Sexueller Missbrauch in der Kirche: „Es ist ein Anfang“

Die evangelische Nordkirche beauftragt eine externe Kommission mit der Aufarbeitung ihrer Missbrauchsfälle. Bischöfin Fehrs zeigt Lernbereitschaft.

Will künftig genauer hinsehen bei sexualisierter Gewalt unter dem Dach der Kirche: Bischöfin Kirsten Fehrs. Bild: dpa

HAMBURG taz | „Ruhe wird es erst einmal nicht geben“, sagt Kirsten Fehrs. Damit beschließt die Bischöfin der Nordkirche im Sprengel Hamburg und Lübeck die Präsentation eines Berichts zu den Missbrauchsfällen in der ehemaligen Nordelbischen Kirche.

Eine unabhängige Kommission aus zwei Juristinnen und zwei Pädagogen stellte am Dienstag in Hamburg einen von der Nordkirche beauftragten Bericht mit insgesamt 155 Empfehlungen vor. Welche davon umgesetzt werden, darüber wird eine Arbeitsgruppe entscheiden.

Anlass für die Untersuchung war das Bekanntwerden jahrzehntelangen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch einen Pfarrer im schleswig-holsteinischen Ahrensburg.

Obwohl sich Betroffene und deren Angehörige hilfesuchend an Kirchenvertreter wandten, reagierte lange niemand. Als Ursache für diesen und ähnliche Fälle nannte die Kommission nun mangelndes Wissen über sexualisierte Gewalt in Institutionen, unklare kirchliche Strukturen und eine Vernachlässigung der Opferperspektive.

2010 waren die Missbrauchsfälle in der evangelischen Kirche in Ahrensburg (Kreis Stormarn) öffentlich geworden. Dort hatte ein Pfarrer jahrzehntelang Jugendliche und junge Erwachsene sexuell missbraucht. Ein Opfer wandte sich 2010 an das Kirchenamt.

Trotz Hinweisen von Eltern und Opfern hatte die Kirche zuvor jahrelang nicht reagiert, unter anderem war ein Kollege des Täters informiert worden. Bischöfin Maria Jepsen trat 2010 zurück - wegen Kritik, sie habe Hinweise ignoriert.

Die damalige Pröpstin hatte den Pfarrer schließlich versetzen lassen. Anschließend war er jedoch als Seelsorger für Jugendliche im Gefängnis zuständig. Wegen Verjährung blieb er straffrei. Aus dem kirchlichen Dienst schied er freiwillig aus.

Laut Ursula Enders, Leiterin der Beratungsstelle Zartbitter in Köln, wurde noch im Jahr 2013 den Eltern eines Kindes, das in einer kirchlichen Kita in Hamburg-Schnelsen missbraucht worden war, keine adäquate Hilfe angeboten. Ihnen seien Adressen genannt worden, wo dann aber keine Kapazitäten vorhanden gewesen seien; bei der Aufarbeitung seien durch Fehler neue Konflikte entstanden.

Enders, die nun selbst Teil der Kommission war, plädierte nachdrücklich für Kriseninterventions-Teams und mehr psychosoziale Kompetenz. Ihr Kollege Dirk Bange von der Hamburger Sozialbehörde forderte mehr Kontrolle für die kirchliche Kinder- und Jugendarbeit – wenn etwa auf eine Freizeit nicht weibliche und männliche Begleitung mitkomme, müsse nachgehakt werden.

Die Juristinnen der Kommission, Petra Ladenburger und Martina Lörsch, haben die 16 kirchlichen Disziplinarverfahren wegen Missbrauchsfällen zwischen 1973 und 2011 ausgewertet. Die Verfahren wurden überwiegend eingestellt oder hatten nur geringfügige Folgen.

Das liege, so Ladenburger, an einem Strafrecht, das den sexuellen Kontakt zwischen Erwachsenen und Jugendlichen oder jungen Erwachsenen nicht unter Strafe stelle. Diese Sicht müsse die Kirche in ihre Verfahren nicht übernehmen – tue es aber in den meisten Fällen.

Die Kommission empfiehlt nun unter anderem ein Abstinenzgebot, das sexuelle Kontakte im Bereich der Seelsorge verbietet, zudem klare Handlungsvorgaben bei Hinweisen auf sexuelle Übergriffe und eine zentrale Stelle, die sich damit befasst.

Einige der Vorschläge hat die Nordkirche in einen vorläufigen Zehn-Punkte-Plan aufgenommen. So soll etwa ein kirchliches Beschwerdemanagement eine externe Ombudsstelle ergänzen, und Experten sollen ein Kriseninterventionsteam bilden. Bei Stellenbesetzungen im Kinder-und Jugendbereich wird ein erweitertes Führungszeugnis verpflichtend.

Zu der Vorstellung des Berichts waren auch Betroffene gekommen, darunter Corinna Boller, die 2010 den Missbrauch durch den Ahrensburger Pastor öffentlich gemacht hatte. „Es ist ein Anfang“, sagte sie, „die Kirche will ja lernen und übernimmt Verantwortung.“

Verhaltener äußerte sich Anselm Kohn, Gründer des Vereins „Missbrauch in Ahrensburg“: Nachdem Bischöfin Fehrs angekündigt hat, dass ein Disziplinarverfahren gegen die damalige Pröpstin geprüft wird – was 2011 noch abgelehnt wurde –, fragt Kohn nach Konsequenzen im Personaldezernat.

Das hatte den Pastor trotz Kenntnis der Vorwürfe zur Seelsorge in ein Jugendgefängnis versetzt. Auch die Praxis bei der Bewilligung von finanziellen Entschädigungen sei reformbedürftig. So seien Betroffene dort unnötigen Fragen ausgesetzt.

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