Senioren in Südkorea: „Die Jugend behandelt uns wie Dreck“

Die Nachkriegsgeneration hat Südkorea wieder aufgebaut. Doch viele Senioren müssen bis ins hohe Alter arbeiten. Ein Tag im Rentner-Park von Seoul.

Zeitvertreib bei Brettspielen: Senioren in Südkorea. Bild: imago/Volker Preußer

SEOUL taz | Lee Cheong-hee hat es sich auf der Steinbank bequem gemacht. Die Turnschuhe sorgfältig zur Seite gelegt, reibt er sich die steif gefrorenen Füße warm. Über eine Stunde war der 78-Jährige an diesem Vormittag schon spazieren, genau wie all die anderen Tage auch. Seit mehr als 15 Jahren fährt er jeden Morgen von seinem Seouler Vorort bis ins Stadtzentrum, um sich im Jongmyo Park bei Brettspielen und Debatten die Zeit zu vertreiben. Viele der tausend Parkbesucher sind in ihrem achten Lebensjahrzehnt, einige auch im neunten.

„Wir haben so viel gearbeitet für den Staat, aber die Jugend behandelt uns wie Dreck“, sagt Lee und schlürft seinem Automatenkaffee. Seine wässrigen Knopfaugen haben einst mit angesehen, wie aus den zerbombten Straßen seiner Jugendzeit riesige Bürotürme wuchsen, die den Jongmyo Park nun umzingeln. Seine Heimat Südkorea entwickelte sich von einem der ärmsten Länder der Welt zur 15tgrößten Volkswirtschaft. Und doch hat sie für Leute wie Lee gerade mal eine Monatsrente von 120 Euro übrig.

Südkorea ist die am schnellsten alternde Gesellschaft der Welt. Innerhalb von 30 Jahren hat sich der Bevölkerungsanteil der Senioren verdreifacht. Betrug das Durchschnittsalter damals 26 Jahre, wird es 2015 erstmals über 40 steigen. Zugleich ist die Geburtenrate derart niedrig, dass das Volk rein statistisch bis 2750 aussterben würde.

Alt sein geht in Südkorea allzu oft mit Armut einher. Rund die Hälfte aller Senioren lebt unter dem Existenzminimum, so viele wie in keinem anderen OECD-Staat. „Die Situation ist überaus besorgniserregend. Konflikte zwischen den Generationen um die Renten nehmen stark zu“, sagt Ryu Geon-sik, Leiter des Korea Insurance Research Institute.

Symbolische Monatsrente

Während sich im Zuge des rasanten Wirtschaftsaufstiegs traditionelle Familienbindungen lösten, wurde kein Sozialsystem entwickelt, das dies austarieren könnte. Nur 1,7 Prozent des Bruttosozialprodukts bringt Südkorea für seine Senioren auf. Die Hälfte von ihnen muss ohne finanzielle Unterstützung ihrer erwachsenen Kinder zurechtkommen. Wer nicht im öffentlichen Dienst gearbeitet hat, bekommt meist nur eine symbolische Monatsrente.

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Knapp 100 Euro sind es bei Herrn Ho, 88. „Wir müssen sparen, meine Frau und ich“, sagt er. Und die Kinder? Ach was, winkt Ho ab, die hätten selbst genug Probleme, ihre Familie durchzubringen. Damit er keinem zur Last falle, habe er sein Leben lang als Tischler gearbeitet. Die Studiengebühren der Kinder mussten bezahlt werden, später brauchten sie zum Heiraten eine Eigentumswohnung. Erst mit 83 konnte er sich den Ruhestand leisten.

Zehn Jahre länger arbeiten

Auch wenn das offizielle Rentenalter 61 ist, arbeiten Südkoreaner im Schnitt zehn Jahre länger. Anderthalb Millionen Alte säubern die Straßen der Wohnviertel, verteilen Flyer in Einkaufsstraßen oder bewachen die Apartments der Wirtschaftselite. Alte betreiben die meisten Straßenimbisse und Minimärkte.

Tausende Kleinstunternehmen bestehen aus alten Ehepaaren, die durch frühzeitige Kündigung in die Selbstständigkeit gedrängt wurden. „Viele Alte sind Opfer einer Gesellschaft geworden, zu der sie selber beigetragen haben“, meint der 34-jährige Se-Woong Koo, Chefredakteur der Nachrichtenwebseite Korea Exposé: „Sie haben hart gearbeitet, denn sie hatten reale Ziele vor Augen: das erste Auto, das eigene Apartment. Die Jugend ist nicht mehr bereit, sich aufzuopfern“.

Den Traum vom endlosen Wachstum habe niemand mehr. „Wenn unsere Generation hart arbeitet, dann nur mehr aus persönlicher Erfüllung“, sagt Koo.

Es ist Abend geworden in Jongmyo Park. Nur vereinzelt verirren sich auch ein paar Junge hierher. Meist sind es Touristen, denn nördlich des Parks ist einer der ältesten noch erhaltenen Konfuzius-Schreine des Landes. „Ehre deine Eltern“ hatte der chinesische Gelehrte einst zur moralischen Maxime erhoben.

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