Rückblick Netzkonferenz re:publica: Wir können über alles reden

Wie es gewesen ist auf der re:publica? Schwer zu sagen, wenn man sich nur einen Bruchteil des Geschehens anzusehen vermag.

Alexander Gerst erzählt vom All und alle hängen an seinen Lippen Bild: dpa

BERLIN taz | Ich habe auf der re:publica in Berlin genau eine Stunde lang niemanden meckern hören. Das war in der Stunde, in der ein Mann mit Glatze und blauem Jumpsuit auf der Bühne stand und vom Leben im All erzählte.

Sechs Monate lebte Alexander Gerst auf der ISS, twitterte als @astro_alex aus dem All und erreicht auf der re:publica etwas schier Unglaubliches: dass all die Businessanzüge und Modepuppen, Twitterclowns, Medienbesserwisser und Netzpolit-Zyniker auf der Konferenz für einen Moment mal kurz andächtig still waren. Um sich ein paar bestürzend schöne Fotos von der Erde von oben anzusehen. Und von dem Alltag des Astronauten.

Und dann zerstreute sich wieder alles. Medieninteressierte links raus und die Treppe nach oben, Modemenschen bitte kurz vorher links abbiegen und die Bildungsspezialisten noch ein Stück auf dem Weg zu den Räumen begleiten, in denen ihre Vorträge stattfinden. Die Politikinteressierten und Open-Internetgeeks bitte sitzenbleiben, gleich kommt Science-Fiction-Autor Cory Doctorow und erklärt, warum mal wieder alles schlimmer geworden ist, im geheimdienstüberwachten Internet.

Je größer die re:publica wird, desto weniger ist sie eine Konferenz, die in irgendeiner Form eine Gemeinsamkeit erzeugt. Da kündigen Johnny und Tanja Haeusler eine Internetkonferenz für Teenager im kommenden Jahr an, da zeigt Hacker Jacob Appelbaum einen Film über ein gemeinsames Kunstprojekt mit dem chinesischen Künstler Ai Weiwei.

Wieder fehlen Köpfe und Inhalte

Da präsentieren Firmen ihre Anwendungen für die 3-D-Brille Occulus Rift, promoten sich Sponsoren auf Bühnen, wird zur Revolution gegen Geheimdienstdiktaturen aufgerufen, über faire Pornos gesprochen und Hatespeech, über die Macht von Algorithmen, Flüchtlinge und Roboter, die uns die Arbeitsplätze wegnehmen. Da sitzen die Mitglieder der Punkband Pussy Riot genau da, wo eben noch Youtube-Stars saßen, die auf dieser Konferenz voller Ü-30-Jähriger kaum jemand kennt – und niemand, wirklich niemand schafft es, all das auch nur annähernd vollständig wahrzunehmen.

So war das zunehmend auch in den Jahren zuvor. Neu ist das nicht. In Kaffeeschlangen und Tweets flammten jedoch immer wieder Enttäuschung darüber auf, dass der Konferenz in diesem Jahr neue Themen, Köpfe und Inhalte fehlten.

Was aus netzpolitischer Perspektive natürlich ein etwas gemeiner Vorwurf ist: Seit einer Dekade drehen sich die Diskussionen von Vorratsdatenspeicherung bis Netzneutralität im Kreis. Auch im Jahr zwei nach Beginn der Snowden-Enthüllungen natürlich vollkommen überschattet von dem Versuch, angemessene Reaktionen auf Überwachung im Digitalen zu finden. Und während der ehemalige Pirate Bay-Sprecher Peter Sunde den Kampf der Aktivisten für ihr freies Internet für gescheitert erklärt, suchen andere Vortragende das Heil im Zweckoptimismus.

Zweckoptimismus

MIT-Forscher Ethan Zuckerman zum Beispiel, der dazu aufrief, das strukturelle Misstrauen, das Menschen zunehmend in Insitutitionen haben, konstruktiv umzunutzen. Oder wie Markus Beckedahl selbst, der sich, so zynisch auch er mitunter inzwischen geworden ist, in einem Vortrag mit seinem netzpolitik.org-Mitstreiter Leonhard Dobusch dazu hinreissen lässt, den zehn großen netzpolitischen Dauerthemen von TTIP über Breitbandausbau bis Datenschutzreform positive Aspekte abzuringen versucht.

Zweckoptimismus – in einer Zeit, in der die Herausforderungen so groß scheinen, dass selbst die Appelle der Aktiven, sich einzubringen, immer müder klingen. Ganz abgesehen davon, dass es auf einer so fett gestalteten Konferenz wie der re:publica manchmal etwas folkloristisch wirkt, immer noch die großen Revolutionen ausrufen zu wollen.

Auffällig, dass sich die re:publica immer mehr Themenbereiche ans Bein bindet. Das Thema Flüchtlinge etwa, das im Digitalem meist nur sehr mittelbar vorkommt. Der Grund: Die re:publica versteht sich inzwischen als „Gesellschaftskonferenz“ – auch weil Netzpolitik, so hieß es immer wieder, inzwischen ganz klar Gesellschaftpolitik sei. Alle betreffe. Alle mitdiskutieren müssten. Das ist einerseits sehr ehrenwert, wahrscheinlich sogar richtig. Nur stellt sich nach drei Tagen Konferenz die Frage: Wird es nicht irgendwann ein bisschen viel? Eine Überforderung?

Thematische Beliebigkeit?

Gunter Dueck, einer der Lieblings-Gurugeeks der re:publica, die ja ohnehin sehr auf weise ältere Männer steht, sprach in seinem Vortrag über Schwarmdummheit passenderweise vom „Utopiesyndrom“ – der frustrierenden Forderung des Managements, unerfüllbare Ziele mit untauglichen Mitteln zu erreichen.

Nerds und Geeks sind häufig richtig gut darin, die Probleme unserer digitalen Gesellschaft treffend zu beschreiben. Besser als darin, funktionierende Lösungsansätze zu entwickeln. Weswegen sich auch die re:publica vielleicht irgendwann die Frage stellen muss, ob sie sich den Teller nicht ohnehin schon mit mehr Problemen beladen hat, als sie qualifiziert und kundig in drei Tagen schlucken kann. Einfach, um nicht an der Masse ihrer unerfüllbaren Zielsetzungen zu verzweifeln. Oder völlig in die thematische Beliebigkeit abzurutschen.

Gelungen hingegen: endlich nicht nur über Jugend sprechen, sondern auch mit ihr. In diesem Jahr wurde auf vielen Panels der re:publica, aber auch der angrenzenden Media Convention nicht nur über, sondern auch mit Menschen unter 18 gesprochen. Darüber, welche Dienste sie nutzen, wie sie die digitale Bildung in der Schule sehen. Das ist ein absolut notwendiger Realitätsabgleich – trägt doch der durchschnittliche re:publica-Besucher zu den Turnschuhen inzwischen graue Schläfen. Und ist von dem digitalen Mediennutzungsverhalten von Teenagern inzwischen doch recht weit entfernt. Egal wie jung er sich fühlen mag.

Spionierende Tiere

Womit ich wieder zurück beim Meckern wäre und beim Titel der Konferenz. Europa finden wollten die Veranstalter. „404 – Europe not found“ stand auf einem Plakat, das bereits am zweiten Tag über dem Eingangsbereich im Hof entrollt wurde. Eine ironische Anspielung auf eine bekannte Fehlermeldung. In vielen kleineren Sessions wurde zwar über Europa diskutiert. Beherrschendes Thema auf der Konferenz wurde es aber nicht.

Statt Europa zu finden, solle man lieber erst einmal versuchen, Europa zu definieren, riet der US-Germanist Eric Jarosinski, im Netz besser bekannt unter seinem Twitterhandle @NeinQuarterly. Er macht vor, wie man sinnig und doch humorvoll über EU-Politik kommunizieren kann.

Comic Reliefs wie diese, natürlich funktionieren sie bei Menschen, die viel Zeit im Netz verbringen. Eine Quellcode-Lesung, um zu zeigen, dass „die Algorithmen“ ohne uns Menschen nicht besonders übermächtig sind, ein Vortrag über spionierende Tiere, das sind die Momente, in denen die re:publica zeigt, welches Potential in ihr steckt. Oder aber man beklatscht einfach mal frenetisch einen ziemlich langweiligen Vortrag des Netflix-Chefs. Oder einen Astronauten und die unbekannten Weiten da draußen.

Zu banal, breit, flach, selbstreferentiell, unkritisch, kommerziell und vor allem gar nicht mehr so wie früher? Ja, die re:publica hat sich verändert. Wiederkommen werden die meisten im kommenden Jahr trotzdem. Gerade die, die meckern.

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