Protest gegen Nato-Atomwaffen: Der Unbeirrbare

Hermann Theisen kämpft mit Flugblättern gegen US-Atomwaffen in der Pfalz. Regelmäßig verfolgt ihn die Justiz. Jetzt droht ihm Knast.

Ein Mann sitzt in einem Zimmer und zieht an einer Zigarette

Bezeichnet sich selbst als „radikalen Antimilitaristen“ – Hermann Theisen Foto: Alex Fischer

HEIDELBERG taz | Hermann Theisen schreibt Flugblätter, das Demonstrieren reicht ihm schon lange nicht mehr. Es sind Flugblätter, die die Justiz auf den Plan rufen. Er wendet sich an die Soldaten des Fliegerhorsts Büchel in der Eifel, wo Atomwaffen der US-Armee lagern sollen. Er schreibt an Bürgermeister, Verwaltungsangestellte und Lokalpolitiker der strukturschwachen Gegend.

Theisen wendet sich an die Angestellten des Rüstungskonzern Krauss-Maffei Wegmann in München, der den Leopard-II-Panzer produziert und nach Saudi-Arabien verkauft. „Beteiligen Sie sich an Ihrem Arbeitsort an Boykott- und Sabotagehandlungen gegen den geplanten Waffendeal“, ruft Theisen in seinem Flugblatt den Angestellten der Münchner Panzerschmiede zu.

Ab und zu zieht er dann los – in Büchel kennen sie ihn schon – und verteilt seine Flugblätter. Und regelmäßig verfolgt ihn die Justiz mit Strafverfahren. Unzählige Bußgelder musste er zahlen, dreimal saß er kurz in Haft. „Die Flugblätter nerven und provozieren“, sagt Hermann Theisen, 52 Jahre alt, in seiner Küche in Heidelberg. Er sitzt in Jeans an einem langen schmalen Holztisch „Aber in Deutschland darf man das. Deswegen ist mir diese Aktionsform so sympathisch.“

Aber darf er das wirklich? Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat im April 2016 Anklage gegen Theisen wegen „Öffentlicher Aufforderung zu Straftaten in Verbindung mit einer Aufforderung zum Verrat von Dienstgeheimnissen“ erhoben. Nicht zum ersten Mal. Zwei Berufungsverfahren beim Landgericht Koblenz stehen noch aus, zwei Ermittlungsverfahren sind in der Schwebe. Im Grunde geht es um das gleiche Flugblatt, das zu unterschiedlichen Zeitpunkten verteilt oder per E-Mail versandt worden ist. Der Ton in der juristischen Auseinandersetzung wird schärfer, der Takt der Strafverfolgung dichter.

Das sei wie wiederholtes Fahren ohne Führerschein, erklärt Theisens Anwalt Martin Heiming. Die Frage ist, ob die Justiz die Flugblattaktionen wie bisher als einzelne Vergehen ahndet oder ob sie ihn als Wiederholungstäter behandelt. In dem Fall könnte das Strafmaß höher ausfallen, eine Haftstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Aber wegen eines Flugblatts in Haft gehen? „Ich weiß nicht, ob es das je nach 1945 gegeben hat“, sagt Theisen.

Hermann Theisen bezeichnet sich als „radikalen Antimilitaristen“. Der Mann ist, positiv gesagt, beharrlich, böse ausgedrückt, eine Nervensäge. „Ich bin einfach so ein Typ, der unbeirrt an einem Thema dranbleibt“, sagt er und schiebt hinterher, „und sicher auch ein bisschen unbelehrbar“. Es ist früher Abend. Die Wohnung im Parterre bewohnt er seit 21 Jahren mit seiner Familie zur Miete.

„Ich habe meiner Familie viel zugemutet“

Die Forsythien in den Vorgärten blühen, die Bäume in den ruhigen Straßen des gutbürgerlichen Viertels zeigen zartes Grün. Auf dem Tisch ein großer Blumenstrauß, Theisens Frau hatte vor ein paar Tagen Geburtstag. Das ist sein anderes, sein normales Leben, aus dem es ihn trotz seiner politischen Aktivitäten nicht rauskatapultiert hat. „Ich habe meiner Familie viel zugemutet“, sagt er nur.

Hermann Theisen wirkt nicht verbissen oder verbittert, im Gegenteil, er scheint gelassen, mit sich im Reinen, und wenn er spricht, spricht er eher schnell. Da ist einer von seinem Thema überzeugt – oder tief eingestiegen. Sein Lebensthema ist die atomare Bedrohung. Angeblich zwanzig US-amerikanische Atomwaffen lagern in den Bunkern des Fliegerhorsts Büchel im Kreis Cochem-Zell, wo die deutsche Luftwaffe Piloten für den Einsatz in Jagdbombern der Nato ausbildet. „Ich finde es empörend,“ sagt Theisen, „dass seit Jahren parteiübergreifend gefordert wird, dass die Waffen wegmüssen. Und jetzt sollen sie sogar modernisiert werden.“

Hermann Theisen

„Ich habe ich eine gewisse Radikalität. Da kommt die Strafjustiz an ihre Grenzen.“

Wie kommt einer dazu, sich über Jahrzehnte dem Kampf gegen Militarismus zu verschreiben? Und gibt es nicht andere, mindestens genauso drängende Fragen heute – Globalisierung, Flüchtlingspolitik, Umweltpolitik? Sicher, sagt Theisen, die gibt es, und die sind genauso wichtig. Aber darum müssen sich eben andere kümmern.

Der Wehrdienstverweigerer

Hermann Theisen, 1962 geboren im pfälzischen Bad Kreuznach, ist in den achtziger Jahren politisch sozialisiert worden. Nato-Doppelbeschluss, Anti-AKW-Demos, Friedensbewegung, Reaktorunglück in Tschernobyl. „Die atomare Gefahr war existenziell spürbar. Endzeitstimmung, Von einem Moment auf den anderen kann alles zu Ende sein.“ Er absolvierte zunächst eine kaufmännische Ausbildung, verweigerte den Wehrdienst und leistete seinen Zivildienst in einem Altenheim. Anschließend studierte er in Darmstadt Sozialpädagogik.

Seit zwanzig Jahren arbeitet Theisen als Sozialarbeiter in einer psychiatrischen Klinik mit Suchtkranken. Seine Kollegen wissen von seinem Engagement. „Das ist dort kein Thema. Ich habe keinen missionarischen Eifer.“ Aber Ehrgeiz. Vor fünf Jahren machte Theisen einen Master of Social Work.

Sehr früh stand für Hermann Theisen fest, dass er nie Soldat werden will. Sein Vater hatte sich als Fremdenlegionär im Indochinakrieg verpflichtet. „Er wollte wohl der Enge und Armut seines Eifeldorfs entkommen und hat sich von der französischen Armee anwerben lassen.“ Das war 1949, lange vor Theisens Geburt, der vier ältere Geschwister hat. Als Kind hat es ihm in dem Eifeldorf immer gut gefallen. Erst später entdeckte er, wie ärmlich und klein es dort eigentlich war. Nach zweieinhalb Jahren in der Fremdenlegion erlitt sein Vater eine Schussverletzung und wurde vorzeitig entlassen. Er arbeitete dann als Heizungsmonteur. Sein Vater habe nie darüber gesprochen, erzählt Theisen, er sei ein sehr freundlicher, aber gebrochener Mann gewesen.

Kein Bock auf Gruppen

Hermann Theisen ist diskret, was seine Herkunft, seine eigene Familie anbelangt. Er hat zwei Kinder, Zwillinge, gerade zwanzig. Er macht sein eigenes Ding, hält das Private vom politischen Engagement getrennt. „Ich habe irgendwann beschlossen, das alleine zu machen.“ Gruppenprozesse sind schwierig, langwierig. Inhalte von Flugblättern diskutieren, Aktionen abstimmen, Prozessbegleitung – „das kriege ich nicht hin“, sagt Theisen. Nicht neben Familie und mit vollem Job.

So ist er über die Jahre zum Einzelkämpfer geworden, fühlt sich aber gut vernetzt in der Anti-Atom-Bewegung, ist aktiv im Grundrechtekomitee und in der DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen). Kurze Zeit war er bei den Grünen. Hermann Theisen neigt nicht zu bloßem Aktivismus. Er zieht nicht von Camp zu Konferenz. Er überlegt gut, wo er ansetzt, wo er nervt. Beispiel Büchel. „Ich mach das dann einfach, darin habe ich eine gewisse Radikalität. Da kommt die Strafjustiz an ihre Grenzen.“

Über die Jahre hat er sich eingearbeitet in juristische Fragen, das macht ihm Spaß. Es geht um komplexe Sachverhalte, um Grundrecht, Verfassungsrecht, Völkerrecht. Den Staat herausfordern ist seine Herausforderung. Er vertraut dem Rechtssystem. „Die meisten Verfahren sind zu meinen Gunsten ausgegangen.“ Oder wurden eingestellt. Etwa in acht von zehn Fällen, meint Theisen. Er sieht sich deswegen auch nicht als Justizopfer. „Aber ich scheine da einen neuralgischen Punkt zu treffen.“

Der neuralgische Punkt

Wo sitzt dieser neuralgische Punkt? Im September 2015 brachte das ZDF-Magazin „Frontal“ einen Bericht, der aus Etatplänen des US-Verteidigungsministeriums schloss, dass in Büchel 20 neue Waffen des Typs B61-12 stationiert werden sollen. Laut Rüstungsexperten wären diese wesentlich zielgenauer und entsprächen etwa 80 Hiroshima-Bomben.

Im Ernstfall müssten dann, so die „Frontal“-Journalisten, deutsche Kampfflugzeuge und Piloten die Nuklearwaffen im Rahmen von Nato-Einsätzen transportieren und abwerfen. „Für mich ist das ein Skandal, dass wir als Zivilgesellschaft nicht darüber informiert werden“, sagt Theisen. „Was überwiegt in so einem Fall“, fragt er weiter, „das Interesse des Militärs an Geheimhaltung oder das Interesse der Zivilgesellschaft an Aufklärung?“

Für Hermann Theisen ist die „nukleare Teilhabe“ Deutschlands im Rahmen der Nato-Strategie klar ein Verstoß gegen das Grundgesetz und das Völkerrecht. Ein paar Tage nach der „Frontal“-Sendung verurteilte das Amtsgericht Cochem Hermann Theisen wegen seines Büchel-Flugblatts zu 80 Tagessätzen à 30 Euro, in Februar 2016 erneut zu 40 Tagessätzen. Die Berufungsverfahren sind anhängig, in einem Fall fordert der Staatsanwalt eine härtere Strafe.

Eine neue Anklage

Im April 2016 erhob die Staatsanwaltschaft Koblenz erneut Anklage gegen Theisen, zweifach. „Psychologisch betrachtet“, scherzt Theisen, „scheint man die Flugblätter für gefährlicher zu halten als die Sprengkörper.“ Aber: „Nicht mein Flugblatt ist illegal, sondern das Geheimnis um die Waffen.“

Haben die Staatsanwälte nun endgültig die Nase voll von der Nervensäge? Theisen ist irritiert. Angst hat er nicht. „Ich habe durchaus Vertrauen ins Rechtssystem.“ Er weiß, er ist ein schwieriger Mandant für seinen Anwalt. Theisen geht es nicht darum, um jeden Preis freigesprochen zu werden. Sondern darum, seiner Sache Gehör zu verschaffen. „Ich bin nicht so naiv, dass ich denke, dass die Soldaten alles hinschmeißen. Aber ich will eine Diskussion.“

Fast vier Stunden spricht er in seiner Küche. Es wird Abend, er bietet ein Glas Pfälzer Weißwein an, reicht Pralinen. Zur vollen Stunde zwitschert jedes Mal ein anderer Vogel aus der Wanduhr. Die hat seine Frau, eine Vogelnärrin, geschenkt bekommen. Hermann Theisen bezeichnet sich als gläubig, aber das ist nichts, das er an die Kirchenglocke hängt.

Hermann Theisen geht gern tanzen, ins Theater. Er hat ein Leben jenseits des Aktivistendaseins. Er hat berufsbegleitend eine Ausbildung in „Ziviler Konfliktbearbeitung“ absolviert. Für nächstes Jahr plant er nach zwanzig Jahren an der Klinik ein Sabbatjahr, er hat das als Erster im Betrieb durchgesetzt. Beharrlich. Und eben ein bisschen unbelehrbar. „Sie können mich verurteilen“, sagt er, „aber bitte mit einer guten Begründung.“

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