Schulworkshop über Glauben: Wer Allah nicht leugnet

In einem Schulworkshop, der vor Radikalisierung schützen soll, sprechen jugendliche Muslime und Musliminnen über ihren Glauben. Ein Klassenbesuch.

Mädchen mit Kopftuch meldet sich, vor ihr eine Tafel, auf der Islam steht

Ist ein Gläubiger besser als ein Nichtgläubiger? Unterrichtsstunde über den Islam Foto: dpa

Wenn Ron Weber die Schöpfung erklärt, klingt alles ganz einfach: Die Welt ist ein Gasthaus, Gott ist der Gastgeber. „Und ihr“, sagt er und wendet sich an die Schüler, „ihr seid die Gäste.“

Weber, 41, schwarz-graues Haar, mit Vollbart und Brille, steht in einem Klassenraum im Norden Berlins. Sonne scheint durch die Fenster, auf grüne Tapeten und braunen Linoleumboden; an der Tafel hängen Blätter: „Wir hören einander aufmerksam zu“, steht auf ihnen. „Wir respektieren andere Meinungen“ – ,„Wir gehen freundlich miteinander um“. Daneben hat der Sozialarbeiter eine Tabelle gezeichnet: oben der Gastgeber, unten die Gäste. Seine Metapher.

Um ihn sitzen zwanzig Jugendliche auf Holzstühlen, zwischen 14 und 16 sind sie, die meisten haben schwarze Haare und braune Augen. Fast alle sind Kinder von Migranten, ihre Eltern kommen aus der Türkei oder dem arabischen Raum. Über die Hälfte der Schüler sind Muslime. Sie wirken wach, schauen interessiert – und erstaunt, als Weber erzählt, er sei halber Jude und vor acht Jahren zum Islam konvertiert.

Ein Jude, der jetzt Muslim ist? Geht das überhaupt?

Weber lächelt. Um solche Fragen geht es ihm, bei „Maxime Berlin“, einem Deradikalisierungs- und Präventionsprojekt: Meist melden sich Lehrer bei ihm, die sich um einige ihrer Schüler sorgen; in dreitägigen Workshops versucht Weber dann mit seinem Team den Schulklassen ein positives Islambild zu vermitteln – nicht erst seit den Anschlägen in Paris, Brüssel, Nizza, Würzburg, Ansbach. Einer Zeit, in der sich die Einsicht durchsetzt, dass der Gefahr des Dschihadismus nicht allein durch Überwachung beizukommen ist. Und ein anderes Wort die Debatte bestimmt: Prävention.

„Die denken, wir machen Anschläge oder so was“

Die erste Übung an diesem Mittwoch: freies Assoziieren. Die Jugendlichen sollen sagen, was ihnen zum Thema „Islam“ einfällt.

Fragt man Rami nach dem Islam, sagt er: „Die beste Religion.“ – „Die einfachste.“ – „Sie sollten heute noch konvertieren“

„Der Glaube an einen Gott“, sagt ein Junge.

„Die fünf Säulen“, ein anderer.

„Der Weg ins Paradies“, ein Dritter.

„Was ist mit euch?“, fragt Weber, zu ein paar Mädchen gewandt. „Sollen die Jungs alles abräumen?“ „Krieg“, antwortet ein türkisches Mädchen, schüchtern, leise. „Terroristen“. Ein Junge ergänzt: „Einige kriegen Angst, wenn Sie Islam hören. Die denken, wir machen Anschläge und so was.“

Die Jugendlichen schließen sich zu Fünferteams zusammen, sie sollen Begriffe wie „Scharia“, „Allah“ und „Dschihad“ erklären. Wer in der Klasse das Sagen hat, wird dabei schnell klar. Rami zum Beispiel, im Polohemd, sauber gescheiteltes Haar – fragt man ihn nach dem Islam, sprudelt es aus ihm heraus. „Die beste Religion“, sagt er. „Die einfachste.“ – „Sie sollten noch heute konvertieren.“

Er ist mit seiner Mutter aus dem Nahen Osten geflohen, erzählt Rami. In Berlin sei er zunächst auf ein Gymnasium gegangen, dann habe es schulische Probleme gegeben. Jetzt sei er hier. Und die Schöpfung: könne kein Zufall sein. Er sagt, dass die Bibel irre, weil sie verändert wurde. Erzählt von den Predigern, die er verehrt, in welche Moschee er geht – eine Hinterhofmoschee ist es, der Verfassungsschutz stuft sie als „salafistisch“ ein. Was seine Eltern zu seinem religiösen Engagement sagen? „Für die kann ich gar nicht religiös genug sein.“

Ron Weber, der Workshopleiter, sagt: „Viele Jugendliche, die sich ein extrem konservatives Religionsbild zulegen, kompensieren etwas damit. Wenn es in der Schule nicht gut läuft oder der Familienzusammenhalt fehlt, bleibt oft nur der Glaube. Und der wird dann vehement verteidigt.“ Auch wenn er es selbst nicht so nennen würde – für ihn ist dieser Workshop ein Kampf.

Seine Gegner können salafistische Moschee-Prediger sein, konservative Eltern, extremistische Internethetzer. Oder schlicht die Einflüsse, denen die Jugendlichen in ihrem Alltag ausgesetzt sind. Wie soll er sie da erreichen? Meistens, so zeigt sich, versucht es Weber mit Humor. Auch wenn es um komplexe Glaubensaspekte wie die Hadithe geht, die gesammelten Aussprüche des Propheten Mohammeds.

„Ick bin jetzt der Prophet“, berlinert er und schaut mit gespieltem Ernst an sich herunter, bis die Jugendlichen kichern. „Wenn deine Kinder später fragen, wie ick so drauf war, kannst du’s ihnen sagen“, sagt er zu einem Mädchen zu seiner Linken, „du warst ja dabei.“ Zu einem Mädchen zu seiner Rechten sagt er: „Du aber warst auch dabei. Was ist, wenn du was anderes gesehen hast?“ Und schließlich zur gesamten Klasse: „Vieles widerspricht sich in den Überlieferungen über den Propheten. Wie entscheiden wir, was richtig ist?“

Salam heißt Schalom

Die Vielfalt im Islam. Weber zitiert verschiedene Hadithe, etwa zur Kopfbedeckung der Frauen. Er macht klar, dass es oft andere, gegensätzliche Hadithe gibt; dass es eine Wissenschaft ist, die Aussprüche auszuwerten. Dass vereinfachte Sichtweisen, wie sie für den Salafismus typisch sind, gefährlich sind. Zugleich betont er das Verbindende zwischen den Religionen. Dass das arabische Wort „Salam“ dieselbe Bedeutung hat wie das jüdische „Schalom“, dass der Prophet ­Ibrahim bei Juden und Christen Abraham heißt.

Auch Ziad ist eine Autorität in der Schule, im klassischen Sinn: Wenn er morgens den Klassenraum betritt, kommen die Jungs zum Abklatschen. Er trägt Jogginghose und Basecap, auf der Oberlippe sprießt Flaum. Wenn er spricht, dann mit Überzeugung. Und Ziad spricht viel, besonders über den Islam. Seine Eltern kommen aus Syrien, sie sind Muslime, die Mutter streng gläubig, der Vater liberal. Zu liberal, wie Ziad findet.

Er ist mit Rami befreundet, sie gehen in dieselbe Moschee, in den Pausen diskutieren sie über den Koran. Wenn sie über Christen oder Atheisten reden, sagen sie „Ungläubige“. Nur wenn sie vor der Klasse sprechen, berichtigen sie sich. „Nichtmuslime“, sagen sie dann.

„Was ist“, fragt Ron Weber, vor sich wieder die Metapher – die Welt als Gasthaus –, „wenn sich zwei Gäste nicht mögen? Heißt das, dass auch der Gastgeber bestimmte Gäste nicht mag?“ Die Jugendlichen überlegen. „Doch wohl eher nicht, oder?“ Der Wert eines Menschen, sagt Weber, bestehe doch unabhängig von seiner Religion. Ob sie dem zustimmen?

Ziad meldet sich. „Aus Sicht des Islam erst einmal ja“, sagt er. „Zumindest, wenn sie noch Kinder und damit unschuldig sind.“

Es werden Zettel verteilt, auf denen Aussagen über den Islam stehen. Die Jugendlichen sollen entscheiden, welche Aussagen stimmen, welche nicht. Bei Ziad und Rami, die in einer Gruppe sind, geht alles ganz schnell: Falsche Aussagen sammelt Ziad auf seinem linken, die richtigen auf seinem rechten Bein.

„Lehrer müssen männlich sein, Frauen dürfen nicht unterrichten.“ Falsch, linkes Bein.

„Muslimische Männer müssen keinen Respekt vor nichtmuslimischen Frauen haben.“ Falsch, linkes Bein.

„Voll die Klischeefragen“?

„Voll die Klischeefragen“, stöhnt Rami. Bei der nächsten Frage aber kommt er ins Stocken. „Muslime sind die besseren Menschen“ steht auf dem Zettel. Rami ist ratlos. Ziad ist ratlos. „Jemand, der nach Koran und den Aussprüchen des Propheten lebt, ist schon ein sehr guter Mensch“, erklärt Ziad – sieht jedoch fragend zu Weber: „Aber es gibt natürlich auch andere gute Menschen.“ Rami fährt dazwischen: „Ist ein Gläubiger denn nicht besser als ein Nichtgläubiger?“

„Ein Gläubiger ist besser, weil er Allah nicht leugnet“, sagt Ziad und nickt – Unsicherheit in seinem Blick. Oder?

Er ist nicht der Einzige in der Klasse, bei dem sich etwas bewegt. Das zeigt sich, als die nächste Gruppe ihre Ergebnisse an der Tafel präsentiert. „Mädchen, die kein Kopftuch tragen, sind keine Muslime“, ist die These. Der junge Mann, der sie vorstellt, ringt nach einer Antwort. Kopftuch zu tragen sei zwar keine Pflicht, sagt er schließlich. Dennoch stimme die These seiner Meinung nach.

Ein Mädchen meldet sich, eine der stillen Kandidatinnen. „Nur weil ein Mädchen kein Kopftuch trägt“, sagt sie, „heißt das ja nicht, dass es nicht betet.“ Für einen Moment ist es ruhig. Bisher hat das Mädchen – das einzige mit Kopftuch im Raum – nur kurz oder ausweichend geantwortet. Weber entlässt alle mit diesem Satz.

Erst am Freitag, dem letzten Tag des Workshops, geht er die kritischen Fragen an: Warum sind einige Muslime anfällig für Extremismus? Gibt es eine Verbindung zwischen dem Islam und Gewalt? Was zieht junge Männer und Frauen nach Syrien? Gemeinsam schaut die Klasse Videos über die Scharia, den Salafismus, den sogenannten Islamischen Staat.

Als Weber im Anschluss die Videos bespricht, geht er auf all das ein, was auch im Unterricht besprochen wurde: den Allgemeinheitsanspruch der Salafisten, die Intoleranz gegenüber Andersgläubigen, den Zwang, ein Kopftuch zu tragen. Aber auch die Faktoren, die überhaupt erst zur Radikalisierung führen, spricht er an: fehlende Liebe, Probleme in der Schule, Gewalt in der Familie.

„Stellt euch vor“, sagt er, „da ist ein Deutscher. Der hat keine Arbeit mehr, keine Frau, keine Freunde. Und dann kommt ein anderer und bestätigt ihn in dem Einzigen, das ihm geblieben ist: seiner Herkunft. 'Du bist was ganz Besonderes’, sagt der Mann, ‚denn du bist Arier‘.“

Wieder kichern die Jugendlichen. „Was aber passiert“, führt Weber fort, und seine Stimme wird ernst, „wenn Muslime das machen? Wenn sie sich einen langen Bart wachsen lassen, statt sich eine Glatze zu schneiden? Wenn sie Extremisten werden, statt Ausländerheime anzuzünden? Ist das nicht dasselbe?“

Schweigen.

Gottes Gäste

„Wenn ich ­Gemeinsamkeiten betone“, sagt Weber, „fühle ich mich wohl. In einigen Moscheen und im Internet gibt es aber Prediger, die betonen die Unterschiede. Die sagen, Muslime sind besser als die Deutschen. Wie findet ihr das?“

Wieder Stille. Schließlich meldet sich Ziad: „Das ist auch Volksverhetzung. Außerdem sind das keine Gelehrten. Gelehrte halten sich im Hintergrund.“

Weber ist anzusehen, dass er sich freut, er hat etwas erreicht – und beendet den Unterricht mit einer Geschichte. Von einem muslimischen Häftling, den er mal im Knast besuchte. Einem Verbrecher, der jeden Streit mit Gewalt löste. Der sich von seinem nichtmuslimischen Wärter provoziert fühlte, aber lernte sich zu zügeln.

„Wisst ihr, was der Mann zu mir gesagt hat? Er hat gesagt, dass wir alle Gottes Gäste sind. Seine Kunstwerke. Dass er deshalb nicht das Recht hat, die Kunstwerke Gottes kaputt zu machen.“ Kaum ausgesprochen, stehen die Jugendlichen schon auf und reden durch­ein­ander. Es wird laut, die Nachdenklichkeit löst sich von ihnen. Sie sind jetzt wieder unbekümmert: Teenager, die sich aufs Wochenende freuen.

„Maxime“ wird von der Lottostiftung finanziert. Im Januar 2017 läuft die Förderung aus. Wie es danach weitergeht, ist noch offen

Die Namen der Jugendlichen wurden zu ihrem Schutz geändert

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.