Rechte Sprüche der Piraten: Eisberg von rechts

Rechte Entgleisungen bei den Piraten könnten eine Chance für die etablierten Parteien sein. Denn sie bringen die Neulinge zum ersten Mal in Not.

Von links weht der Wind! Piratenfahne am Brandenburger Tor in Berlin. Bild: dapd

BERLIN taz | Die Piraten haben „ein kleines Nazi-Problem und ein großes Problem mit Deppen, die das ignorieren, verdrängen und beschönigen“, twitterte der Berliner Pirat Enno Park.

Dieses Problem hat eine gewisse Tradition in der Partei: Es begann mit Bodo Thiesens Holocaustleugnung, antiislamischen Ausfällen des damaligen Vorstandsmitglieds Aaron König und einem Interview, das der stellvertretende Vorsitzende Andi Popp der Jungen Freiheit gab.

Und noch immer kommt die Debatte nicht zur Ruhe: Obwohl sich der Berliner Abgeordnete Martin Delius für seinen NSDAP-Vergleich entschuldigt hat und die Partei in einer eigens anberaumten Konferenz gegen rechtsextreme Tendenzen in den eigenen Reihen vorgehen will, wird das Problem der Abgrenzung von rechts immer schärfer diskutiert.

„Der Aufstieg der Piratenpartei verläuft so rasant wie der der NSDAP zwischen 1928 und 1933“ – Berliner Fraktionsgeschäftsführer Martin Delius im Spiegel

„Wer Sprüche bringt wie ’Mit Nazis redet man nicht‘, der ist nun mal in meinen Augen dem Nazitum näher, als er selber glaubt und als gut für ihn ist“ – Hartmut Semken, Landesvorsitzender der Berliner Piraten, Blogbeitrag vom Oktober 2011

„Solange der Holocaust als gesetzlich vorgeschriebene Tatsache existiert, sehe ich keine Möglichkeit, diesen neutral zu beschreiben“ – Bodo Thiesen, Pirat aus Rheinland-Pfalz, auf einer Mailingliste im Mai 2008

„Der Zentralrat der Juden wird ab 2012 mit 10 Millionen Euro (!) aus hart erarbeiteten Steuergeldern alimentiert! Weitere Kommentare spare ich mir an dieser Stelle“ – Lübecker Direktkandidat Manfred Vandersee

Wo stehen die Piraten?

Bundestag: 12 Prozent

Schleswig-Holstein: 10 Prozent

Nordrhein-Westfalen: 9 Prozent

(Quelle: infratest dimap)

Trotzdem ist die Zustimmung in der Bevölkerung ungebrochen: Die Piraten kommen in den meisten Umfragen weiterhin landesweit auf mehr als 10 Prozent, der Einzug in die Landesparlamente in Schleswig-Holstein sowie in Nordrhein-Westfalen gilt als sicher, Letzteres sehr zum Ärger der rot-grünen Nochregierung. Zugleich gibt es einen wahren Run auf die Parteibücher – vor zwei Wochen begrüßten die Piraten das 25.000. Mitglied in ihren Reihen. Das ist eine Verdopplung der Mitgliederzahl seit der Berlinwahl im September 2011.

„Liberal in einem skandinawischen Sinn“

Warum schadet den Piraten das Ins-Fettnäpfchen-Hopsen ihres Führungspersonals nicht, warum akzeptieren offenbar viele Wähler rechtslastige Mitglieder? Verena Schäffer, Landtagskandidatin der Grünen in NRW und Rechtsextremismusexpertin, zögert. „Einerseits“, sagt sie, „wird das nicht stark genug wahrgenommen. Viele fallen auf die Erklärung der Piratenpartei rein, dass es sich um Einzelmeinungen handle.“ Dabei habe die Parteispitze die Aufgabe, sich von solchen Aussagen klar zu distanzieren. Das aber geschehe nicht mit der nötigen Entschlossenheit.

Andererseits fehle das Problembewusstsein nicht nur in der Partei, sondern auch in Teilen der Bevölkerung. „Da spiegeln sich Einstellungen der Ungleichwertigkeit, die in der Gesellschaft vorhanden sind, und es gibt sicher einige Wähler, die sich daran nicht stoßen.“ Aber gerade weil die Piratenpartei immer stärker in den Fokus rücke, müssten die führenden Parteimitglieder Verantwortung übernehmen und sich von diesen Positionen deutlich abgrenzen.

Ähnlich sieht das auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil: „Bisher genießen die Piraten noch eine Art Welpenschutz. Da gibt es gegenüber solchen Fällen eine andere Toleranz als in der SPD gegen Sarrazin.“ Das liege natürlich zum einen daran, dass sie als junge Partei nach wie vor eine Projektionsfläche seien, aber auch an der Lockerheit im Kommunikationsstil. „Es ist natürlich auch so, dass die Piraten für eine andere politische Kultur stehen“, sagt Parteienforscher Carsten Koschmieder. „Sie sind in großen Teilen liberal in einem skandinavischen Sinn.“

In Skandinavien sei es gängiger und unproblematischer, auch abseitige Meinungen zu tolerieren, selbst wenn man überhaupt nicht mit ihnen übereinstimme. Man könne nicht sagen, dass die Partei ein größeres Problem mit rechtsextremen Meinungen in den eigenen Reihen hätte als andere: „Die Piraten haben wohl nicht signifikant mehr Unterstützer mit einem geschlossenen rechten Weltbild.“

Schonfrist ist vorbei

Ohnehin würden die Piraten nicht wegen ihrer Inhalte gewählt – vielmehr vermittelten sie ein Gefühl, das gerade Wähler anziehe, die sich im bestehenden politischen Gefüge nicht wiederfinden. Gerade diese Wähler hätten traditionell weniger Probleme mit Tabubrüchen.

Doch zum ersten Mal könnten die aktuellen Kontroversen der Partei wirklich schaden. „Bisher konnte man fragwürdige Äußerungen nicht zuordnen“, sagt Koschmieder. „Wer kennt schon Hartmut Semken? Aber das könnte sich mit zunehmender Bekanntheit ändern.“ Unter anderem auch weil die Neulinge bisher kaum zu fassen gewesen seien.

„Die Piraten sind noch nicht wirklich greifbar“, sagt auch Klingbeil, man habe aber gesehen, dass das bisherige pauschale Draufhauen nichts bringt, und werde sich themenspezifisch mit ihnen auseinandersetzen. Und auch Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der Linkspartei, erklärte, dass die Schonfrist jetzt vorbei sei: „Wir dürfen nicht mehr zulassen, dass die Piraten sich rausreden“, so Gysi. Die Linkspartei habe bis jetzt auf inhaltliche Auseinandersetzung verzichtet, weil man nicht neidisch wirken und den Neuen Zeit geben wollte. Das sei jetzt vorbei.

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