Religiöse Erziehung: Gretchenfrage in der Tagespflege

Die Kieler Stadtverwaltung will von Tagesmüttern wissen, welcher Religion sie angehören. Hamburg praktiziert eine andere Regelung.

Eine Frau geht mit fünf Kindern über die Straße

Wie hast du‘s mit der Religion - in Kiel müssen Tagesmütter der Verwaltung ihre religiöse Praxis offenlegen. Foto: dpa

HAMBURG taz | Tagesmütter in Kiel haben in diesen Tagen unerwartet Post von der Stadtverwaltung bekommen: einen kurzen Fragebogen - zu ihrem Glauben. Die Verwaltung will wissen, welcher Religion die BetreuerInnen angehören und welchen Einfluss das auf ihre pädagogische Arbeit hat. Außerdem verpflichtet sie die von ihr geförderten Tagesmütter, schon beim Erstkontakt Eltern über ihren Glauben und die Auswirkungen auf den Alltag in der Betreuung zu informieren. Das Schreiben liegt der taz vor.

Dieser Brief ging an Tagesmütter, die zuvor schon von der Behörde auf ihre Eignung geprüft worden sind. Sie haben dafür pädagogische Konzepte abgegeben und müssen regelmäßig neue Erlaubnisse beantragen. Eine städtische Richtlinie gibt der Verwaltung die Möglichkeit, die Geldzahlung einzustellen, wenn die religiöse Erziehung der Tagesmutter anders ist, als von den Eltern gewollt. Welchen Hintergrund und welche Folgen die nun geforderte Selbstauskunft hat, konnte die Stadtverwaltung am Montag nicht beantworten.

Beim Bundesverband Kindertagespflege ist man irritiert über das Kieler Vorgehen. „Eine reine Abfrage sagt nichts aus“, sagt Sprecher Heiko Krause. Er ist nicht gegen Schutzmechanismen der Behörden gegen religiöse Extremisten. „Aber wenn die Stadt vernünftig arbeitet und gut kontrolliert, dann müsste es auch so auffallen, wenn jemand Anhänger einer Sekte ist oder Salafist.“ Er wirbt für verbindliche Regeln, die möglichst überall gelten.

Die Realität in der Tagespflege sieht bisher anders aus. Zwar gibt es grobe Regeln per Bundesgesetzgebung (siehe Kasten), doch die konkrete Umsetzung liegt in den Händen von Ländern und Kommunen. Schon bei der Frage, wie umfangreich die Fortbildung gewesen sein muss, um Tagespflegeperson werden zu können - so die offizielle Bezeichnung für Tagesmütter und väter - gibt es regional große Unterschiede.

Die grundsätzlichen Regeln für die Betreuung von Kindern bei Tagesmüttern stehen im Sozialgesetzbuch. Alles Weitere legen die Länder und Kommunen fest - zum Teil höchst unterschiedlich.

Antrag: Wer ein oder mehrere Kinder außerhalb ihres Zuhauses mehr als 15 Stunden wöchentlich, gegen Bezahlung und länger als drei Monate betreuen will, muss eine Genehmigung beim Kreis oder der Stadt beantragen.

Voraussetzungen: "Tagespflegepersonen" sollen "Persönlichkeit, Sachkompetenz und Kooperationsbereitschaft" mitbringen, genauso "vertiefte Kenntnisse" über den Job. Sie müssen Lehrgänge besucht haben. Die genaue Praxis regeln die Kommunen.

Erlaubnis: Mit Zulassung dürfen bis zu fünf gleichzeitig anwesende Kinder betreut werden - mit pädagogischer Ausbildung auch mehr. Die Erlaubnis gilt fünf Jahre.

Vorbild für den Verband sind die Hamburger Standards für Tagespflege, ein 36-seitiges Regelwerk, das die Sozialbehörde erstellt hat. Er enthält 30 Ausschluss-Kriterien für angehende oder bereits tätige Tagesmütter und -väter. Darunter sind drei mit deutlichem Bezug zur Religion: Wer einer Glaubensgemeinschaft angehört, „die pädagogisch bedenkliche Aussagen zu Erziehung und Bildung von Kindern macht“, darf in Hamburg nicht Tagesmutter werden.

Genauso ist das Tragen einer Burka verboten, weil es die nonverbale Kommunikation behindere. Tagesmutter darf auch nicht werden, wer explizit eine salafistisch-jihadistische oder andere Weltanschauung hat, die Religionsfreiheit, Gleichberechtigung oder gleich die ganze freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnt. Damit will die Behörde auch Anhänger „links oder rechtsextremer politischer Gruppen“ ausschließen.

Ob jemand unter diese Kriterien fällt, müssen die Bezirke bei der Eignungsprüfung herausfinden - laut Sozialbehörde vor allem im Gespräch. Als Hinweise auf die Nähe zu den ausgeschlossenen Gruppen und Glaubensgemeinschaften gelten die Kleidung, offen getragenen Symbole und „spezifische Begriffe“.

Diese Regelungen wiederum beruhen auf den Vorgaben durch das Hamburger Kinderbetreuungsgesetz. Demnach sollen auch Tagespfleger „dem Kind Achtung vor seinen kulturellen Werten sowie vor anderen Kulturen vermitteln“ und das Kind „auf ein verantwortungsbewusstes Leben in einer freien Gesellschaft, im Geist der Verständigung vorbereiten“.

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