Sexualisierte Gewalt in der Kirche: Die ewig blinde katholische Kirche

Papst Franziskus will versuchen, Übergriffe von Priestern aufzuklären. Doch extrafromme Hardliner torpedieren die Reformen.

Drei Nonnen laufen bei Regen mit Regenschirmen über einen Platz

Sexualisierte Gewalt in der Kirche wurde jahrelang ignoriert Foto: reuters

Man wird immer irgendwelche weißhaarigen Kardinäle finden, die es leugnen und alles runterspielen würden – aber die katholische Weltkirche ist in heller Aufregung. In rund zwei Wochen treffen sich auf Einladung von Papst Franziskus die Vorsitzenden der nationalen Bischofskonferenzen in Rom, um wie einst der Apostel Thomas den Finger in die Wunde zu legen, die die Glaubensgemeinschaft von rund 1,2 Milliarden Menschen derzeit an den Rand ihrer Existenz bringt.

Bischöfe aus aller Welt wollen beraten, wie sie mit dem Missbrauchsskandal umgehen wollen, der offen oder hinter vorgehaltener Hand in allen Ländern der Erde diskutiert wird, in denen die katholische Kirche eine Rolle spielt. Selbst Island mit seinen nur rund 12.000 katholischen Gläubigen hatte vor ein paar Jahren einen Skandal um sexualisierte Gewalt an Minderjährigen.

Da der Vatikan auch ein frühneuzeitlicher Palast ist, zu dem die Nöte der katholischen Welt nur sehr gedämpft dringen, war es in den vergangenen Wochen umso wichtiger, dass die Missbrauchsbombe dort nun plötzlich mittendrin explodiert ist. Ausgerechnet ein Abteilungsleiter der Glaubenskongregation, der österreichische Pater Hermann Geißler, musste den Präfekten der früheren Heiligen Inquisition um seine Entpflichtung bitten, da ihm von einer Ex-Ordensfrau mehr als glaubhaft vorgeworfen wurde, er sei ihr gegenüber 2009 im Beichtstuhl übergriffig geworden.

Das ist auch kirchenpolitisch brisant. Denn Pater Geißler ist Mitglied der konservativen geistlichen Gemeinschaft „Das Werk“ (FSO), ihn hatte der damalige Leiter der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, 1993 in seine Behörde geholt und ihn dann, als Papst Benedikt XVI, zum Abteilungsleiter für Lehrfragen befördert. Das bedeutet: Die Galionsfigur der Hardliner im Vatikan, der nun emeritierte Papst Benedikt, hat ganz offensichtlich einen mutmaßlichen Täter aus einer frommen und lange geförderten Vereinigung in eine theologische Schaltstelle der Weltkirche gehievt, wo liberale Theologinnen und Theologen in aller Welt gemaßregelt werden (können) – und das nach einer sehr wahrscheinlichen Missbrauchstat, der ausgerechnet eine gehorsame deutsche Nonne zum Opfer fiel.

Der Skandal ist im Kern der Kirche angekommen

Das ist, nach der Ende vergangenen Jahres erfolgten Verurteilung wegen Kindesmissbrauchs des australischen Kurienkardinals George Pell, der Nummer drei im Vatikan, das nächste Erdbeben, das den Vatikan erschüttert. Zeitgleich begann im Herbst vergangenen Jahres auch in Polen, dem hartnäckigen Kernland des reaktionären Katholizismus, die Aufarbeitung des dort lange verdrängten Missbrauchsskandals – angestoßen vor allem durch den Film Der Klerus von Wojciech Smarzowski.

Kardinal Gerhard Ludwig Müller

„Man will das sakramentale Priestertum mit der Missbrauchskrise aus den Angeln heben“

Der Regisseur hat über Benedikts polnischen Vorgänger Papst Johannes Paul II, mittlerweile heilig gesprochen, gesagt: „Unser Papst ist dafür verantwortlich, dass das Thema Pädophilie in der Kirche unter der Decke gehalten wurde.“

In Frankreich, der „ältesten Tochter der Kirche“, muss sich derzeit der Erzbischof von Lyon, Kardinal Philippe Barbarin, vor Gericht verantworten. Ihm wird vorgeworfen, die Missbrauchstaten eines Priesters jahrelang vertuscht zu haben. Es ist nicht mehr anders zu beschreiben: Der Missbrauchsskandal ist mittlerweile im Kern der katholischen Weltkirche angekommen, und zwar in den obersten Rängen und auch in den konservativsten Kreisen, die diesen Skandal stets am liebsten als Fantasie liberaler Kirchenreformer abtun wollten.

Absurde Rechtfertigungsversuche

Da konnte es nicht verwundern, dass der von Papst Franziskus vor zwei Jahren gefeuerte frühere Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, sich zu Wort meldete – wie er es immer tut, wenn die reine Lehre in Bedrängnis gerät und seine Hardliner-Buddies in die Defensive geraten. Kurz vor Weihnachten letzten Jahres erklärte er in einer absurd-zynischen Volte, der sexuelle Missbrauch werde von manchen Akteuren innerhalb der Kirche missbraucht, um eigene Interessen durchzusetzen: „Es ist klar, dass diese Verbrechen instrumentalisiert werden, um eine andere Agenda zu befördern“, sagte Müller. „Man will das sakramentale Priestertum mit der Missbrauchskrise aus den Angeln heben.“

Die im vergangenen Herbst in Deutschland veröffentlichte Missbrauchsstudie hatte festgestellt, dass ein komplexes Wechselspiel zwischen Zölibat, Homophobie, Macht­missbrauch und klerikaler Überhöhung offenbar eine wesentliche Voraussetzung für sexualisierte Gewalt und ihre Vertuschung in der katholischen Kirche ist.

Vor wenigen Tagen hat der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf mit wenigen anderen Bischöfen bei einer Sitzung des „Ständigen Rats“ der katholischen Oberhirten in Würzburg seine Mitbrüder zu überzeugen versucht, auf nationaler Ebene eine Synode zum Missbrauch einzuberufen – mit Beteiligung von Laien, auch von Frauen. Doch dieser Antrag fand keine Mehrheit im deutschen Episkopat. Das lässt für die Missbrauchskonferenz der führenden Bischöfe der Welt in Rom nichts Gutes erahnen.

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