Schlechte Lage bei Sozialwohnungen: 25 Quadratmeter Deutschland

Sozialer Wohnungsbau ist relativ: Was in München günstig ist, erscheint in Berlin sauteuer. Die Suche nach einer Bleibe ist wie Lotto spielen.

Eine Plattenbausiedlung in Berlin Marzahn-Hellersdorf bei Dämmerung

In einer Plattenbausiedlung zu wohnen ist nicht unbedingt erste Wahl – aber günstig Foto: Paul Langrock Agentur Zenit

Vielleicht wird es die Rau­fasertapete sein, die in den Sozialwohnungen nicht ganz so schick aussieht wie der glatte Verputz in den freifinanzierten Wohnungen nebenan. Auch die Decken werden niedriger werden, 2,50 Meter statt 2,70 wie in den Nachbarblocks. Und die Größen der Wohnungen sind bescheidener: 69 Quadratmeter für drei Zimmer, das ist schon weniger großzügig als die Dreizimmereinheiten nebenan, die 85 Quadratmeter haben können.

„Die Unterschiede in den Ausstattungen sind aber nicht groß“, sagt Rico Kallies, stellvertretender Regionsleiter bei der Bonava. Das Unternehmen baut auf einem ehemaligen Gewerbegelände in Berlin-Lichtenberg die „Parkstadt Karlshorst“ nach dem „Berliner Modell“.

Von den 1.000 geplanten Wohnungen dort müssen 250 Einheiten als Sozialwohnungen kalkuliert und gebaut werden, mit einem Mietpreis von anfänglich nur 6,50 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Es sind Wohnungen, in die dann ab dem Jahr 2020 auch Hartz-IV-Empfänger einziehen können, KleinrentnerInnen oder Geringverdiener.

Die neuen Wohnungen entstehen nach einem Finanzierungsmodell, das es so ähnlich auch in München und in Hamburg gibt. Nach diesen Modellen bekommen private Bauherren nur dann eine Baugenehmigung für ein Areal, wenn sie sich verpflichten, einen Teil der Wohneinheiten als mietpreisgebundene Wohnungen zu errichten.

„Es ist eine Mischkalkulation“, sagt Kallies, „die niedrigen Preise für die Sozialwohnungen werden durch die Mieter und Eigentumskäufer in den freifinanzierten Blocks gewissermaßen mitbezahlt“. Die freifinanzierten Einheiten sollen später schätzungsweise 10 bis 12 Euro nettokalt pro Quadratmeter an Miete kosten, die Eigentumswohnungen etwa 4.000 Euro pro Quadratmeter.

Die Fassade verrät nichts

Die Mieter der freifinanzierten Wohnungen werden später also nicht in teuren Luxusbauten logieren, um die günstigen Mieten nebenan mitzufinanzieren. An den Backsteinfassaden wird niemand erkennen, ob dahinter jemand in einer mietpreisgebundenen Wohnung lebt oder mehr Geld für eine Miet- oder Eigentumswohnung ausgegeben hat. „Das wird einheitlich aussehen“, sagt Kallies.

Wer in die Sozialwohnungen in Karlshorst einzieht, darf als Alleinstehender nicht mehr als ungefähr 1.400 Euro netto im Monat verdienen. Es gibt in Berlin neuerdings noch eine zweite Förderstufe, mit einer Einkommensgrenze von 1.800 Euro für einen Alleinstehenden und Anfangsmieten von 8 Euro in Berlin.

Im Vergleich zu München wirkt all das bescheiden. Hier ist im sogenannten Münchner Modell eine Miete von 11,25 Euro nettokalt erlaubt. Eine dreiköpfige Familie mit einem Jahreseinkommen von 80.000 Euro brutto darf eine solche Wohnung mieten.

Eine weitere Förderstufe ist der sogenannte Konzeptionelle Mietwohnungsbau (KMB), wo gar keine Einkommensgrenzen mehr erforderlich ist. Erlaubt sind hier Eingangsmieten zwischen 12 und 14,50 Euro nettokalt der Quadratmeter, ein Mietpreis, der in Berlin erbitterte Gentrifizierungsgegner auf den Plan rufen würde.

In jeder Stadt anders

Trotzdem gilt dieser Neubau in München als öffentlich gefördert: Bauherren im KMB bekommen das Grundstück von der öffentlichen Hand günstiger als auf dem freien Markt und verpflichten sich im Gegenzug, die Wohnungen auch auf lange Sicht nicht in Eigentumswohnungen umzuwandeln.

Was sozialer Wohnungsbau ist, richtet sich immer auch nach der Wirtschaftskraft und dem Wohnungsangebot in der Region. In Hamburg liegt die Anfangsmiete für Sozialneubauten im ersten Förderweg ebenfalls bei 6,50 Euro. Es gibt dort wie in Berlin noch einen zweiten Förderweg mit höheren Einkommensgrenzen, bei dem die Anfangsmiete 8,60 Euro betragen kann.

In allen Metropolen geht der Trend zu kleineren Sozialwohnungen. Im Projekt in Karlshorst etwa müssen sich Paare mit einer Zweizimmerwohnung auf 52 Quadratmetern zufrieden geben, obwohl die Maximalgrenze im sozialen Wohnungsbau für Paare, auch im Hartz-IV-Bezug, bei rund 60 Quadratmetern liegt. „Geförderte Wohnungen sollen vermehrt kompakte Grundrisse aufweisen“, heißt es auch im Wohnungsbauprogramm „Wohnen in München VI“.

Was sozialer Wohnungsbau ist, richtet sich immer auch nach der Wirtschaftskraft und dem Wohnungsangebot in der Region.

Der Standardgrundriss dieser Zweizimmerwohnungen ist eine große Wohnküche plus ein Schlafraum. Damit hat nicht jeder Partner ein Rückzugszimmer. Man muss sich aus dem Weg gehen können. „Wenn sich ein Paar die Räume funktional teilt, ist es besser, wenn irgendwo noch räumliche Ausweichmöglichkeiten existieren“, sagt Dietmar Walberg, Geschäftsführer des Kieler Wohnungsbauinstituts Arge e. V.

Eine Tendenz zur Kleinstwohnung

Wohnt man eng, spielt es eine große Rolle, ob die Partner berufstätig sind oder sich viel außerhalb der Wohnung in Cafés, im Sportstudio, in Bibliotheken oder sonst wo in öffentlichen Räumen aufhalten können.

Der Trend zur kleinen Butze betrifft erst recht Singlewohnungen. Bisher habe man für Singlehaushalte „Wohnungen mit bis zu 45 Quadratmetern geplant. Zu dieser Zielgruppe gehören viele Haushalte, die weniger Platzbedarf haben, dafür aber eine bezahlbare Miete benötigen“, heißt es im Programm „Wohnen in München VI“. In der Landeshauptstadt soll künftig im geförderten Neubau ein Drittel der Singlehaushalte mit Kleinstwohnungen von 25 Quadratmetern versorgt werden.

Die Tendenz zur Kleinstwohnung hat auch einen haushaltstechnischen Grund: Vor allem arme Singles suchen dringend Unterkünfte. Bleiben sie obdachlos, fallen für eine Stadt unter Umständen hohe Sozialkosten an, denn die Unterbringung in einem Obdachlosenheim kostet immer ein Mehrfaches verglichen mit der in einer Kleinstwohnung.

Viele Wohnungssuchende lösen das Problem, indem sie die Metropolen verlassen. Sowohl in Hamburg als auch in München und Berlin hat die Zahl der „Einpendler“, die außerhalb wohnen und zur Arbeit in die Stadt kommen, beständig zugenommen. Laut neuer Zahlen des Bremer Instituts für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) pendeln in Berlin 22 Prozent der Beschäftigten von außen zur Arbeit in die Stadt, in Hamburg sind es 36 Prozent und in München 45 Prozent.

Günstige Miete, geminderte Lebensqualität

In Jüterbog beispielsweise, 40 Zugminuten vom Bahnhof Berlin-Südkreuz entfernt, gibt es noch Mietwohnungen für 5 Euro kalt der Quadratmeter. Dort füllen sich von Jahr zur Jahr die Pendlerzüge mehr. Doch Fahrtzeiten von bis zu drei Stunden pro Tag schmälern die Lebensqualität, wie Studien aus dem angelsächsischen Raum belegen. Da ist eine kleine Wohnung in der Stadt vielleicht doch besser.

Doch „Wohnungsneubau ist teuer – und das gilt auch für den sozialen Wohnungsbau“, sagt Walberg von der Arge e. V. Nach Rechnung des Instituts liegt eine kalkulatorische Miete einer frei­finanzierten Wohnung bei 10 Euro nettokalt der Quadratmeter.

Am Ende subventioniert sich die Mittelschicht ihre Sozialwohnungen selbst

Wird etwa eine 70-Quadratmeter-Wohnung öffentlich gefördert und am Ende für nur 8 Euro pro Quadratmeter vermietet, bedeutet dies „eine öffentliche Förderung von 140 Euro im Monat“, so Walberg. Es ist Geld, das entweder durch zinslose Darlehen oder direkte Zuschüsse, durch Steuervorteile oder eine günstige Grundstücksvergabe von der Öffentlichkeit aufgebracht werden muss.

Am Ende subventioniert sich die Mittelschicht ihre Sozialwohnungen also selbst. Daher ist die Nachfrage nach geförderten Wohnungen in Deutschland immer um ein Vielfaches höher als das Angebot. Doch wie genau die neuen Wohnungen vergeben werden, ist nicht transparent. Die taz fragte in Berlin bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften Gesobau, Degewo, Stadt und Land nach den Vergabekriterien für örtlich bekannte, fertiggestellte Mietshäuser mit geförderten Einheiten.

Sozialwohnung wie Lottogewinn

Genaue Auskünfte waren nicht zu bekommen. Die SprecherInnen verwiesen vage auf die allgemeinen Richt­linien. Danach werden geförderte Wohnungen an Leute mit Wohnberechtigungsschein vergeben, davon geht ein Viertel an Personen, die einen Wohnberechtigungsschein mit „besonderem Bedarf“ besitzen, also etwa Obdachlose oder Familien, die derzeit beengt in Heimen leben.

Weitere Auskünfte zur konkreten Auswahl der MieterInnen gab es nicht. Vielleicht, weil das Angebot zu klein ist. Und die Zahl der InteressentInnen zu groß. Eine Sozialwohnung zu ergattern ist zum Lottogewinn geworden.

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