Regierung im Kongo: Ausgang offen

Am Montag endet die reguläre Amtszeit des Präsidenten Joseph Kabila. Und dann? Der kongolesische Aktivist Fred Bauma macht sich auf alles gefasst.

Menschen auf Stühlen

Äußert sich nicht über seine Pläne: Joseph Kabila Foto: reuters

Wenn Fred Bauma aus dem Gefängnis erzählt, wechseln die Mienen seiner Zuhörer in Berlin zwischen Ungläubigkeit und Entsetzen. Der junge Kongolese saß 50 Tage in Gewahrsam des Geheimdienstes und dann 15 Monate im Zentralgefängnis der Hauptstadt Kinshasa. Der Vorwurf: Umsturzversuch und Gefährdung des Lebens des Staatschefs. Das Vergehen: eine Pressekonferenz im März 2015.

Beim Haftrichter sagte der Staatsanwalt, er kenne den Inhalt der Anklage nicht. Der Richter gestand ein, er stehe unter Druck. Es gab nie einen Prozess. Auf internationalen Druck kam Bauma im August 2016 wieder frei. Aber was man ihm vorwirft und worauf im schlimmsten Falle die Todesstrafe steht, gilt weiter. Seitdem zieht der 26-Jährige unermüdlich durch die Welt, vom US-Kongress in Washington bis zur taz in Berlin, um der Staatengemeinschaft klarzumachen, was in seinem Land geschieht – und was diesem ab dem 19. Dezember blühen könnte, wenn die politische Krisensituation explodiert.

Kinshasas Zentralgefängnis Makala, erzählt Bauma, sei „der Kongo in Miniatur“. 8.000 Häftlinge sitzen in Zellen für 1.500 Insassen, meist ohne Prozess. Nur wer gute Kontakte nach draußen hat, kann seine Rechte geltend machen. Ein Jugendlicher hatte 500 kongolesische Franc gestohlen, etwa einen halben Euro. Er sollte 1.000 Franc zahlen, um freizukommen. Die hatte er nicht. Die Summe stieg auf 100 US-Dollar, ein Vermögen. Weil er nicht zahlen kann, bleibt er in Haft.

Kabila, einst Leichtgewicht im Krokodilsteich …

Empörung über die Entrechtung der 80 Millionen Kongolesen stand am Ursprung der Aktivistengruppe „La Lucha“ – spanisch für „Kampf“ und eine Abkürzung für das französische „Lutte pour le Changement“, Kampf für den Wandel. Ihr Kern war eine Gruppe politisch interessierter Studenten in Goma, der großen Metropole im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Fred Bauma war einer von ihnen.

In Goma mit seinen kaputten Straßen, auf denen nachts zuweilen Gewehrfeuer zu hören ist, mit seinem Nebeneinander vom Elend der Kriegsvertriebenen und Luxus weißer Helfer, mokierte man sich nach der Wiederwahl von Präsident Joseph Kabila Ende 2011 gern über dessen Parole von der „Revolution der Moderne“. Die sollte seine zweite gewählte Amtszeit 2011–16 prägen, nach den ebenso abstrusen „fünf Baustellen“ seiner ersten Amtszeit 2006–11.

Gomas Studenten stellten einfache Fragen. Wieso gibt es in einer Stadt am See kein sauberes Wasser? Wieso werden Verbrecher in die Armee aufgenommen? Wieso gibt es Wahlen, aber dann bereichern sich die Gewählten auf Kosten der Wähler?

Antworten auf solche Fragen gibt es im Kongo bis heute nicht. Das riesige Land von der Größe Westeuropas ist eines der ärmsten der Welt mit den reichsten Bodenschätzen der Erde. Es hat die brutalste europäische Kolonialherrschaft Afrikas hinter sich, eine der zynischsten Diktaturen, einige der verheerendsten aller Bürgerkriege. Die Generation, die damit in den letzten zwanzig Jahren aufgewachsen ist, hat nicht viel Respekt vor den Verantwortlichen.

Als Joseph Kabila im Januar 2001 Präsident wurde, mitten im Krieg, war er erst 29 Jahre alt. Er war Stabschef der Armee, ernannt von seinem Vater und Präsidenten Laurent-Désiré Kabila, bedrängt von Rebellen. Kabila junior, völlig unerfahren, führte die Truppen von Niederlage zu Niederlage. Als sein Vater am 16. Januar 2001 vom eigenen Leibwächter in Kinshasa erschossen wurde, war der Sohn der ideale Nachfolger auf Zeit: ein Leichtgewicht im Krokodilsteich, das niemand ernst nahm.

Joseph Kabila wurde wenige Tage nach George W. Bush in den USA Präsident seines Landes. Bush ist heute Geschichte. Kabila ist Gegenwart. Der junge General errichtete ein knallhartes Machtsystem. Aber man pries ihn als Stabilitätsfaktor: Er lud UN-Blauhelme ein, er nahm bewaffnete Gegner in die Regierung auf, er gewann 2006 die ersten freien Wahlen der kongolesischen Geschichte.

Zu diesem Anlass trat eine neue Verfassung in Kraft, die Kongos Präsident zwei fünfjährige Amtszeiten gewährt. Würde er also nach zehn Jahren die Macht friedlich an einen gewählten Nachfolger übergeben, Kabila würde wohl als großer Staatsmann in die Geschichte Afrikas eingehen.

Seine zweite Amtszeit endet am 19. Dezember 2016 um Mitternacht. Es hat keine Neuwahlen gegeben. Also bleibt Kabila im Amt. Einfach so. Wie lange? Niemand weiß es. Die Wahlkommission stellt 2018 in Aussicht. Niemand glaubt es.

Es ist nicht einmal klar, ob Kabila nicht doch noch kandidiert, entgegen der Verfassung. Er hat sich dazu nie klar geäußert. Als Anfang 2015 die ersten Befürchtungen darüber laut wurden, regten sich die ersten Jugendproteste, angeführt von Gruppen wie Lucha. Dutzende Menschen wurden getötet, vor allem in Kinshasa und Goma, der Hauptstadt des Friedens und der Hauptstadt des Krieges. Lucha wird seitdem als terroristische Organisation bezeichnet. Am 19. September 2016 töteten Polizei und Präsidialgarde erneut Dutzende Demonstranten.

Für nächsten Montag rufen die Protestgruppen nun zum Volksaufstand auf. Unter Berufung auf das Widerstandsrecht in Kongos Verfassung zirkuliert ein „patriotischer Appell“ an die 80 Millionen Kongolesen: Geht auf die Straße. Besetzt den Präsidentenpalast, das Parlament, das Staatsfernsehen. Tretet in den Streik. Beschlagnahmt die unrechtmäßig erworbenen Güter der Elite – eine lange Liste der „Diebe der Republik“ ist angehängt. Soldaten und Polizisten sollen nicht auf ihre Landsleute schießen. Minister, Abgeordnete und öffentliche Amtsträger sollen ihre Ämter niederlegen.

Der 19. Dezember 2016, sagt Bauma, ist „der wichtigste Tag in unserer Geschichte seit dem Unabhängigkeitstag, dem 30. Juni 1960“. Wenn Fred Bauma über diese Dinge spricht, ist bei ihm Angst zu spüren, aber auch Entschlossenheit.

Es scheint kein Zurück zu geben, für keinen Akteur in dieser Krise mit Ansage. Der Widerstandsaufruf steht. Die Regierung hat massiv aufgerüstet. Die Telekommunikationsdienstleister sollen ab 18. Dezember um 23.59 Uhr alle sozialen Netzwerke abschalten. Wichtige westliche Botschaften rufen ihre Bürger dazu auf, das Land zu verlassen. Der UN-Sicherheitsrat äußert seine Sorge „über das Risiko der Destabilisierung des Landes und der gesamten Region“. Die UN-Blauhelmmission im Kongo nennt die Lage „unsicher und explosiv“. Letzte politische Verhandlungen in Kinshasa unter Vermittlung der katholischen Kirche wurden am Freitagmittag ergebnislos abgebrochen.

… ist inzwischen zum Machtmonster geworden

Wenn Joseph Kabila wollte, sagt Fred Bauma, könnte er die Situation sofort entschärfen, indem er erklärt, bei Neuwahlen nicht mehr antreten zu wollen. Klar ist: Es gibt jetzt eine Übergangszeit bis zu Wahlen. Am Ende sollte aber ein neuer Präsident stehen – nicht eine erzwungene Wiederwahl Kabilas.

Kabila ist nicht mehr der schüchterne junge Mann von 2001. Er ist ein millionenschwerer Herrscher mit einer eigenen schlagkräftigen Garde als Parallelarmee und einem eigenen Kabinett als Parallelregierung. Seine Ehefrau und seine Geschwister sind landesweit gefürchtet. Laut Börsenaufsicht der USA hat er Millionensummen aus Mittlergeschäften bei der Vergabe von Bergbaulizenzen kassiert.

Die Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg enthüllte diese Woche, dass die Familie Kabila ein Firmenimperium aus mindestens 70 Unternehmen kontrolliert, mit mindestens 120 Förderlizenzen für Mineralien und Interessen in Banken, Agrarbetrieben, Treibstofflieferanten, Fluglinien, einer Straßenbaufirma, Hotels, Reisebüros und Nachtklubs. Das Geflecht sei „so allumfassend, dass sogar scheinbar unverdächtige Zahlungen, wie UN-Miete für eine Polizeistation, ihren Weg zur Kabila-Familie finden“, schreiben die Bloomberg-Journalisten, die den Kongo sehr gut kennen und ein Jahr lang recherchierten.

Natürlich gibt der Präsident das alles nicht auf, bloß weil es in einer Verfassung steht, die es noch gar nicht gab, als er Präsident wurde. Die internationale Stabilisierung des Kongo nach Jahren des Krieges, mit Milliardenhilfen und der größten Blauhelmmission der Welt, ging einher mit der Schaffung eines Machtmonsters. Jetzt wird die Weltgemeinschaft die Geister nicht mehr los, die sie rief. Sie reagiert, indem sie dem Kongo den Rücken kehrt. Die EU und die USA haben bereits Sanktionen verhängt.

Aber die Kongolesen müssen damit leben. Fred Bauma will heimkehren, obwohl ihm die Todesstrafe droht. „Ich habe nur ein Land, und das ist der Kongo“, sagt er, und zum ersten Mal stehen dem jungen Mann Tränen in den Augen. „Vielleicht wird man mich verhaften. Aber ich möchte den Augenblick nutzen, in dem ich frei bin, um zu sagen, was ich denke. Und ich möchte in meinem Land frei sein.“

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