Rumänischer Komiker über den Brexit: „Briten und EU bleiben Sex Buddies“

Radu Isac kam kurz vor dem Referendum auf die Insel, um dort als Stand-up-Comedian zu arbeiten. Inzwischen weiß er, welche Witze die Briten missverstehen könnten.

Perspektive von oben auf einen Grill: Darauf brutzeln zwei Würste und ein Spiegelei

Radu Isac: „An die Bohnen zum Frühstück habe ich mich gewöhnt. Aber …“ Foto: Stefan Wermuth/reuters

Le Monde diplomatique: Radu Isac, als Sie nach Großbritannien gingen, hatten Sie sich in Ihrer Heimat Rumänien bereits einen Namen als Stand-up-Comedian erarbeitet.

Radu Isac: Schon, aber künstlerisch befand mich in einer Sackgasse. Ich hatte einfach keine Lust mehr in Rumänien zu bleiben, ich wollte englischsprachige Comedy machen. Es war ziemlich langweilig, immer dieselbe Straße zu nehmen.

Wie? Die Straße zur einzigen Comedy-Location des Landes?

Oh nein, Rumänien hat 80 Städte mit Bühnen, auf denen man als Comedian auftreten kann. Aber es gibt ja noch mehr auf der Welt, und ich habe mir gedacht: Okay, ich war jetzt überall dreimal, und ich bin 28. Wie werde ich mich wohl erst fühlen, wenn ich 48 bin.

Worin besteht der Unterschied, Pointen auf Englisch statt auf Rumänisch zu schreiben?

Englisch ist einfacher, weil es mehr Wörter hat als Rumänisch. Das mag vielleicht snobistisch klingen: Aber malt man mit Worten, kann man umso besser malen, je mehr Nuancen einem zur Verfügung stehen.

Gibt es etwas, das Sie als typisch britisch betrachten würden?

Anhand ihrer Gesichter kann ich Leute unschwer als britisch identifizieren. Der Mangel an Sonne über hunderte und aber hunderte von Jahren hebt diese Gesichter von denen des übrigen Kontinents ab.

wuchs nahe der rumänischen Stadt Iaşi an der Grenze zu Moldawien auf. Kurz vor dem EU-Referendum im Juni 2016 zog er nach London. Isac ist Veranstalter des London Eastern European Comedy Festival und moderiert im Camden Comedy Club den „English Speaking Comedy Borsch“.

Radu Isac absolviert einige Auftritte in Berlin: am 8. und 9. März im Cosmic Comedy Club und am 10 März bei der English Stand Up Comedy Night im Radler's.

Andere würden sagen, dass es das Essen ist, was Großbritannien vom europäischen Festland trennt.

Britisches Essen besteht meist aus industriellen Lebensmitteln. An die Bohnen zum Frühstück habe ich mich gewöhnt. Aber die Würstchen scheinen sämtlichst von McDonald's hergestellt zu werden.

Großbritannien ist also kein Traumziel.

Ich glaube, die meisten Rumänen kommen einzig nach Großbritannien, weil Englisch für sie die Sprache ist, die sie nach Rumänisch in der Regel am besten beherrschen. So bin auch ich in Großbritannien gelandet, nur wegen der Sprache. Hätte ich gekonnt, wäre ich in die USA gegangen. Während meiner Jugend gab es lediglich amerikanische Serien und Filme im Fernsehen, die britische Kultur hat es nicht nach Rumänien geschafft. Bis heute kenne ich die meisten Comedians nicht, die in Großbritannien die Stadien füllen.

Einige von ihnen sind lustig.

Es ist für mich aber nicht unterhaltsam, wenn ich die Referenzen oder die Hintergrundgeschichte einer Figur nicht verstehe. Doch ich fange an, mich mit der britischen Szene vertraut zu machen.

Glauben Sie, dass es Witze gibt, die sich britische Comedian vor einem britischen Publikum nicht leisten können, Comedian aus Osteuropa aber sehr wohl?

Ihm würde das als rassistisch ausgelegt werden, wenn ein Brite einen Witz über die Polen reißen würde, ich jedoch kann so viele Witze über sie machen, wie ich will. Umgekehrt weiß ich, dass ich auf der Bühne nicht so viel über Sex reden darf wie etwa ein britischer männlicher Comedian. Ich würde die Menge schneller verlieren, denn aus ihrer Sicht stehe ich als Osteuropäer automatisch unter Sexismusverdacht.

Auf der Bühne behaupten Sie, dass ein Brite freundlicher ist als ein Rumäne, während eine Million Rumänen netter sind als eine Million Briten. Was macht eine so große Masse an Briten aus Ihrer Sicht so unangenehm?

Ich habe den Witz nicht wirklich ausgearbeitet: Weil die Briten zusammen stark waren, konnten sie andere Länder überfallen. Sie errichteten das Empire und stahlen den Indern die Diamanten. Und jetzt wollen sie diese nicht mehr zurückgeben. Ich denke, dass sie das geschafft haben, weil sie besser im Team arbeiten als Rumänen.

Aber ein Brite ist freundlicher als …

… der Durchschnittsrumäne? Aber auch nur, weil die Briten wollen, dass alle um sie herum glücklich sind. Und sind dann alle glücklich, bekommen eine Million gut zusammenarbeitender Menschen die Chance, der Welt wirklich üble Dinge anzutun.

Sind Rumänen oder Osteuropäer nicht zumindest hier in Großbritannien untereinander solidarisch?

Durch meine Show „English Speaking Comedy Borsch“ habe ich festgestellt, dass Osteuropäer nicht so viel miteinander kommunizieren. Diejenigen, die des Englischen mächtig sind, lassen sich einfach integrieren und freunden sich nur mit Briten an, während die Osteuropäer, die kein Englisch sprechen, einfach in ihrem eigenen Country Club bleiben. Am ehesten zeigt sich die Solidarität in Lebensmittelgeschäften, wo eine polnische, eine rumänische und eine bulgarische Flagge nebeneinander hängen.

Seit 2016 stellen die Rumänen jährlich die größte Gruppe von Neuankömmlingen in Großbritannien. Haben sie sich nicht ausreichend über den Brexit informiert?

Sie denken eher, dass es besser ist, sich zu beeilen, bevor sich die Tür schließt.

Erfahren rumänische Migranten in Großbritannien mehr Diskriminierung als andere Osteuropäer?

Die Polen tragen eindeutig die Hauptlast. Als sie kamen, fing das Gerede über die Osteuropäer an, und die Polen kriegten alle Stereotype ab. Die Rumänen haben ja erst seit 2013 das Recht, sich überall in der EU niederzulassen. Als sie in Großbritannien auftauchten, wurde lediglich die alte Suppe wieder aufgewärmt. Einer der besten Witze über Rumänen kommt natürlich von einem Brexiter: In den 90er Jahren konnte man in London keine 25 Rumänen finden, jetzt finden Sie 25 in einem Haus.

Die Medien bezeichnen den Londoner Stadtteil Burnt Oak schon als „Little Romania“.

Nun, in den meisten Vororten Londons wohnen eine Menge Rumänen, nicht nur in Burnt Oak. Manchmal treffe ich zufällig auf der Straße Leute aus meiner früheren Oberschule. Die meisten meiner ehemaligen Klassenkameraden leben jetzt in Bukarest, London steht aber schon an zweiter Stelle. Es ist völlig normal, woanders hinzugehen. Meine rumänischen Freunde hier in London haben die unterschiedlichsten Berufe, einschließlich solche vom Typ Finanzjongleur in Canary Wharf.

Cover von Heft Nr. 25 der Reihe Edition LMd

Dieses Interview findet sich ebenso wie Beiträge von Kate Connolly, Raphael Honigstein, Kenan Malik und Paul Mason auch im Heft Nr. 25 „Großbritannien. Goodbye and Hello“ der Reihe Edition Le Monde diplomatique, broschiert, 112 Seiten, 2018, € 8,50.

Aber einige können in ihrer Heimat doch keine Story vom großen Erfolg auf der Insel erzählen.

Na ja, das Pfund ist immer noch stärker als der Leu. Selbst wenn sie sich in London mit vier Personen ein Schlafzimmer teilen müssen, können sie in Rumänien weiterhin für ein ganzes Lokal eine Runde schmeißen, da diese höchstens so viel kostet, wie in London zwei Getränke.

Sind Ihre Eltern glücklich darüber, dass Sie nach Großbritannien gezogen sind?

Die politische Lage in Rumänien ist nicht gerade rosig. Nachdem sie sich seit Jahren in den Nachrichten anschauen müssen, was in Rumänien alles schiefläuft, denken meine Eltern: Nun, wenigstens müssen unsere Kinder nicht mit diesem Scheiß leben.

Aber auf der Bühne haben Sie sich selbst als den verarmtesten professionellen Comedian in ganz Großbritannien bezeichnet.

Davon kann jetzt keine Rede mehr sein.

Weil Sie mit Auftritten ein ausreichendes Einkommen erzielen?

Ja.

Ist das nicht dennoch ein hartes Leben? Als Freiberufler auf einem Markt mit so vielen anderen Talenten konkurrieren zu müssen?

Ich sehe mich nicht wirklich in einer Festanstellung mit geregelter Arbeitszeit. Also passt es zu mir, und ich bin glücklich darüber, wie es ist.

Aber Sie mussten schon Aushilfsjobs annehmen, um sich über Wasser zu halten, oder?

Nachdem ich nach London gezogen war, arbeitete ich für eine Druckerei, die Stimmzettel für das EU-Referendum gedruckt hat. In einem großen Lagerhaus steckten wir diese Zettel in Umschläge und versandten sie – alles Migranten, nur die Besitzer der Firma waren Briten. Würde ich das auf der Bühne erzählen, es käme als schlechter Witz rüber.

Wie war die Bezahlung?

Ungefähr 8 Pfund pro Stunde, damals etwa 10 Prozent mehr als der Mindestlohn. Und die Bezahlung war projektbezogen. Ich sagte allen meinen Kollegen, dass sie einfach langsamer arbeiten sollten, denn je früher wir alle Stimmzettel verschicken würden, desto eher würden wir gefeuert. Sie wollten nicht zuhören und hielten mich schlicht für verrückt.

Sie waren dann der Einzige, der langsamer arbeitete?

Ich habe praktisch nichts getan. Ich habe von innen sabotiert. Aber wir wurden alle fünf Tage früher als erwartet entlassen, weil die Arbeit so schnell erledigt war.

Was waren Ihre ersten Gedanken, nachdem die Briten 2016 dafürgestimmt hatten, die EU zu verlassen?

Ehrlich gesagt, glaube ich bis heute nicht, dass das passieren wird. Ein Witz, den ich in meinen Shows machen sollte, geht so: Großbritannien und die EU bleiben Sex Buddies. Die ganze Welt weiß Bescheid, nur die beiden werden es einfach nicht zugeben.

Haben Sie sich für die britische Staatsbürgerschaft beworben?

Nein, ich bin ja erst seit drei Jahren hier. Nach fünf Jahren kann man sich bewerben. Aber ich werde bleiben, bis sie mich rauswerfen. Da unklar ist, wie das mit dem Brexit ausgeht, mache ich mir keine Sorgen um etwas, das ich eh nicht kontrollieren kann.

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