Realistischer Sex in Pornografie: Realer als Analsex

Pornos prägen, was viele Menschen über Sex wissen und wie sie ihn haben. Eine Reihe neuer Projekte versucht deshalb, Sex realistischer darzustellen.

Ein Mann und eine Frau haben in einem Wald Sex

Ja. Jaaa – genau so: Szene aus dem Film „Schnick Schnack Schnuck“ Foto: Lise Rz

Gleich zu Beginn kommt der Sicherheitshinweis. „Wir haben kein Kondom benutzt, weil wir fluid-bonded sind“, sagt Danny. Lily kichert: „Was heißt das denn?“, und Danny führt aus: „Das heißt, wir sind flüssigkeitsverbunden. Ich komme manchmal in Lilys Arsch und das machen wir sonst mit niemand anderem.“ Nach dem kurzen Einführungsvideo geht das außergewöhnliche Sexvideo los. Zwei professionelle PornodarstellerInnen, die zum Drehzeitpunkt auch privat ein Paar waren, Danny Wylde und Lily Labeau, haben Sex, so wie sie ihn privat haben. Und weil Lily den ganzen Tag arbeiten war, ihre Muschi deshalb „außer Betrieb“ ist, haben sie Analsex.

Lily und Danny sind eines der Paare auf „Make Love Not Porn“, einem Videoportal, das sich auf die Darstellung von „echtem Sex“ konzentriert hat. Gegründet hat es Cindy Gallop, eine Werbeberaterin, die die Seite immer wieder mit einer persönlichen Anekdote erklärt. „Ich date Männer in ihren Zwanzigern“, sagt Gallop in einem Vortragsvideo. „Und wenn ich das tue, wird mir immer wieder die Allgegenwart von Hardcore-Pornografie vor Augen geführt“. Eine ganze Generation wachse mit der Vorstellung auf, dass, was in Pornos gezeigt werde, echter Sex sei. „Regelmäßig muss ich den jungen Männer klarmachen: Nein, danke, ich möchte nicht, dass du auf meinem Gesicht kommst“, sagt Gallop.

Haben Menschen, die ihr Wissen über Sex aus Pornos beziehen, so Sex wie in den Pornos? Und ist die Zahl solcher Menschen gestiegen, weil Pornos im Internet einfach zu finden sind? Cindy Gallop sagt: Ja. Und tatsächlich zeigen Studien, dass Kinder bereits mit 12 Jahren Pornos schauen und dass Kinder, die viele Pornos schauen, früher Sex haben. Weit verbreitet sind auch Praktiken und Rollenverteilungen aus Mainstreampornos: Einer Studie zufolge setzen 16- bis 18-jährige Männer oft ihre Partnerinnen unter Druck, sich anal penetrieren zu lassen. Sowohl Männer als auch Frauen dieser Altersgruppe meinen, es sei ekliger für Männer, Oralsex an Frauen auszuüben als andersherum.

Der Mainstream von Pornos ist zutiefst sexistisch, homophob, transphob und rassistisch – in ihm finden sich alle Formen gesellschaftlichen Hasses wieder, die durch den Sex noch überspitzt werden.

Doch in Pornos findet sich auch der Platz für Fortschritt. Hier wird Sex beobachtbar. Jener Akt, den niemand durch Nachahmen, sondern nur durch Ausprobieren erlernen darf, weil er privat und tabu ist, jener Akt, den alle natürlich beherrschen sollen, der aber bei den meisten beim ersten Mal katastrophal ausgeht. Cindy Gallop und ihre Plattform sind Teil einer Bewegung von Aktivist*innen, Pornoproduzent*innen und -konsument*innen und Amateurfilmer*innen, die versuchen, diesen Raum auszunutzen.

Schmerzen, Tränen und Würgreflexe

Mehr als in anderen Filmen sind Fragen der Authentizität und Inszenierung in Pornos heiß umkämpft. Sie sollen „echten Sex“ zeigen, aber alle DarstellerInnen sind zur Normschönheit operiert, sind sogar im Bett perfekt geschminkt, sie haben immer Lust und es flutscht immer. Wer glaubt noch dem perfekt einstudierten Stöhnen beim vaginalen Sex in Pornos?

Beim Versuch, den männlichen Konsumenten Authentizität vorzuspielen, verlangt die Industrie den Darstellerinnen immer extremere Praktiken ab. Schmerzen, Tränen und Würgreflexe können nicht simuliert werden, so die Argumentation. Wer mit zwei Schwänzen im Arsch weint, weint wirklich. Wer noch lacht, macht es wirklich gerne. „Analsex ist real, Muschis sind bullshit“, fasste der Pornoproduzent John Stagliano das Prinzip einst süffisant zusammen.

Die Suche nach Authentizität hat aber auch einen weiteren Trend hervorgebracht: den Aufstieg von Amateurpornografie. Mit dem Aufkommen billiger Filmtechnologien und kostenloser Videoseiten im Netz haben Sexvideos von Privatpersonen eine viel höhere Verbreitung erfahren. Schlechte Videoqualität, schlechte Beleuchtung, eine statische Kamera und weniger aufregender Sex suggerieren Echtheit.

Auch dieser Trend ist von der Industrie übernommen worden, die die schlechte Qualität von Amateurvideos mit Profis im Studio nachdrehen. An diesen Trend knüpfen aber die Verfechter des neuen Realismus an. Und professionelle Filmemacher*innen sind gefragt, weil realer Sex in einer von der Pornoindustrie durchtränkten Welt nicht ausreicht: Die Filme müssen den Realismus inszenieren.

„Allein dass ein echtes Paar sich beim echten Sex filmt, reicht nicht“, sagt Cindy Gallop. „Viele Amateure übernehmen die Ästhetik der Pornoindustrie, zeigen eine Abfolge sexueller Handlungen aus Sicht des Mannes.“ Echter Sex, sagt Gallop, sei peinlich, witzig, voller Körperflüssigkeiten und dreckig: „Es passieren viele komische Dinge, die in Pornos nicht vorkommen.“ Der Stuhl bricht nie weg, Sex während der Periode wird nie gezeigt, die Muschi macht nie Furzgeräusche, der Schwanz versagt nie. Die Videos auf „Make Love Not Porn“ sind deshalb kuratiert: Wer einfach nur zu Hause einen Porno nachdreht wird nicht zugelassen. Die Videos müssen real und realistisch zugleich sein.

Sex ohne Regieanweisung

Es entstehen auch Filme, die versuchen, authentischen Sex zu zeigen, ohne dabei in die Industrieästhetik zu verfallen. So etwa die crowdgefundete Pornokomödie „Schnick Schnack Schnuck“, in der ein heterosexuelles Paar ein Wochenende getrennt verbringt und sehr viel Sex in unterschiedlichen Konstellationen hat. Die Story ist etwas holprig gescriptet, doch die Sexszenen sind „dokumentarisch“ gefilmt. Heißt: Die DarstellerInnen haben Sex ohne Regieanweisungen. Für die Kameraleute galt das nicht. „Wir haben darauf geachtet, dass die Kamera auch die Perspektive der Frauen einnimmt und die Körper der Männer zeigt“, sagt Regisseurin Brochhaus. Hinzu kommt: Im Film kommen keine Ejakulationen vor – ein Industrieporno ohne den „Money Shot“ ist dagegen kaum denkbar.

    Dokumentarisch filmt auch Lucie Blush, die eigentlich anders heißt und in Berlin feministische Pornos dreht. Zu Beginn habe sie mit Paaren gearbeitet, sagt sie, doch die sähen beim Sex oft gelangweilt aus. Die Performance ist wichtig, Sex soll im Porno aussehen, als mache er Spaß. Deshalb castet sie inzwischen ihre Paare. Beim Filmen tritt sie aber in den Hintergrund und lässt ihre DarstellerInnen machen. „Mein Ziel ist es, den Sex authentisch wiederzugeben“, so Blush. „Wenn etwas umfällt, hören wir nicht auf.“

    „Pornos zeigen Frauen als passive Objekte und Männer als Rammelmaschinen“, sagt Blush. „Vielen Frauen fällt es deshalb schwer, nein zu sagen.“ Ihre Arbeit habe sie gelehrt, über Sex sprechen zu können, zu artikulieren, was ihr gefällt. Und so falle auch ihr auf, wie oft die Pornoindustrie mit im Bett ist. Zum Beispiel beim Analsex. „Männer sind solche Prinzessinnen“, lästert Blush. „Sie wollen dich ständig in den Arsch ficken, aber wenn du ihnen mal ans Arschloch fasst, zieren sie sich.“

    Einmal zahlen
    .

    Fehler auf taz.de entdeckt?

    Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

    Inhaltliches Feedback?

    Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

    Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

    Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

    Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.