Róisín Murphy über Ersatzfamilien: „Italiener mögen mich“

Ein Gespräch mit der irischen Sängerin Róisín Murphy über Disziplin im Internet, die schöne Eifersucht und schwarze Hosen aus Acryl.

Róisín Murphy wurde in den 90ern als Sängerin des Duos Moloko bekannt. Bild: Mark Farrow

taz: Frau Murphy, im Finale Ihres neuen Albums „Hairless Toys“ singen Sie davon, dass es zu Ihrem Glück nur eine Leselampe und ein gutes Buch bräuchte. Was haben Sie zuletzt gelesen?

Róisín Murphy: Als ich „Unputdownable“ komponierte, war es „Portnoy’s Complaint“ von Philip Roth. Zuletzt habe ich ein Selbsthilfe-Buch gelesen.

Wie wird man Popstar?

(lacht) „The Willpower Instinct“ von Kelly McGonigal. Dank ihr habe ich meine Nikotinsucht überwunden. Das Buch handelt von Selbstdisziplin. In meiner Familie wurde darauf wenig Wert gelegt. Die Grundannahme von McGonigal lautet: ohne Selbstdisziplin kein Vergnügen.

Klingt fast wie der Soulslogan „No Ecstasy without pain“.

Ja, wenn ich neue Highs erreichen will, muss ich darauf hinarbeiten, sonst könnte ich weder Musik aufnehmen noch auf Tour gehen. McGonigal hat ihr Buch an Eltern von Kindern in den USA gerichtet. Sie kritisiert die Annahme, Kinder mit gut ausgeprägtem Selbstbewusstsein bekämen bessere Zensuren. Ihre Arbeitshypothese ist genau umgekehrt: Kinder mit guten Noten haben mehr Selbstbewusstsein. Kinder mit guten Noten werden sich wohl kaum anstrengen, das führt ins Negative.

In Deutschland hat Disziplin einen Beigeschmack, was mit der Pervertierung des Begriffs in der Geschichte zu tun hat.

Disziplin steht nirgendwo hoch im Kurs. Auch die Psychoanalyse hat dieses Feld vernachlässigt. Ich habe die Musikindustrie durchlebt, als ihr Goldenes Zeitalter in den 90ern zur Neige ging. Damals gab es – abgesehen von Singen und Komponieren – für alles Arbeitskräfte, die einem alles abgenommen haben. Nun liegt die Verantwortung bei mir. Mehr Eigenverantwortung bedeutet mehr Disziplin, mehr Instagram-Fotos.

Die irische Künstlerin wurde 1995 als Sängerin des Elektronikduos Moloko berühmt. Nach vier Moloko-Alben machte sie sich mit ihrem von Matthew Herbert produzierten Debütalbum „Ruby Blue“ (2004) selbstständig. Seither spielt die 41-Jährige mit wechselnden Partnern, etwa ihrem Lebensgefährten, dem Italiener Sebastiano Properzi, für die EP „Mi Senti“ mit Coverversionen italienischer Popsongs und Italohouse-Tracks. Ihr neues Werk „Hairless Toys“ (Play it again Sam/PIAS) zeigt Róisín Murphy als versatile Künstlerin und Komponistin zwischen House und Pop, hymnischen Hooklines und subtilen Arrangements.

Im Internet lässt Feedback dafür nicht lange auf sich warten. Es gibt keine Dritten, die beurteilen, ob ich gut gearbeitet habe. Wie jede Droge kann das Internet in den falschen Händen Schaden anrichten. Viel narzisstischer ist es doch, wenn man von der Musikindustrie auf Wolke sieben geparkt wird. Das ist für Talente keine Option mehr. Die müssen nicht narzisstisch sein, sondern realistisch.

Auf ihrer neuen Single, „Jealousy“, einem House-Mover, singen Sie von Eifersucht als „schönem Gefühl“.

Ich beschreibe, wie Eifersucht aus einem schönen Gefühl entsteht, ein chemischer Zustand.

Und dieser Zustand kreiert Hässlichkeit.

Genau darum geht es.

Die Musik stammt von Richard Barratt aus Sheffield. (Ich zeige ihr seine House-Platten.) Anfang der Nullerjahre lebte meine Freundin dort. Die Hässlichkeit der Stadt empfand ich überwältigend, genauso wie dies Schönheit im Pop hervorbringt.

Und dann haben Sie ihrer Freundin die Platten von Barratt entwendet und geben jetzt vor mir damit an?

Nein, die hatte ich schon vorher. Jedenfalls dringt der Brutalismus Sheffields aus Ihrer Musik. Wie Sie den Gesang phrasieren, das klingt hart, aber herzlich, wie Nordengland.

Für mich ist Sheffield eine Art Ersatzelternhaus, etwas, das mich künstlerisch auf den Weg gebracht hat. Es ist ein Ort, an dem man nicht mal Mayonnaise fürs Sandwich bekommt, dafür muss man nach London. Sheffield ist Teil meiner DNA. Dort traf ich zum ersten Mal auf Musiker wie Richard Barratt und andere, die mich akzeptiert haben. Sie mochten wahrscheinlich meine schwarze Hose aus Acryl.

Am Anfang Ihres neuen Albums steht mit „Gone Fishing“ eine Ode an die schwarze Vogueing-Transgender-Kultur, auch eine Ersatzfamilie, die als Wurzel des House-Sounds gilt. Was unterscheidet Ersatzfamilien von Familien?

Wenn Medien über Vergewaltigungsprozesse berichten, sind es meist nur die spektakulären. Kachelmann etwa. Das Protokoll eines ganz gewöhnlichen Verfahrens lesen Sie in der taz.am wochenende vom 9./10. Mai 2015. Außerdem fragen wir, ob Hermann noch lebt – Sie wissen schon –, der Community-Kuchen. Und: Ein Doppelporträt von Robert Habeck und Cem Özdemir. Wer erlöst die Grünen aus der Froststarre? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Ich sehe da eher Gemeinsamkeiten: Meine Kindheit war schön, während meiner Teenagerzeit ist meine Familie auseinandergebrochen, beide Elternteile hatten Lebenskrisen und konnten mir nicht helfen. Ich hoffe, meinen Kindern bleibt dies erspart. Andererseits wurde ich dadurch mit Freunden zusammengeschweißt und dabei half uns immer Musik. Es waren Leute mit Rückgrat. Durch ihren Schutz blieb mir viel Ärger erspart.

2014 haben Sie eine EP mit Italopop-Coverversionen veröffentlicht. Was reizt Sie an italienischer Lebensart?

Italiener mögen mich, das beruht auf Gegenseitigkeit. (lacht) Außerdem sehne ich mich schon mein halbes Leben nach der italienischen Sängerin Mina. Zur Vorbereitung auf „Hairless Toys“ habe ich mir eine TV-Aufzeichnung ihres Hits „Non Credere“ angesehen. Mina wirkt als Ikone modern und gleichzeitig feminin. Alles an ihrem Image ist von ihr selbst bestimmt, und sie trägt ihren Song mit einem schlauen Zwinkern im Auge vor. Ihr Selbstbewusstsein in der Machokultur der Sechziger ist ein Vorbild für mich. Wie würdevoll sie auf der Bühne steht! Wie sie künstlerische Freiheit für sich beansprucht!

Was bedeutet Ihnen selbst künstlerische Freiheit?

Ich musste sie in meiner Karriere nie infrage stellen und habe diesbezüglich auch keinerlei Kompromisse gemacht. Zu Zeiten von Moloko galt ich als Muse von Mark Brydon. Ein schiefes Bild, das entstand, weil er mich beschützte, inklusive unsere künstlerische Freiheit. Ich konnte immer singen, was ich singen wollte.

Und was sind die titelgebenden „haarlosen Spielsachen“?

Das kann alles Mögliche bedeuten: Mein Kleid ist total „haarlose Spielsachen“. Auch Berlin ist „haarlose Spielsachen“: Die Atmosphäre der Stadt wirkt auf mich spröde, minimalistisch, es ist sehr hässlich.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.