Rechtsanspruch auf Kita-Platz: Mehr Kinder, weniger Erzieher

Der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz stellt die Nordländer vor große Probleme. Nur Hamburg hat genügend Plätze, spart dafür aber beim Personal.

Für jedes Kind ein Platz: Zahnbürstenregal in einem Hamburger Kindergarten. Bild: dpa

Das Ziel ist klar formuliert: Krippenplätze für alle und das garantiert. Doch der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz, der ab August 2013 bundesweit gilt, stellt die norddeutschen Länder vor massive Probleme. Ein Jahr vor dem Stichtag heißt es fast überall: Zu wenig Kitas, zu wenig ErzieherInnen, zu wenig Geld.

So müssen allein in Niedersachsen laut Kultusminister Bernd Althusmann (CDU) bis August 2013 noch etwa 22.000 Krippen- und Betreuungsplätze bei Tagesmüttern geschaffen werden – 40.000 gibt es bereits. Kaum zu schaffen. Hannovers Oberbürgermeister Stephan Weil (SPD) rechnet für den Sommer 2013 deshalb schon heute fest mit einer Klagewelle von Eltern, die ihre Garantie mangels vorhandener Kapazitäten nicht in Anspruch nehmen können.

Kaum besser sieht es in Schleswig-Holstein aus: Ein Jahr vor dem Stichtag gibt es nur für 26 Prozent aller Kinder unter drei Jahren einen Kita-Platz, vorgeschrieben aber ist ab Sommer 2013 eine Betreuungsquote von minimal 35 Prozent. Städte wie Kiel, Lübeck, Flensburg, Neumünster oder Norderstedt rechnen sogar damit, dass mindestens 40, vielleicht aber gar bis zu 65 Prozent aller Kinder einen Krippenplatz benötigen.

Achtzig Millionen hat die Dänen-Ampel den Kommunen für den Ausbau der Kindertagesbetreuung in Aussicht gestellt und auch aus Berlin werden noch ein paar Millionen Euro für den Ausbau und den späteren Betrieb der Kitas erwartet. Doch das Geld reicht vorne und hinten nicht.

Der geplante Kapazitätsausbau beschert den Ländern und Kommunen ein weiteres Problem: Der Arbeitsmarkt der ErzieherInnen und PädagogInnen ist fast leer gefegt. Schon hat die Bundesagentur für Arbeit angekündigt, 5.000 Langzeiterwerbslose als Erzieher zu qualifizieren. Doch bevor diese dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, sind die Krippenkinder von heute längst in der Vorschule.

In Teilzeit arbeiten in Niedersachsen mehr als drei von vier der insgesamt 39.000 ErzieherInnen im Kita-Bereich - mehr als in jedem anderen Bundesland.

In Schleswig-Holstein sieht es nicht viel besser aus: Hier arbeiteten 74 Prozent der rund 14.000 KindergärtnerInnen nicht auf einer vollen Stelle. In Hamburg sind es 65 Prozent.

Die Bertelsmann-Stiftung, die in ihrem "Ländermonitor Frühkindliche Bildung" diese Daten erhob, kritisiert diese hohe Teilzeitquote. Vorstandsmitglied Jörg Dräger: "Kinder brauchen in ihrer Kita feste Bezugspersonen. Das ist eine zentrale Frage der Qualität."

Zu groß sind die Krippengruppen vor allem in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern. Statt des empfohlenen Betreuungsschlüssels von 3 : 1 beträgt er 5,1 : 1 und 5,2 : 1.

Im Vergleich der Bundesländer und Stadtstaaten im Norden hat Bremen sowohl im Krippenbereich wie bei den Drei- bis Sechsjährigen den besten Betreuungsschlüssel.

Allein aus Hamburg gibt es Erfolgsmeldungen aus dem Senat von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), der ein zentrales Wahlversprechen eingelöst und den Kita-Rechtsanspruch für Zweijährige bereits zum August 2012 eingeführt hat. „Bei uns sind genug Kita-Plätze vorhanden“, sagt Sozialbehörden-Sprecherin Nicole Serocka: „Wer einen braucht, bekommt auch einen.“

Rund 20.000 Kinder unter drei Jahren besuchen seit Anfang des Monats in Hamburg die Krippe – die Betreuungsquote liegt damit bei für Westdeutschland rekordverdächtigen 40 Prozent. Wenn im kommenden Jahr die Kita-Platz-Garantie auf alle Einjährigen ausgeweitet wird, müssen nach Senatsschätzungen 21.600 unter Dreijährige betreut werden. Nur 640 weitere Kita-Plätze, so Sozialsenator Detlef Scheele (SPD), müssten bis dahin noch geschaffen werden.

Doch der Hamburger Kita-Platz-Ausbau, der schon unter CDU-Regie im vergangenen Jahrzehnt forciert wurde – allein in den vergangenen vier Jahren wurden per anno etwa 1.400 neue Krippenplätze geschaffen – hat seinen Preis: Qualitätsstandards wurden abgesenkt, um den Krippenausbau möglichst kostenneutral auf den Weg zu bringen.

Masse statt Klasse heißt die Devise. Die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes zum Kita-Ausbau weisen aus, dass die Elbmetropole bundesweit im Krippenbereich inzwischen über einen der schlechtesten Personalschlüssel verfügt. Betreut in Bremen einE ErzieherIn im Schnitt 3,3 Kinder, in Schleswig-Holstein 3,7 und in Niedersachsen 4,1, so sind es in Hamburg im Mittel 5,1 Kinder. Empfohlen aber wird von Experten ein Personalschlüssel von drei zu eins.

Auffällig auch: In allen Bundesländern hat sich der Personalschlüssel im Krippenbereich zwischen 2008 und 2011 nachweislich verbessert – allein in Hamburg weist die Tendenz nach unten. Während 2011 rund 50 Prozent mehr Kinder in den Hamburger Krippen betreut wurden als 2006, stieg die Zahl der ErzieherInnen innerhalb des selben Zeitraums nur um gut ein Drittel: von 8.300 Fachkräften auf rund 11.000.

Die Folge: „Die Arbeitsdichte in den Krippen hat unheimlich zugenommen, die Not wird irgendwie weg improvisiert, doch immer mehr Erzieherinnen und Erzieher bekommen irgendwann einen Burn-out“, beschreibt Elimar Sturmhoebel vom alternativen Wohlfahrtsverband Soal die Folgen.

Eine andere Konsequenz: In vielen Kindertagesstätten gibt es aufgrund der Personalnot immer weniger Ausflüge, immer größere Gruppen, immer mehr Verwahrung statt aktiver Spiel- und Lernangebote. Die Leiterin einer Kita in Hamburg-Altona spricht deshalb bereits „von Bedingungen, die das Wohl der Kinder gefährden“.

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