Regisseur über Fußball-WM im TV: „Freude sichtbar machen“

Liveübertragungsregisseur Volker Weicker bemängelt das fußballerische Niveau der WM. Die Regie müsse Aufmerksamkeit über andere Wege schaffen.

Ein TV-Kameramann filmt im Stadion unter Überwachungskameras

Sehen und gesehen werden: die WM 2018

taz: Herr Weicker, hat diese WM Bilder geschaffen, die Ihnen im Gedächtnis bleiben?

Volker Weicker: Bisher noch nicht. Ich fand die WM von der fußballerischen Qualität eher ein bisschen langweilig, weil alle auf diesen Ballbesitzfußball umgestiegen sind. Aber was sagt die Zahl von soundsoviel Pässen aus, wenn es hinten immer nur quer hin und her geht? Viele Mannschaften haben sich so gegenseitig neutralisiert, was natürlich keine spannenden Bilder gibt. Darum hat die Regie versucht, Aufmerksamkeit zu generieren, indem man sehr viele Zuschauer eingeblendet hat.

Die Zuschauer sind die neuen Stars?

Kann man so sagen. Sie sind jedenfalls sehr prominent im Fernsehen zu sehen. Das finde ich im Prinzip auch gut, weil dadurch Emotionen sichtbar werden. Aber man merkt auch, dass die Leute mittlerweile verkleidet wie zum Karneval in die Stadien gehen – in der Hoffnung, dass sie mit einem auffälligen Kostüm ins Fernsehen kommen. Das wirkt manchmal sehr kalkuliert.

Das Bewusstsein, Teil eines medialen Ereignisses zu sein, ist gestiegen?

Ja, und in diesem Umfang ist auch neu, dass die Fernsehbilder auf den Großbildschirmen im Stadion übertragen werden. Deshalb hat man viele Zuschauer gesehen, die gar nicht aufs Spielfeld schauen, sondern auf die Bildschirme. Wenn sie sich dort selber sehen, reagieren sie jubelnd auf ihr eigenes Bild. Das finde ich eher schade, weil ich es spannender finde, wenn Menschen auf das Spiel reagieren, statt sich selbst zu feiern.

61, ist Regisseur für Liveübertragungen von Sport- und Kulturereignissen und Professor an der Kunsthochschule für Medien in Köln.

Warum wird von der Regie eigentlich oft in dem Moment weggeschnitten, wenn die Zuschauer sich selber auf der Großleinwand erkennen?

Die Emotionen – die Freude, die Trauer – sollen möglichst spontan wirken, nicht für die Kamera inszeniert.

Bei früheren Turnieren wurden die Superstars oft stärker inszeniert. Das war diesmal anders, Ronaldo und Messi waren früh raus, die ganz großen Duel­le gab es da nicht …

Man muss immer mit dem arbeiten, was man hat. Dieser Ballbesitzfußball ist ja vor allem ein Fehlervermeidungsfußball. Das führt dazu, dass der Angriffsfußball und die genialen Einzelspieler nicht so zum Zuge kommen. Und das ist schwierig für Heldengeschichten. Einen richtigen Helden hat diese WM noch nicht hervorgebracht.

So ein Superstar muss sich aber selbst dazu machen, die Medien allein können das nicht?

Nein, das geht auf dem Fußballplatz nicht. Sonst werden im Fernsehen ja alle fünf Minuten neue Glitzersternchen hochgejazzt, die überhaupt nichts drauf haben und nur berühmt sein wollen. Da wird immer wieder die Regel gebrochen, die lautet: Stop making stupid people famous! An die hält sich das Fernsehen nie. Aber im Sport kann man das komplett vergessen. Sie können nicht durch Bildauswahl und Regie bei einem Spiel jemanden zu einer wichtigen Person machen, der die Leistung auf dem Platz nicht bringt. In der Beziehung ist Fußball sehr ehrlich.

Die Spieler sind sich ihres medialen Bilds aber auch genau bewusst.

Allerdings, nicht nur Zuschauer haben ihr Bild auf der Großbildleinwand im Stadion verfolgt, auch manche Spieler haben ihre Aktionen dort noch mal betrachtet. Da habe ich schon gedacht: Brauchen wir das wirklich?

Die Generation Selfie steht jetzt auf dem Platz.

Genau, es ist eine Generation, die damit groß geworden ist, dass alles in Videobildern festgehalten wird – und diese Bilder in Echtzeit ständig überprüft werden. Das ist wie bei den Konzerten, bei denen alle mit ihren Handys filmen, um das Ereignis festzuhalten, dadurch aber gar nicht richtig dabei sind.

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Neu bei dieser WM war der Einsatz des Videoassistenten. Dann hat man einen Split-Screen gesehen, auf dem es drei Bilder gleichzeitig gab. Den Schiedsrichter, den Blick in den Raum des Videoassistenten und die strittige Szene selbst.

Das machen wir in den Bundesliga-Übertragungen auch so. Man muss dem Zuschauer ja kenntlich machen: Das ist jetzt keine normale Zeitlupenwiederholung, das ist die Szene, um die es geht. Insgesamt hatte ich den Einsatz sogar inflationärer erwartet, fand das dann aber ganz angemessen.

Sehr angesagt in den Fernsehstudios sind gerade Projektionen und Hologramme der Spieler.

Virtual Reality gilt zurzeit als der heiße Scheiß. Ich persönlich bin kein Freund davon. Wenn da Spieler als Hologramm im Studio stehen, und die haben wegen einer Verzerrung plötzlich ganz kleine Beine, finde ich das nicht schön. Und ob ein Logo jetzt als Hologramm eingeblendet wird oder hinten auf der Videowand zu sehen ist, ist dem Zuschauer doch egal.

Warum fahren dann alle so drauf ab?

Die Sender hoffen, dass sie sich dadurch besser von ihren Mitbewerbern absetzen. Wenn man sich aber die Studiodesigns von ARD und ZDF bei der WM anschaut, dann sieht man da keinen großen Unterschiede – der kommt nur über die unterschiedliche Köpfe der Sender. Vieles ist allerdings auch Geschmackssache. Ich könnte jedenfalls darauf verzichten, dass sich vor Holger Stanislawski ein virtuelles Stadion aufbaut, bevor er mit der Taktikanalyse beginnt. Er könnte einfach sagen: „Gucken wir uns die Szene an“ – und dann geht’s los.

Bei den Spielen gab es auch immer den Hinweis der Kommentatoren, dass man sich in den Mediatheken gerade gezeigte Szenen noch mal aus ganz vielen anderen Perspektiven anschauen kann. Macht das jemand?

Das ist ein Angebot für Fußballnerds, das sind minimale Zugriffszahlen. Das breite Publikum will ja weiter das Spiel schauen und sich jetzt nicht die Torszene noch mal aus drei anderen Winkeln raussuchen. Als Bildregisseur kriegt man hinterher immer Kritik, dass eine Zeitlupeneinstellung gefehlt hat oder es die falsche war. Live muss man das ja in Sekundenbruchteilen entscheiden, und da vertut man sich schon auch mal mit der Entscheidung – das ist dann aber halt so.

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