Selbstreferentialität der Kunst: Kunst aus Zitaten

Künstler wie Jochen Plogsties und Heimo Zobernig nutzen die Kopie als Ausgang für ihre Arbeiten. Derzeit sind sie in Hannovers Kestnergesellschaft zu sehen.

Kennt man doch: Jochen Plogsties Kopie von Rembrandts Anatomie des Dr.Tulp. Bild: VG-Bild-Kunst, Bonn 2014/Kestner-Gesellschaft

BRAUNSCHWEIG taz | Die Nachahmung fremder Werke ist in der Kunst verbreitet und nicht neu. Im akademischen Studium der Malerei gehörte es zum Curriculum, sich intensiv mit einem Künstler, dessen Duktus, Farbigkeit oder Bildkomposition zu befassen. Aber wohl kein Jungkünstler wäre früher auf die Idee gekommen, seine Werkkopie als originäre Schöpfung auszugeben. Der Respekt vor dem reproduzierten Meister verbat derartiges Ansinnen.

Spätestens im 20. Jahrhundert änderte sich diese Haltung. Mit der Konzeptkunst des Readymades wurden selbst so triviale Dinge wie ein Urinal in den Status der Kunst erhoben. Und das altmeisterliche Original verlor durch die massenweise Wiedergabe in den modernen Medien seine Aura, nur einer begrenzten Zahl von Kennern vertraut zu sein.

Vorsätzliche Annexion

Die Appropriation Art in den 1970er-Jahren deklarierte dann ein neues Selbstbewusstsein: Mit strategischem Vorsatz wurden Werke anderer Künstler annektiert, wobei der Akt des Kopierens oder Zitierens selbst und sein Resultat als Kunst verstanden werden wollten. Konsequenterweise flossen auch ästhetisches Gebrauchsmaterialien wie Fotos, Postkarten, Werbung in derartige Umwidmungsprozesse ein. Größe, Technik, Farbe oder Medium der Originale wurden mitunter radikal geändert.

Das programmatische Aufbegehren, durch den Akt des Kopierens die Selbstreferentialität des Systems Kunst aufzudecken und seine Grenzen kritisch zu verhandeln, erscheint angesichts der Marktorientierung aktueller Kunst geradezu rührend. Gleichwohl wird die Spielart des kalkulierten Kopierens unter jüngeren Künstlern gepflegt, wie Jochen Plogsties derzeit im Erdgeschoss der Kestnergesellschaft Hannover eindrucksvoll demonstriert.

Plogsties, 1974 in Cochem geboren, lebt und arbeitet in Leipzig, wo er bei Neo Rauch studiert hat. Er ist Maler und nimmt sich in offensichtlich gewaltiger Produktivität unserer Bildwelten an. Rund 40 meist großformatige Arbeiten der Ausstellung greifen historische Porträtmalereien auf, aber auch den fantastischen Surrealismus eines Hieronymus Bosch oder Fotoarbeiten – etwa die von Cindy Sherman nachgestellten Filmstills – und überführen sie in lässig-expressive Malerei. Spätestens bei Sherman wird der Prozess einer doppelten Kopie offensichtlich: Sie nahm ja bereits Stereotype der Filmgeschichte als Vorlage für ihre Reinszenierungen, erfand also keine neue Bildrealität. Unter Plogsties ist ihre kleinformatige Schwarz-Weiß-Fotografie nun auf gut zweieinhalb Quadratmeter gedämpft farbige Malerei angeschwollen.

Auch bei seinen anderen Vorlagen orientiert sich Plogsties nicht am Original. Immer sind es Reproduktionen, in Büchern, auf Postkarten oder aus dem Internet. Neben der Verfremdung des ursprünglichen Motivs durch die beständig gleiche Malweise werden munter die Größe und, durch die Kombination der Werke miteinander, der Kontext manipuliert: das kleine Rasenstück von Albrecht Dürer etwa erreicht opulente vier Quadratmeter Größe und hängt nun neben einer minimal verkleinerten Magritte’schen Pfeife. Die wiederum wird von einer vier Quadratmeter großen Kopie des Plattencovers von Abbey Road der Beatles flankiert. So entsteht in dichter Hängung ein imaginäres Museum mit hohem Wiederkennungs und vor allem: Unterhaltungswert. Aber auch ein hoffentlich ironischer Kommentar zur Verfügbarkeit und wahllosen Kombination unseres Kulturguts im derzeitigen Bildgebrauch.

Verfremdetes Mobiliar

Mit der Erwartung des Zitates ist man auch im Obergeschoss der Kestnergesellschaft bei Heimo Zobernig gut gerüstet. Nur ist es in dessen Arbeiten weniger offensichtlich. Zobernig, 1958 im oberösterreichischen Mauthen geboren, lehrt Bildhauerei an der Akademie für bildende Künste in Wien und liebt die reduzierte Form. In exaktem Raster sind 20 Objekte unterschiedlichen Baualters und immer ohne Titel zur Gesamtinstallation zusammengestellt. Sie haben unverkennbar ihren Ursprung im angewandten Bereich, können als Belegstellen bürgerlichen Mobiliars gelesen werden.

Eine lange Bank, verschiedene Regale, Kredenzen, Tische, ein Paravent stehen nebeneinander, neue Skulpturen aus Papprollen durchbrechen eher zaghaft das strenge Setting. In seinen Objekten greift auch Zobernig zum probaten Mittel der Verfremdung: seine möbelhaften Werkstücke sind aus billiger Spanplatte oder Sperrholz ohne handwerkliche Finesse zusammengeschraubt, häufig nur in Teilbereichen farbig gefasst oder in der Oberfläche veredelt, werden manchmal durch Verspiegelungen in einer suggerierten Nutzbarkeit eingeschränkt. Diese nüchternen Werke verströmen keinen sinnlichen Reiz, wollen nicht mit Geheimnissen überraschen. Sie setzen auf den Konsens anerkannter Meisterschaft – aber wo ist die tiefere Idee?

Im zweiten Saal wartet neuere Malerei Zobernigs. Hier greift er auf drei Grundmuster der klassischen Abstraktion zurück: die Monochromie, das rationale Raster und die gestische Malweise. In der Kombination entstehen daraus vielschichtige Tableaus. Rasterlinien etwa werden durch amorphe Farbakzente fast bis an die Grenze ihrer Erkennbarkeit gestört. Eine Monochromie ist als Farbstimmung, nicht als einheitlicher Farbauftrag angelegt, und sei’s in gülden-braun. Allerdings irrt, wer in den Bildern noch Reste künstlerischer Spontaneität vermutet: Sie sind Resultate penibler Planung bis ins kleinste Detail, das Gestische ist nur mehr Zitat.

Jochen Plogsties „Küsse am Nachmittag“ sowie Heimo Zobernig: bis 15. Februar, Kestnergesellschaft Hannover
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