Pro und Kontra Pyrotechnik: Die reine Fußballfreude

Die Fan-Randale im Rostocker Stadion hat erneut die Diskussion um Pyrotechnik auf der Tribüne entfacht – auch in Niedersachsen

Schön anzusehen oder bloß gefährliches Spektakel? Foto: Fredrik von Erichsen/dpa

HAMBURG taz | Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) reagiert auf die jüngsten Fußballfan-Krawalle mit einem Vorschlag. Er will Pyrotechnik nicht verbieten, sondern in abgetrennten Bereichen der Arenen legalisieren. Mit Pyro ins Stadion?

Ja

Pyrotechnik im Stadion gab es immer und wird es immer geben – von daher ist die Frage, ob es sie geben soll oder nicht, überflüssig. Aber wenn man sie trotzdem stellt, muss man sagen: Klar soll es sie geben. Pyrotechnik ist ein zen­trales Ausdrucksmittel von Ultra-Fankultur. Und sieht gut aus.

Was an anderer Stelle kein Argument sein sollte – jemand oder etwas sieht einfach nur gut aus – greift hier schon. Für die Stimmung im Stadion ist bunter Rauch zentral. Das Spielergebnis kann man schließlich auch im Fernsehen verfolgen. Aber darum geht es nicht primär, sonst wäre ja niemand Fan von einem Verein, der häufig verliert.

Beim Fan-Sein geht es um das Drumherum, um das gemeinsame Bannermalen, das Basteln von Choreografien, um die Gesänge, die Identifikation mit der Gemeinschaft, die Party im Stadion. Man ist dabei, man fühlt es, erlebt es, schreit es heraus und ist Teil einer Fankultur. Ohne die eindrucksvollen Bilder, die durch grünen, blauen oder lilafarbenen Rauch und weißgelbe Flammen entstehen, wäre das alles viel schwächer. Der Stadionbesuch wäre weniger schön.

Pyro ist auch nicht per se gefährlich. Gefährlich wird es erst, wenn man ihren Gebrauch kriminalisiert. Wenn Bengalos heimlich im Sichtschutz von Menschen und Transparenten angezündet werden müssen, ist das Risiko, dass etwas passiert, viel höher. Im Diskurs werden gerne gewalttätige Ausschreitungen von randalierenden Fans mit dem Gebrauch von Pyrotechnik vermengt. Dabei haben Rauchtöpfe und bengalisches Licht nichts mit Gewalt zu tun. Im Gegenteil: Es ist ein friedliches, und dazu wunderschönes optisches Ausdrucksmittel von Fankultur.

Natürlich braucht niemand wirklich Pyrotechnik. Ein Fußballspiel kann, na klar, genauso gut, nur eben nicht genauso schön ohne Fanfeuerwerk ablaufen. Aber Fußball braucht ja letztendlich auch niemand. Es geht also bei Fußball und Feuerwerk einfach nur um die Sache um der Sache willen, um den Spaß also und um die Schönheit.

Katharina Schipkowski

***

Nein

Sicher: Man kann finden, dass das Stadion meiden muss, wem es dort zu hoch her geht, ganz so wie im Sprichwort von der Küche und dem heißen Herd. Bloß ist so eine Fußballarena halt keine Küche und ihr Daseinsgrund auch nicht das Abfackeln von Pyrotechnik auf den Rängen und in den Kurven. So sehr es sich der Ballsportfreund mit Schwäche für die gute alte Zeit wünschen mag: Zum Spiel kommen die meisten Leute nicht zuerst wegen der Fankultur, sondern wegen des Fußballs.

Aber vielleicht in zweiter Linie: Den Hausherren, den Stadionbetreibern, dürften die Ultras mit all ihrem unbezahlten Aufwand, den Choreografien und Chören und dem ganzen Pipapo durchaus willkommen sein, denn sie tragen bei zum Eventcharakter eines Bundesliga-Tags. Was nicht Event ist, ist heute ja beinahe gar nichts. Und ist der Streit über die Fanblock-Selbstverwirklichung nicht überhaupt nur ein Nebenkriegsschauplatz – und der Kampf um den echten, den proletarischen Fußball längst verloren?

Heikel wird es da, wo ich mit meiner Anhängerschaftsausübung nicht mehr nur am beispielsweise musikalischen Geschmack des neben mir Stehenden (oder zunehmend: Sitzenden) rühre, indem ich schief singe, sondern ganz konkret seine Gesundheit gefährde: 2.000 Grad wird ein abbrennendes Bengalo heiß, und im pyrotechnischen Sortiment gibt es sogar Artikel, die noch höhere Zahlen erreichen; nicht dass das noch einen großen Unterschied machen würde.

Es geht also um sehr reale Gefahren – zumal in der Kombination mit Bier, wie es ja auch so gerne zur unantastbaren Tribünentradition hochgejazzt wird. Vielleicht ist so ein Reservat, ein eigener Bereich für die 150-prozentigen unter den Fans eine Lösung, so wie es in Hannover Noch-Innenminister Boris Pistorius (SPD) jetzt erwägt? Andererseits: Wer bestimmt denn am Ende, wer da rein darf?

Ist ein echter Fußballfan nur, wer für die eigene Elf zündelt? Nein, echt nicht. Ihr seid gar nicht der Fußball, Ihr seid vor allem Spektakel.

Alexander Diehl

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Jahrgang 1986, hat Kulturwissenschaften in Lüneburg und Buenos Aires studiert und wohnt auf St. Pauli. Schreibt meistens über Innenpolitik, soziale Bewegungen und Klimaproteste, Geflüchtete und Asylpolitik, Gender und Gentrification.

Wollte irgendwann Geisteswissenschaftler werden, ließ mich aber vom Journalismus ablenken. Volontär bei der taz hamburg, später auch mal stv. Redaktionsleiter der taz nord. Seit Anfang 2017 Redakteur gerne -- aber nicht nur -- für Kulturelles i.w.S.

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