Schüsse auf Flüchtlingsretter vor Libyen: „Koalition der Schande“

Private Flüchtlingsretter sollen blockiert werden. SPD, Grüne und Linkspartei kritisieren das Schweigen der Kanzlerin angesichts dieses Versuchs.

Eine Krankenschwester hält ein Kind auf dem Arm auf einem Schiff

Dieses Kind wurde am 1. August vor Libyen gerettet. Nun sind keine Retter mehr da Foto: dpa

BERLIN taz | SpitzenpolitikerInnen von SPD, Grünen und Linkspartei kritisieren die Politik der Europäischen Union in der Debatte über die Flüchtlingsrettung vor der libyschen Küste scharf – und verurteilen Angriffe auf Schiffe von Flüchtlingshelfern. Dass die libysche Küstenwache Schiffe der Helfer beschieße, sei „unsäglich und nicht hinnehmbar“, sagte SPD-Bundesvize Ralf Stegner am Mittwoch der taz. „Es ist richtig, dass die EU Libyen dabei unterstützt, staatliche Strukturen aufzubauen – doch solche rechtswidrigen Attacken darf sie nicht dulden.“ Merkel schweige dazu, weil das Ergebnis – weniger Flüchtlinge – ihr gut in den Kram passe, sagte Stegner.

Bis vor Kurzem waren vor den libyschen Hoheitsgewässern im Mittelmeer rund ein Dutzend Schiffe privater Hilfsorganisationen unterwegs, um Flüchtlinge und Migranten vor dem Ertrinken zu retten. Libyens Regierung hatte angekündigt, die Such- und Rettungszone vor der eigenen Küste auf internationale Gewässer auszuweiten. Danach hatte die libysche Küstenwache Hilfsorganisationen gedroht, manche ihrer Schiffe gar beschossen. Mehrere Hilfsorganisationen hatten daraufhin die Rettungseinsätze eingestellt.

Grünen-Spitzenkandidatin Kat­rin Göring-Eckardt sagte der taz: „Ein solch brutales Vorgehen des libyschen Grenzschutzes gegen Bootsflüchtlinge beziehungsweise gegen humanitäre Seenotrettungsorganisationen wäre ohne die zumindest stillschweigende Rückendeckung aus Rom, Brüssel und Berlin nicht denkbar.“ Es sei ein schwerwiegender Fehler der EU gewesen, ihr Seenotrettungsprogramm „Mare Nostrum“ einzustellen.

Statt eines brutalen Grenzregimes brauche es Möglichkeiten zum Familiennachzug und Kontingente zur Aufnahme von Geflüchteten, sagte Göring-Eckardt. „Mittelfristig müssen wir Libyen helfen, in die Lage zu kommen, ein stabiler Staat zu werden, der Menschen eine Perspektive bietet und in dem auch für Flüchtlinge menschenrechtliche Standards gelten.“ Derzeit sei die Lage in Libyen für Flüchtlinge so katastrophal, „dass selbst höchste Todesgefahr keine zu große Hürde für eine Flucht nach Europa ist.“

Auch die Chefin der Linkspartei, Kat­ja Kipping, übte harte Kritik an der Politik der EU. „Im Mittelmeer vor Libyen erleben wir eine perfide Arbeitsteilung“, sagte sie der taz. „Italien interveniert militärisch, und die libysche Küstenwache, nachdem sie mit medialer Schützenhilfe aus CDU und CSU die zivilen Seenotretter vertreiben konnte, schleppt die Bootsflüchtlinge zurück in die Hölle von unmenschlichen Lagern.“ Im Mittelmeer erlebe man eine große Koalition der Schande, die von Angela Merkel bis zu libyschen Warlords reiche.

Ralf Stegner, SPD

„Die EU darf rechtswidrigen Attackenm nicht dulden“

Die libysche Übergangsregierung und ihre Küstenwache würden mit Hilfe der EU zum Türsteher der Festung Europa aufgebaut, sagte Kipping. „Einer Europäischen Union, die Flüchtlingen beim Ertrinken zuschaut und Migranten in Lager zurückführen lässt, in denen Menschen wie Tiere gehalten werden, sollte der Friedensnobelpreis aberkannt werden.“

Die Bundesregierung hat bisher eher zurückhaltend auf die Ereignisse reagiert und die Regierung in Tripolis zur Einhaltung des internationalen Rechts ermahnt. Das Auswärtige Amt hatte am Freitag erklärt, dass es durch die Einrichtung eines libyschen Such- und Rettungsbereichs keine Einschränkungen der Seenotrettung durch NGOs geben dürfe. Das habe die Regierung in Gesprächen mit libyschen Vertretern deutlich gemacht, sagte ein Außenamtssprecher. Das „Schutzniveau“ für in Seenot geratene Menschen dürfe nicht sinken.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) setzt verstärkt auf eine Kooperation mit dem instabilen Staat. Sie warb dafür, menschenwürdige Zustände in den Aufnahmeeinrichtungen zu schaffen und ähnlich wie beim Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei ein Resettlement für besonders schutzbedürftige Menschen zu ermöglichen.

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