Rechtsextreme Szene im Allgäu: Grüne Wiesen, brauner Sumpf

Sebastian Lipp beobachtet auf dem Blog allgaeu-rechtsaussen Rechtsextreme im Allgäu. Dort agiert Bayerns größte Nazi-Kameradschaft.

Ein Kuhfladen auf einer grünen Wiese

Das Allgäu, eine Idylle mit braunen Einsprengseln Foto: tvjoern/pixabay

Das Allgäu ist für viele Deutsche nicht viel mehr als eine schmucke Urlaubsregion: grüne Wiesen, weißblauer Himmel, die Berge am Horizont, die Küh vor der Nase. Sebastian Lipp, quasi dialektfrei, 30 Jahre jung, stammt von hier, aus Kempten. Er sagt: „Es gibt hier einen Sumpf, der reicht zurück bis in die 90er Jahre.“ Lipp meint nicht das Werdensteiner Moos, das nahe der Kleinstadt zu aufregenden Wanderungen einlädt. Er meint Bayerns größte noch existierende Neonazi-Kameradschaft.

Der Verfassungsschutz spricht von 60 bis 80 Personen in der Vereinigung Voice of Anger. Lipp sagt, der Dunstkreis, den diese Personen mobilisieren können, ist weitaus größer. Der Journalist beobachtet die Szene seit Jahren und verkauft die Geschichten an regionale und überregionale Medien. Für all die Zusatzinformationen, die weiterführenden Recherchen, den „Detailkram“, gibt es seit 2017 die Homepage allgaeu-rechtsaussen.de.

Der Name des Blogs mag irreführend sein. Zwischen dem ersten und dem zweiten Wort befindet sich im Layout der Homepage ein durchgestrichener Pfeil. Lipp möchte über Dinge aufklären, die in der Bilderbuch­idylle gern weggeschwiegen werden. Er behauptet, die Allgäuer Gesellschaft begünstige Untergrundstrukturen, weil so gar kein Bewusstsein für die Problematik herrsche: „Wir glauben, wir müssen das in die Öffentlichkeit zerren, damit die Leute gezwungen sind, sich damit auseinanderzusetzen.“

Für Lipp und seinen Kollegen Norbert Kelpp heißt das, ständig hinzuschauen. Und Verbindungen zu erkennen. Wie diese Arbeit funktioniert, lässt sich am Beispiel Gastraum Illertissen nachvollziehen. Im Mai dieses Jahres eröffneten Philipp Mörwald und Oliver Rieger die neue, hippe Eventlocation mit Restaurant und Übernachtungsmöglichkeiten. Über ein Jahr lang hatten die beiden dafür die ehemalige evangelische Christuskirche aufwendig umgebaut.

Duftbaum „Obersalzberg“

Philipp Mörwald – der Name allerdings kommt Sebastian Lipp bekannt vor. Und er hat recht: Mörwald, der sich tagsüber im werdenden Gastraum nützlich macht, steht nach Feierabend mit der Gitarre im Studio. Hier entsteht das neue Album seiner Band Act of Violence. Der limitierten Ausgabe der Platte liegt ein Duftbaum „Obersalzberg“ bei. AoV ist keine vorsichtig mit dem rechten Rand liebäugelnde Band. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indizierte das dritte Album wegen Gewaltaufrufen sowie nationalsozialistischer und antisemitischer Texte.

Sebastian Lipp telefoniert mit Oliver Rieger, dem Geschäftspartner des Rechtsrockers Mörwald: „Was macht’s ihr da eigentlich? Ist das eine Eventlocation oder ein Nazitreff?“ Rieger bestätigt, er sei aus allen Wolken gefallen. Er bezahlt Mörwald aus, der dann gegenüber der Regionalpresse von der Unvereinbarkeit des Projekts mit seinem Hauptberuf schwadroniert. Lipp, triumphal: „Da haben wir gesehen, dass unsere Recherchen etwas bewirken.“

Das sind keine Randtypen, die sind extrem gut in die Gesellschaft integriert

Gleichzeitig soll die Geschichte als symptomatisch gelten für Parallelstrukturen inmitten der eigentlich dörflichen Gesellschaft, in der doch jeder jeden kennt. Die Besonderheit der Szene: Nur wenige Mitglieder entsprechen dem klassischen Skinhead-Klischee. „Die geben sich hip“, sagt Lipp, „die sind bei Instagram. Der eine ist Tätowierer, der nächste Landwirt, noch einer hat eine Biogasanlage. Das sind keine Randtypen, die sind extrem gut in die Gesellschaft integriert.“

Die traditionelle Verankerung der organisierten Neonazis im Allgäu und in Schwaben bedingen einen Fokus der Arbeit von Sebastian Lipp. Er hat in den vergangenen Jahren mehr Rechtsrock gehört, sei es für die Recherche oder auf Konzerten, als gesund sein kann. Im Zuge der Etablierung der AfD, ihrem Einzug in den Bundestag und, jetzt, in den Landtag, kam ein neuer Aspekt hinzu. Mit 10,2 Prozent liegt die AfD bei der Landtagswahl im Allgäu exakt auf dem Landesdurchschnitt. Ein Verlust im Vergleich zur Bundestagswahl.

Der AfD im Allgäu gefällt die Arbeit des Journalisten nicht

Ob es auch an den vermehrten Protesten Lag? Lipp will das gerne glauben. Handfester ist der Zusammenhang mit einer Personalie: Peter Felser aus Dillingen an der Donau, Wahlkreis Oberallgäu, ist mittlerweile Vize-Vorsitzender der Bundestagsfraktion. Die Personalie fehlt der Partei im Allgäu.

Über Felser schrieb Lipp zum Beispiel, dass der einen ehemals militanten Neonazi in seinem Medienverlag angestellt hatte. Und dass Peter Felser selbst in den 90ern Videos für die Republikaner produzierte.

Der AfD im Allgäu gefällt die Arbeit des Journalisten freilich nicht. Man verweigerte dem Journalisten die Akkreditierungen für Wahlkampfveranstaltungen – weil der Saal schon voll sei. Also schickte Lipp übertrieben frühzeitige Anmeldungen. Die Ehrenvorsitzende des Kreisverbands Oberallgäu, Dorothe Merlot, teilte ihm daraufhin mit, er könne wegen seiner „Hass-Berichterstattung“ nicht mehr als „normaler Gast“ betrachtet werden.

Die E-Mail verdeutlicht auf eindrückliche Art, wie die AfD versucht, sich kritische Berichterstattung vom Leib zu halten. Damit verstoße sie, so die Gewerkschaft Verdi in einer Mitteilung, gegen das Grundrecht auf Pressefreiheit.

„Bei uns gibt es keine Probleme“

Sebastian Lipp muss damit leben, dass es andere Journalisten gemütlicher haben. Aber sein Fokus hat sich nicht aus dem Beruf ergeben, sondern andersherum, der Beruf aus dem Fokus. Durch den Einzug der AfD in den Landtag wird die Arbeit für ihn nicht weniger werden. „Die Alternative wäre, dass die machen können, was sie wollen, und keiner schaut hin. Das will man natürlich nicht haben.“

Also begeben Kelpp und er sich in ein Milieu, das mit linker Journaille nicht gerade zimperlich umgeht. Nach einer NPD-Veranstaltung waren die Scheiben von Kelpps Auto eingeschlagen. Beide müssen sich Bedrohungen unter Facebook-Posts der AfD gefallen lassen.

Klar werde man vorsichtiger, wenn man nachts allein durch Kempten gehe, klar schaue man sich um. Aber andererseits dürfe man sich nicht einschränken, weil die dann gewonnen haben. Und überhaupt: „Das Allgäu ist so idyllisch und so schön. Bei uns gibt es keine Probleme“, sagt Sebastian Lipp, meint’s ironisch und grinst.

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