Professorin über Sexualstrafrecht: „Deutschland ist da rückständig“

Der Entwurf von Justizminister Heiko Maas ist nicht konsequent, sagt Strafrechtlerin Tatjana Hörnle. Viele Länder in Europa seien schon weiter.

Junge Frauen halten ein Schild mit der Aufschrift "Slutwalk 2015" vor sich.

Slutwalk-Demo: Am 4. Juli demonstrierten rund 50 Menschen dagegen, dass Frauen teilweise eine Mitschuld gegeben wird, wenn sie vergewaltigt werden. Foto: dpa

taz: Der Justizminister hat einen Gesetzentwurf zur Verschärfung des Sexualstrafrechts vorgelegt. Wie finden Sie den Entwurf?

Tatjana Hörnle: Im Vergleich zum Status quo bringt er eindeutig Verbesserungen. Einige strafwürdige Verhaltensweisen, die bisher straffrei waren, sollen künftig strafrechtlich erfasst werden. Praktisch wichtig sind zum Beispiel Fälle, in denen das Opfer deshalb nicht eingeschüchtert werden musste, weil der Täter von vornherein auf Schnelligkeit, Überraschung und Überrumpelung setzte. Die Grundkonzeption des Gesetzentwurfs ist aber nicht überzeugend.

Warum?

Der Gesetzentwurf geht von der alten Erwartung aus, dass das Opfer körperlichen Widerstand gegen unerwünschte sexuelle Handlungen leistet. Er führt zwar weitere strafbare Konstellationen ein, bei denen das Opfer keinen Widerstand leistet, aber diese sind als Ausnahmen von der Regel konzipiert. Das ist kein modernes Strafrecht.

Weil es nicht auf sexuelle Selbstbestimmung abstellt?

Genau. Die Vorstellung, dass die Frau gegen eine Vergewaltigung Widerstand leisten muss, stammt aus Zeiten, als das Schutzgut noch die Reinheit und Geschlechtsehre der Frau war. Erst seit Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts schützt das Sexualstrafrecht die sexuelle Selbstbestimmung der Menschen. Und leider wird dies oftmals nicht konsequent umgesetzt.

ist Professorin für Strafecht an der Humboldt-Universität Berlin. Sie gilt als führende Expertin für Sexualstrafrecht in Deutschland.

Wie müsste eine konsequente Lösung aussehen?

Grundfall des Sexualstrafrechts müsste sein, dass der Täter sich über den erkennbaren Willen des Opfers hinwegsetzt. Es darf keine Konstellationen geben, bei denen dies straffrei bleibt, nur weil zum Beispiel die Situation nicht einschüchternd genug war. Es ist meines Erachtens durchaus strafwürdig, wenn die Frau zwar Nein sagt, dann aber von der Situation überfordert ist, zu langsam reagiert oder die Dominanz des Mannes resignierend akzeptiert. In solchen Fällen bleibt der Mann aber auch nach dem Entwurf des Justizministers straffrei.

Verstößt das nicht gegen die Istanbul-Konvention des Europarats?

Doch. Dort wird gefordert, dass jede „nicht einverständliche“ sexuelle Handlung strafrechtlich zu ahnden ist. Einige europäische Staaten wie Großbritannien haben dies schon vor über zehn Jahren so beschlossen. Deutschland ist da rückständig.

Müssen wir also nur warten, bis die Gremien des Europarats einschreiten?

Davor würde ich warnen. Der Europarat mit seinen 47 Mitgliedern hat keine so effizienten Sanktionsmechanismen wie die EU. Außerdem gibt es auch viele andere Staaten, die Anforderungen der Istanbul-Konvention nicht eins zu eins umsetzen. Vielleicht wird Deutschland, weil es sich ja immerhin bemüht, nicht einmal gerügt. Wir sollten also nicht auf Europa hoffen, sondern müssen die Debatte über das Sexualstrafrecht selbst führen.

Sie sind Mitglied der Reformkommission zur Überarbeitung des Sexualstrafrechts, die das Justizministerium eingesetzt hat. Ist von ihr ein grundlegender Reformimpuls zu erwarten?

Ziel ist es, bis nächstes Jahr Vorschläge vorzulegen. Wie grundlegend diese sind, ist noch nicht abzusehen. Allerdings haben sich auch viele Wissenschaftler und Justizpraktiker mit dem Status quo arrangiert, zum Beispiel weil sie ihn gut kennen. Positiv ist aber, dass der Justizminister eine Diskussion über konsequentere Reformen immerhin angeregt hat.

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