Reformen in China: Staat macht Revolution

Zentralisierte Macht, mehr Markt für die Wirtschaft, starke Staatskonzerne, keine Umerziehungslager, mehr Babys: So sieht für Chinas KP die Zukunft aus.

In der Großen Halle des Volkes zu Peking: Xi Jinping – Chef von 1,4 Milliarden Menschen. Bild: reuters

PEKING taz | Die historische Zäsur hat sich so manch einer sicherlich anders vorgestellt: Mit monotoner Stimme verliest die Nachrichtensprecherin in der 19-Uhr-Sendung einige verklausuliert formulierte Versatzstücke des Abschlusskommuniqués. Konkrete Beschlüsse werden wenige Stunden nach Abschluss des 3. ZK-Plenums keine verkündet. Dabei hatte Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping vor dieser wichtigen Sitzung der Kommunistischen Partei im November noch die „größte Reform seit 35 Jahren“ versprochen.

Erst Tage später werden Details der Beschlüsse bekannt. In 60 Punkten wird die absolute Führungsanspruch der Kommunistischen Partei bekräftigt, zugleich aber auch ein Ende der Umerziehungslager und die weitere Lockerung der Einkindpolitik angekündigt. Dem Markt soll eine „entscheidende“ Rolle im chinesischen Wirtschaftssystem zukommen. Zudem ist von der schrittweisen Aufhebung des unter Chinas Wanderarbeitern so verhassten Meldesystems (Hukou) die Rede.

Doch wie einschneidend werden diese Reformen für China wirklich sein? Ein paar Beispiele im Überblick:

Nach Maos Tod schworen sich die Spitzenkader der KP, dass nicht noch einmal so viel Macht in den Händen einer Person konzentriert werden dürfe. Das war die Lehre aus Maos verheerender Kulturrevolution, die das Land fast ein Jahrzehnt lang in Chaos stürzte. Nun könnte dieser Schwur gebrochen werden.

Mit der Gründung einer Nationalen Sicherheitskommission will die Parteispitze einen Machtapparat schaffen, der allen Ministerien und Behörden in Krisen- und Verteidigungsfällen, aber auch in Fragen der inneren Sicherheit und der Terrorismusbekämpfung übergeordnet ist. Details sind bislang nicht bekannt. Alles deutet darauf hin, dass KP-Chef Xi dieser Kommission vorstehen wird. Das würde ihn so mächtig machen, wie es seit Mao keiner mehr war.

Regierungsnahe Sicherheitsexperten verweisen darauf, dass ein übergreifendes Gremium nötig sei, um die vielen Behörden besser zu koordinieren. Die USA, Russland, Südkorea und Japan verfügten bereits über solche Sicherheitsräte. China ziehe da bloß nach. Kritiker hingegen befürchten, Xi könne diesen Sicherheitsrat nach dem Vorbild des sowjetischen KGB auch gegen inner- und außerparteiliche Gegner verwenden.

Starke Staatsbetriebe und mehr Markt

So sehr China sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten der Exportwirtschaft zugewandt hatte und zur Werkbank der Welt aufgestiegen ist – im Land selbst dominieren weiterhin Unternehmen und Großbanken in staatlicher Hand. Ihr Vermögen bildet das ökonomische Rückgrat der Kommunistischen Partei.

Doch in den vergangenen Jahren sind sie zunehmend zum Problem geworden: Viele von ihnen gelten als ineffizient, haben gewaltige Überkapazitäten angehäuft. Die Parteikader, die in diesen Firmen das Sagen haben, gelten als besonders korrupt. Für entstandene Verluste muss immer wieder die Zentralregierung herhalten, die ihr Geld aus dem Haushalt zieht.

Nun will Chinas Führung privates Unternehmertum stärker fördern. Volkswirt Dong Tao von der Credit Suisse hält diese Ankündigung für „eine Revolution für chinesische Verhältnisse“. Andere Experten zeigen sich weniger euphorisch: Die Macht der Staatsbetriebe werde auch weiterhin nicht gebrochen, die parteiinternen Widerstände seien zu groß.

Künftig mehr Paare mit zwei Kindern

Auch 35 Jahre nach Einführung der Einkindpolitik gilt diese Regelung noch für etwa ein Drittel der Paare Chinas: Sie müssen mit hohen Geldstrafen rechnen und werden von den Behörden benachteiligt, sollten sie ein zweites Kind in die Welt setzen. Immer wieder kam es auch zu Spätabtreibungen und Zwangssterilisationen.

In den letzten Jahren wurden die Vorschriften vielerorts gelockert: So dürfen beispielsweise Angehörige ethnischer Minderheiten mehr Kinder bekommen, auf dem Lande ist ein zweites Kind erlaubt, wenn das erste ein Mädchen ist oder beide Elternteile selbst Einzelkinder waren.

Chinesische Demografen warnen schon länger vor einer rasanten Alterung der Gesellschaft Schon jetzt ist mit über 200 Millionen Menschen fast jeder siebte Chinese über 60 Jahre alt. Bis 2025 wird sich die Zahl auf 300 Millionen erhöhen.

Dass nun aber ein Babyboom ausbricht – damit rechnet keiner. Wang Feng, Soziologin an der Universität in Irvine, verweist darauf, dass viele Paare gar keine große Familie mehr haben wollen. Mit dem Wechsel von der Einkind- zu einer Zweikindpolitik könnte die Zahl der Neugeborenen womöglich um jährlich 1,6 Millionen steigen.

Umerziehungslager werden dichtgemacht

Schanghai und die zentralchinesische Millionenstadt Changsha haben mit der Schließung der Lager, die als „Erziehung durch Arbeit“ (Laojiao) bekannt sind, bereits begonnen. Weitere Städte wollen folgen. Amtlichen Angaben zufolge gibt es in China derzeit noch 351 solcher Umerziehungslager, in denen 2012 mehr als 50.000 Personen einsaßen. Bürgerrechtler sprechen von deutlich höheren Zahlen.

1957 hatte Mao hatte das Laojiao-System eingeführt. Polizisten und Funktionäre können seither jeden – ob Dieb oder Dissident – ohne Gerichtsurteil und Verteidiger drei Jahre einweisen, heute sogar bis zu vier Jahre.

Nun fragt sich: Womit werden diese Lager ersetzt? Noch gibt es keine schlüssigen Hinweise darauf, dass diejenigen, die dort bislang gelandet sind, künftig mit einem Verfahren vor einem ordentlichen Gericht rechnen können.

Städter und Bauern: Zweiklassenrecht gelockert

Wer in China vom Land kommt, gilt amtlich als „Bauer“. Selbst wenn er seit Jahrzehnten in der Stadt lebt und arbeitet. Das hängt mit dem strengen Meldesystem (Hukou) zusammen, dass Mao einst eingeführt hatte, um einen unkontrollierten Zuzug von Menschen vom Land in die Städte zu vermeiden.

Für die Betroffenen ist das sehr belastend: Die heute rund 300 Millionen leben und arbeiten in Orten, in denen sie nur ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht haben. Sozialleistungen der Städter – etwa der Schulbesuch der Kinder oder eine Gesundheitsversorgung – sind ihnen versagt.

Das strenge Meldesystem soll nun ein Stück weit gelockert werden: Landbewohner dürfen sich künftig in mittelgroßen Städten niederlassen. Diese Art der Urbanisierung dürfte auch die Wirtschaft beflügeln. Allerdings bleiben Wanderarbeiter in Peking, Schanghai oder Guangzhou weiter ohne Stadtrechte.

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