Reißerische Medienberichterstattung: Wie kam der Warnschuss in die Welt?

An der deutschen Grenze wird ein Warnschuss gegenüber Flüchtlingen abgegeben. Eine schwerwiegende Nachricht. Aber ist sie echt?

Filmstill John Rambo

Auch so ein Rambo: Rambo. Foto: dpa

BERLIN taz | Die Meldung des Senders RTL am Dienstagmorgen ist so kurz, wie einschneidend. An der deutschen Grenze zu Österreich hätten Polizeibeamte in der Nacht Warnschüsse gegenüber Flüchtlingen abgegeben.

In der Sendung „Guten Morgen Deutschland“ verbreitet der Sender die Meldung ab 6 Uhr in Großbuchstaben (SCHÜSSE AN DER GRENZE) und vor allem – als Tatsachenbehauptung. Die Nachricht hat Potenzial, allein: Sie genügt nicht den Kriterien einer Nachricht. Dennoch behauptet der Nachrichtenableger „RTL Aktuell“ noch Stunden später auf seiner Homepage: „Am Grenzübergang Freilassing-Salzburg gaben Polizisten Warnschüsse ab.“ In der Zwischenzeit fragen sich Fernsehzuschauer und Nutzer bei Twitter: Hat die sogenannte Flüchtlingskrise eine neue Dimension erreicht?

Nein, wohl nicht. Die Nachricht ist vielmehr ein Beispiel für das, was passiert, wenn Hysterie das Nachrichtengeschäft erobert. Was auch die Kollegen von RTL in kurzer Zeit hätten herausfinden können und müssen: Der Ursprung der Nachricht ist äußerst windig.

Es war 1.21 Uhr in der Nacht als eine Agentur an RTL einen Text mit der fraglichen Information versendet. Darin heißt es wörtlich: „In Freilassing mussten Polizisten am Montagabend sogar Warnschüsse abgeben.“ Schon in diesem Text wird keine Quelle für die Tatsachenbehauptung genannt. RTL übernimmt die Information dennoch ungeprüft.

Im Bild bewaffnete Polizisten

Dann greifen zahlreiche weitere Onlineportale die Nachricht auf - darunter Stern.de, das Neue Deutschland oder die österreichische Kronen Zeitung. Immerhin: Viele nutzen das Warnwörtchen „offenbar“ oder verweisen auf die Quelle RTL, wohl in dem Vertrauen, dass die Kollegen die Information schon geprüft haben werden.

Dann beginnen die unterschiedlichen Erzählweisen: Über einem Text auf Vice steht die Schlagzeile „Warnschüsse gegen Flüchtlinge: Die Bundespolizei macht ernst“. Darunter, im Bild, sind bewaffnete Polizisten zu sehen. Im folgenden Text wird dann etwa behauptet, ein RTL-Reporter habe von den Schüssen berichtet. Dies steht allerdings gar nicht im fraglichen RTL-Text. Naja, vielleicht nur ein Missverständnis. Immerhin verzichtete RTL schließlich auch darauf kenntlich zu machen, dass die vermeintliche Information, die der Sender stolz als seine eigene präsentierte, lediglich von einer Agentur stammte.

Nur eines passiert scheinbar nicht im leichtfüßigen Mediengeschäft an diesem Dienstag. Die eigentliche Quelle ruft offenbar niemand an.

„Definitiv kein Schuss“

Ein Polizeisprecher der zuständigen Polizei Oberbayern-Süd sagt der taz: „Es hat definitiv keine Schussabgabe gegeben. Weder von der deutschen Landespolizei, noch von der Bundespolizei, noch von Kollegen in Österreich.“

Die Quelle ist ein Polizeiberichterstatter. Er gehört zu einer journalistischen Spezies, die darauf angewiesen ist, Informationen aus Behörden gesteckt zu bekommen, auch aus Reihen der Polizei. Man erzählt sich, dass in dieser Szene auch gerne mal der Polizeifunk abgehört wird.

Gemeinhin gilt im Journalismus die einfache Regel: Für eine Nachricht braucht es zwei voneinander unabhängige Quellen. Wenn es nur eine gibt, ist das zu kennzeichnen. Am Ende dieses Tages gilt: Für die Information um den vermeintlichen Warnschuss gibt es nur eine Quelle, die wiederum ihre Quelle nicht nennen will. Ergo: Die Nachricht ist keine Nachricht.

Update: Nach einer Anfrage der taz setzte RTL Aktuell die vermeintliche Information um den Warnschuss auf seiner Homepage zunächst in den Konjunktiv. Dann strich RTL sie ganz aus dem Text. Ihre Leser über die Falschinformation zu benachrichtigen, hielt RTL offenbar nicht für nötig. Über dem Text von Vice steht inzwischen: „Wir haben daraus gelernt und werden unsere Quellen in Zukunft genauer prüfen.“

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