Ruandisches Tagebuch Folge 1: Tag der Ankunft

Marie-Claude Bianco, die in der taz ihre Erinnerungen an Ruanda 1994 aufgeschrieben hat, ist zur Gedenkwoche nach Kigali zurückgekehrt.

„Die Stadt ist fast öde. Überall wird gebaut“: Der zentrale Kreisverkehr in Kigali. Bild: Reuters

Sonntag 6. April. Am Samstag bin ich aus dem Flieger gestiegen. 14 Uhr 15: Ruanda! Keine Sonne, dichte Wolken. Wir waren schon im Landeanflug, da musste der Pilot die Maschine wieder hochziehen - so kam ich zu einem zehnminütigen Rundflug: Kigali und Umgebung. Wirklich das Land der tausend Hügel. Und der Reihenhäuser.

Ich werde emotional. Meine Geschichte aufzuschreiben, war ein Hardcore-Ritt - und es war gut. Und hierherzufliegen ist auch gut.

Erstmal durch Kigali laufen, ankommen. Abends haben wir das Glück auf unserer Seite: Augustin, der Künstler, und noch eine Reihe mehr kommen vorbei, veranstalten eine Live-Painting-Session. Die Jungs sind richtig gut drauf. Und viel entspannter als wir von draußen.

Am Sonntag schlafe ich aus. Die Reise steckt mir in den Knochen. Aus Bequemlichkeit nehmen wir uns ein Motorrad-Taxi zur Shopping Mall, da ist die Aussicht von der Terrasse grandios. Alles ist grün, die Bäume tragen zum Teil die farbenprächtigsten Blüten. Gegen 13 Uhr ziehen Wolken auf, sehr schnell wird es richtig dunkel. Als der Regen beginnt, räumen wir die Terrasse. Mit einem Schlag gibt es einen heftigen Wolkenbruch. Die Kellner räumen schnell die Bänke und Tische unter das Dach, der Regen ist sintflutartig.

Nach einer knappen halben Stunde ist der Regen genauso schlagartig wieder vorbei. In der Sonne laufen wir fast vier Stunden einfach die Hügel rauf und runter. Sonntag in Kigali. Die Stadt ist fast öde. Immer wieder fahren Lastwagen voller Soldaten vorbei. Überall wird gebaut. An einer Hauptstraße fehlt ein ganzes Viertel, das wird komplett neu gebaut. Es sollen sogar Apartmenthäuser entstehen. Wer da wohnen soll, weiß kein Mensch. Die Ruander kennen das Konzept von Etagenwohnungen überhaupt nicht. Man wohnt ebenerdig, der Hof ist zum Kochen und Waschen.

Viele Stadtviertel sehe ich zum ersten Mal. Kigali wird komplett um – und ausgebaut. Reihenhaussiedlungen und Villenviertel, zum Teil nebeneinander. Wir laufen, bis es dunkel wird.

Am Abend nutzen wir die Zeit für ein schönes langes Gespräch. Jetzt fühle ich mich wirklich „gelandet“.

***

Rückschau: Der 6. April 1994

Auf einem Regionalgipfel in Tansanias Hauptstadt Daressalam am 6. April sagt Ruandas Präsident Juvénal Habyarimana zu, endlich die breitangelegte Übergangsregierung zu bilden, die im August 1993 zwischen Ruandas Regierung und der Tutsi-Guerilla RPF (Ruandische Patriotische Front) im Friedensabkommen von Arusha vereinbart worden war. Seit Monaten machen Hutu-Extremisten in Ruanda gegen dieses Abkommen mobil.

Am Abend fliegt Habyarimana nach Kigali zurück. Im Flugzeug einige seiner engsten Berater sowie sein Amtskollege aus Burundi. Kurz vor der Landung gegen 20.30 Uhr steigen drei Raketen auf und treffen die Maschine direkt. Sie stürzt in das Gelände der Privatresidenz von Habyarimana, alle Insassen sind sofort tot. Zuvor wurde die Pistenbeleuchtung des Flughafens ausgeschaltet, unmittelbar nach dem Abschuss errichten Präsidialgardisten Straßensperren in der Umgebung der Absturzstelle. Die UN-Soldaten am Flughafen werden von ruandischen Soldaten blockiert, Häuser wichtiger Politiker werden umstellt.

Im Fernsehen läuft gerade das Halbfinale der Afrika-Fußballmeisterschaft, auf der Straße sind weniger Menschen als sonst. Die Todesnachricht wird als erstes vom privaten Hetzsender RTLM (Radio-Télévision des Mille Collines) verbreitet, der dafür die Tutsi und die Belgier verantwortlich macht.

Gegen 22 Uhr trifft sich die ruandische Armeeführung. Geleitet wird das Krisentreffen vom pensionierten Oberst Théoneste Bagosora, der sich „in Vertretung des Verteidigungsministers“ zum Vorsitzenden ernennt und Nominierungen vornimmt. Der Kommandeur der UN-Blauhelme in Ruanda, General Roméo Dallaire, kommt zum Treffen und verlangt, die bestehende Übergangsregierung unter Premierministerin Agathe Uwilingiyimana einzubeziehen: die müsse sich per Radio an das Volk wenden. Bagosora lehnt das ab. Die gleiche Forderung erhebt später auch der Leiter der UN-Mission, Jean-Jacques Booh-Booh. Bagosora ist wütend und verlangt stattdessen UN-Unterstützung für seine Soldaten.

Spät in der Nacht zum 7. April rückt die Jugendmiliz der Regierungspartei „Interahamwe“ überall in Kigali aus. Ab 2.30 Uhr ist die ganze Stadt voller Straßensperren. Soldaten und Milizionäre beginnen, von Haus zu Haus zu gehen und gezielt Listen mit Gegnern der Hutu-Extremisten – Hutu und Tutsi – abzuarbeiten: sie werden verschleppt oder gleich erschossen. Das Morden beginnt. (D.J.)

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.