Prozess um entführten Vietnamesen: Unrechtsberatung aus Vietnam

Überraschend hat der in Berlin verurteilte Vietnamese Revision eingelegt. Zuvor hatte sich die vietnamesische Regierung eingeschaltet.

Ein Mann sitzt im Gericht. Sein Gesicht ist unkenntlich gemacht

Vom Berliner Kammergericht wurde der Entführungshelfer verurteilt Foto: dpa

BERLIN taz | Eigentlich war alles so geregelt, dass alle Prozessbeteiligten zufrieden sein können. Sie hatten einen sogenannten Deal vereinbart: Geständnis gegen Strafmilderung, die Verhandlung wurde auf diese Weise nach einem guten Dutzend Verhandlungstagen abgekürzt. Vergangene Woche verurteilte das Berliner Kammergericht Long N. H. dann zu drei Jahren und zehn Monaten Haft – das Gericht hatte es als erwiesen angesehen, dass er vor einem Jahr daran beteiligt war, den Vietnamesen Trinh Xuan Thanh in Berlin zu entführen.

Dass der Angeklagte nun gegen das Urteil vorgeht, ist deshalb ein überraschender Schritt. Am Dienstag hat N. H. Revision eingelegt und dafür zwei neue Anwälte beauftragt. Entsprechende taz-Informationen wurden von einem Gerichtssprecher bestätigt.

Für die Verurteilung des Angeklagten wäre sein Geständnis nicht nötig gewesen. Zu belastend waren laut Gericht die Beweise, die Ermittler gegen ihn vorgetragen hatten. Für interessierte Kreise in Vietnam scheint das Geständnis aber ein Problem zu sein. Denn damit hat zum ersten Mal eine Person zugegeben, dass Trinh Xuan Thanh vom vietnamesischen Geheimdienst entführt wurde. Die vietnamesische Regierung hält bis heute an der Behauptung fest, der ehemalige Chef eines Staatskonzerns, der in Deutschland Asyl beantragt hatte, sei freiwillig nach Vietnam zurückgekehrt.

Die Interessen der Entführer

Um dieses Legende aufrecht zu erhalten, scheint die vietnamesische Regierung einiges zu versuchen. Unmittelbar nach dem Geständnis habe die vietnamesische Regierung bei der Deutschen Vertretung um ein Gespräch gebeten, heißt es aus botschaftsnahen Kreisen in Hanoi. Es sollte demnach um den Verlauf des Prozesses gehen. Das Auswärtige Amt hat eine taz-Anfrage von Dienstag bislang nicht beantwortet.

Bereits im Plädoyer hatte einer der drei Verteidiger, Alexander Sättele, angemerkt, dass versucht worden war, auf seine Verteidigung Einfluss zu nehmen. Auf taz-Nachfrage sagt er, er habe zahlreiche Zuschriften erhalten. In seinem Plädoyer klang das so: „Einige der an uns herangetragenen Einwände betreffen allerdings offenkundig verfahrensfremde Interessen oder gar die Interessen von solchen Dritten, die mutmaßlich an den hier in Rede stehenden Vorgängen beteiligt waren.“ Sprich: Die Interessen des vietnamesischen Geheimdienstes, die Interessen der Entführer, von denen mehrere nach wie vor per internationalem Haftbefehl gesucht werden.

Der Wahlverteidiger Sättele und sein Kollege wurden überrascht von der Entscheidung des Angeklagten, sich von neuen Anwälten vertreten zu lassen. Sie hatten zu dem Geständnis und dem Deal geraten. Nachdem sie am Dienstag von der bereits eingelegten Revision erfahren hatten, gaben sie ihr Mandat ab.

Dieser Fall ist ein ganz besonderer – politisch aufgeladen

Es wird einmal mehr deutlich: Dieser Fall ist ein ganz besonderer – politisch aufgeladen.

Das war auch während der Gerichtsverhandlung in Berlin immer wieder deutlich geworden. Der ursprünglich einzige Verteidiger Stephan Bonell versuchte, angebliches Fehlverhalten des Entführten Trinh Xuan Thanh und seiner Familie zu beleuchten. Der war vor seiner Flucht aus Vietnam Teil der Staatsführung und ist inzwischen zu zwei Mal lebenslanger Haft verurteilt worden. Die vietnamesische Regierung stilisiert ihn als Mitglied einer korrupten Elite, gegen die sie vorgehen will. Auch Bonell versucht im Gericht immer wieder, das Entführungsopfer als einen korrupten Verbrecher darzustellen. Bis zuletzt hatte er versucht, mit Anträgen den Prozess zu verlängern. Die Nebenklagevertreterin hatte deshalb gefragt: Für wen arbeiten Sie eigentlich?

Mangelnde Aufklärung in der Slowakei

Bonell war dagegen, dass der Angeklagte gesteht und gab am vorletzten Prozesstag sein Mandat überraschend ab. Trotzdem ist er nun wieder mit dem Angeklagten im Gespräch und bereit, das Mandat wieder zu übernehmen. „Ohne das Geständnis würde er in Vietnam nicht als Verräter dastehen“, sagt Bonell der taz.

Unterdessen kocht der Vorwurf hoch, dass die slowakische Regierung an der Entführung beteiligt gewesen war. Am Dienstag äußerte sich der der slowakische Präsident Andrej Kiska erneut dazu und sprach von einer „internationalen Blamage“. Er äußerte die Befürchtung, der Fall könne ernste Folgen für die deutsch-slowakischen Beziehungen haben.

Wie die taz berichtet hatte, sind sich die Ermittler inzwischen sicher, dass das Entführungsopfer mit einem slowakischen Regierungsflugzeug aus der EU geschafft wurde, von Bratislava nach Moskau. Das sei „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ so, heißt es in einem Sachstandsbericht der Ermittler des Berliner LKA von Mitte Juni, der der taz vorliegt. Trinh Xuan Thanh habe dafür wohl einen Pass mit einem falschen Namen bekommen.

Die slowakische Regierung weist bisher jedes Mitwissen von sich. Trotz der vielen ungeklärten Fragen und Vorwürfe wurde in der Slowakei auch bis heute kein eigenes Strafverfahren eröffnet, teilte der dortige Polizeipräsident am Dienstag der Presse mit. Nach einem Treffen mit ihm erwiderte Präsident Kiska, es könne nicht sein, dass die Slowakei von der ganzen Sache nur aus Deutschland erfahre. Er erwarte, dass der Fall von „unserer Polizei richtig untersucht wird“.

Die deutschen Ermittler rekonstruieren den Vorgang bislang so: Um das slowakische Regierungsflugzeug ausgeliehen zu bekommen, hatten die Vietnamesen ein Kurztreffen mit dem damaligen slowakischen Innenminister Robert Kalinak arrangiert. Eine wichtige Rolle spielte dabei der damalige slowakische Regierungsberater Le Hong Quang, der später Leiter der Botschaft in Hanoi wurde. Nachdem die taz im Mai über Korruptionsvorwürfe gegen ihn berichtet hatte, wurde er von diesem Amt abberufen.

Mehr über den Fall Trinh Xuan Thanh und in welch engem Kontakt deutsche Behörden im Vorfeld der Kidnapping-Aktion mit Entführern standen, lesen Sie in der Reportage „Liebesgrüße aus Hanoi“.

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