothek. An den Hochschulen wird das zutiefst ungerechte Schulsystem konsequent weitergeführt. Der Staat benachteiligt die Kinder aus kulturell armen Familien – und er bevorzugt die Kinder der – überspitzt gesagt – Schönen und Reichen.

2007 führte Baden-Württemberg unter Schwarz-Gelb allgemeine Studiengebühren für alle Studierenden (500 Euro pro Semester) ein. Ab Sommersemester 2012 werden sie durch Grün-Rot wieder abgeschafft.

Seit 2007 gibt es in Bayern allgemeine Studiengebühren von bis zu 500 Euro pro Semester.

Das Saarland führte 2007 allgemeine Studiengebühren von 300 bis 500 Euro pro Semester ein, 2010 wurden sie wieder abgeschafft.

In Hessen führte die CDU 2007 Studiengebühren ein: 500 Euro pro Semester für das Erststudium, bei einem Zweitstudium bis zu 1.500 Euro. Bereits 2008 wurde die Regelung wieder abgeschafft.

Hamburger Studenten mussten ab 2007 dank CDU 375 Euro pro Semester zahlen, ab 1. Oktober 2012 sollen sie laut SPD-geführtem Senat wieder abgeschafft werden.

Allgemeine Studiengebühren von 500 Euro pro Semester gibt es seit 2006 im von Schwarz-Gelb geführten Niedersachsen. (ew)

Das ist eine unbequeme Wahrheit. Die in Deutschland nicht ohne Weiteres angenommen wird. Studien seriöser Institute wie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) haben kürzlich gezeigt, dass von einem Bezahlstudium keine realen Abschreckungseffekte ausgehen. Im Gegenteil, diejenigen Teile der Unterschicht, die das Abitur schaffen, gehen relativ gezielt dorthin, wo das Studium kostet. Sie machen eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf. Sie wüssten, dass es sich lohnt, in Bildung zu investieren, schreiben WZB-Autoren.

Als die sehr unbequemen Erkenntnisse des Instituts im Bundestag diskutiert wurden, durfte man staunen. Die Antigebührenlobbyisten von links bis grün drehorgelten einfach ihr dümmliches Argument weiter, Gebühren seien ungerecht – gerade so, als hätte es die WZB-Studie nie gegeben. In der Studie steht, Gebühren verriegeln die Unis für Arme nicht. Gewerkschaften und Studentenverbände behaupteten aber kess das Gegenteil – ohne empirischen Beleg. So etwas nennt man Ideologie. Die Welt aus seiner falschen Vorstellung leiten zu wollen, obwohl die empirischen Fakten etwas anderes sagen.

Weil man keine eigenen Erfahrungen gelten lässt, werden in der Debatte immer wieder solche aus dem Ausland bemüht – zum Beispiel die USA: Dort trieben hohe Studiengebühren die Mittelschichtsfamilien in Scharen in die Armut. Ein gar schröckliches Beispiel!

So gemahnen es die Gebührengegner hierzulande mit tiefem Bass und hohem Zeigefinger. Was sie nicht sagen: Erstens ist es US-Familien offenbar viel wert, in ihre Kinder und das Studium zu investieren. Und zweitens: In den USA kostet ein Studium bisweilen 6.000 Dollar pro Monat, in Deutschland aber nicht mal 100 Euro! Was für ein grotesker Vergleich. Für wie dumm halten Gebührengegner eigentlich die Öffentlichkeit?

In dieser Zeitung war gerade ein Bericht aus den Arbeiterunis in den Elendsvierteln rund um das peruanische Lima zu lesen. Dort haben die Macher der aus dem Wüstenboden gestampften Volksuni Folgendes bemerkt: Die Kurse kommen besser an – wenn sie etwas kosten. Die Studenten nehmen die Ausbildung ernster, wenn sie nicht umsonst ist.

Diese Studenten sind nicht etwa reich, sondern arm. Die Kinder von Indígenas und Bauern, die in der Stadt ihr Glück suchen. Und für ihre Ausbildung einen Beitrag leisten (wollen). Eine selbstverständliche menschliche Regung – die deutsche Gebührenideologen Unrecht nennen. Die Erde ist und bleibt eben eine Scheibe. (Christian Füller)

NEIN!

Die spinnen doch die Briten! Und die Chilenen und die Kanadier! Die gehen gegen Studiengebühren auf die Straße. Haben diese Bürgersöhnchen und -töchter nicht begriffen, welchen unverzichtbaren Beitrag sie für ihre Hochschulen leisten? Ganz zu schweigen von der renditeträchtigen Investition in sich selbst? Haben sie offenbar nicht!

In NRW knickt die CDU jetzt schon präventiv ein und verspricht, die unpopulären Studienbeiträge von 1.000 Euro pro Jahr im Falle eines Wahlsieges nicht wieder einzuführen. By the way – mit diesem Sümmchen starteten Studiengebühren vor 15 Jahren auch in Großbritannien. Mittlerweile zahlt man dort das Neunfache.

Mit dem Rückzieher der nordrhein-westfälischen Christdemokraten aus dem Gebührengeschäft haben sich Studiengebühren im bevölkerungsreichsten Bundesland erst mal auf Jahre hinaus erledigt. Und im Falle eines Regierungswechsels könnten 2013 die nächsten beiden Bezahlhochburgen Bayern und Niedersachsen fallen. Deutschland wird wieder gebührenfreie Zone, und das ist klug so. Weil Kita-Ausbau und freies Studium eben kein Widerspruch sind.

Die rot-grüne Regierung unter Hannelore Kraft hatte die Gebühren in NRW bekanntlich 2011 wieder kassiert und erstattet den Hochschulen stattdessen mindestens 249 Millionen Euro pro Jahr aus dem Staatssäckel. Zusätzlich will die Regierung 120 Millionen Euro jährlich in den Ausbau der frühkindlichen Bildung stecken.

Das kostet zwar, ist aber konsistent, weil es dem Zweck dient, die Aufstiegschancen für mehr Kinder zu verbessern. Soll das gelingen, muss die Bildungs-Trasse am Anfang und! am Ende ausgebaut werden. Ein Mautposten im letzten Viertel einer Schnellstraße ist absolut idiotisch, wenn auf dieser möglichst viele zum Ziel kommen sollen.

Das Argument, dass eh nur solvente Akademikerkinder das letzte Viertel der deutschen Bildungsautobahn nehmen und studieren, sticht an vielen Hochschulen gerade im Ruhrgebiet längst nicht mehr. Die Uni Duisburg/Essen hat 2009 ihre Studierenden befragt und festgestellt, dass knapp über die Hälfte von ihnen aus Familien stammt, in denen weder Mutter noch Vater studiert hatten.

Dann haben 500 Euro Semestergebühr die „Arbeiterkinder“ also nicht vom Studium abgehalten? Tja, das kann man über einen Zeitraum von vier Jahren, in dem gerade mal ein geburtenstarker Jahrgang durchgängig gezahlt hat, nicht wirklich feststellen. Und zu Recht weisen die Forscher des Wissenschaftszentrums Berlin in der einzigen bis dato seriösen Studie, die diese These stützt, darauf hin, dass aus ihren Ergebnissen nicht zu schließen sei, dass Gebühren per se keinen abschreckenden Effekt haben, wenn sie denn stiegen.

Aussagekräftiger ist ein anderes Ergebnis der Uni-Befragung. 70 Prozent der Duisburger Studierenden hat angegeben, neben dem Studium zu jobben, etwa die Hälfte ging davon aus, ihr Studium nicht in der Regelstudienzeit zu beenden, und dabei werden zwei Drittel finanziell zusätzlich von ihren Eltern unterstützt.

Am Ende bleiben die Studiengebühren also an den Eltern hängen. Wenn es aber Staatsräson ist, dass Deutschland mehr Akademiker braucht, dass Bildung gesellschaftlich und volkswirtschaftlich sinnvoll und nebenbei auch ein Wert für sich ist – wenn man vormodernen Zauseln wie Kant und Humboldt glaubt – dann muss diese Aufgabe von allen finanziert werden.

Und zwar über ein gerechtes Steuersystem, in dem auch Reiche, Aktien- und Immobilienbesitzer endlich mal gebührend berücksichtigt werden. Diese und ihre Lobby-Partei FDP haben ja sonst auch nichts gegen eine Umsonst-Demokratie und einen Gratis-Rechtsstaat. Bildung ist Bürgerrecht und Staatsaufgabe, und gegen die Privatisierung von Bildung lohnt es sich zu kämpfen. Immer noch und immer wieder. Bevor es zu spät ist. (Anna Lehmann)

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