Sikhs in Berlin: „Wir sind vorsichtig“

Sikhs mit Turban werden oft Opfer rassistischer Beleidigungen. Um über ihre Religion aufzuklären, veranstaltet die Gemeinde am Samstag einen Turban-Tag.

Ranjit Paul Kaur und Amarjeet Singh

„Viele glauben, dass ein Mann mit einem Turban und langen Bart automatisch ein Taliban ist“: Ranjit Paul Kaur und Amarjeet Singh (rechts) Foto: Christian Mang

taz: Frau Kaur, Herr Singh, die Religionsgemeinschaft der Sikhs in Berlin ist mit rund 1.500 AnhängerInnen sehr klein. Haben Sie Probleme mit Diskriminierung?

Ranjit Paul Kaur: Zum Glück nicht wirklich.

Amarjeet Singh: Bislang hatten wir keine großen Probleme. Die meisten Sikhs in Berlin sind gebildete Fachkräfte oder IT-Spezialisten und haben nette Kollegen. Sie leben in einem gebildeten und aufgeschlossenen Umfeld. Ein bisschen anders ist es bei denen, die auf dem Land wohnen und auf Märkten oder in Restaurants arbeiten. Wenn die am Sonntag in die Gemeinde kommen, erzählen sie schon von rassistischen Beleidigungen.

Woran machen Sie das fest?

Singh: Viele glauben, dass ein Mann mit einem Turban und langen Bart automatisch ein Taliban oder sogar ein Anhänger von Osama Bin Laden ist. Seit dem 11. September werden auch Sikhs angegriffen. In den Vereinigten Staaten wurde im Staat Wisconsin ein Sikh-Tempel überfallen. Sechs Menschen sind gestorben, viele wurden verletzt. Es war eine Hasstat gegen Muslime und Sikhs gleichermaßen.

Stellen Sie sich deswegen am 28. April auf den Potsdamer Platz und veranstalten einen „Turban-Tag“?

Amarjeet Singh ist 80 Jahre alt und kam 1963 als junger Elektroingenieur nach Deutschland. Er verliebte sich in eine Bayerin, mit der er bis heute verheiratet ist.

Ranjit Paul Kaur kam mit ihrem Mann 1978 nach Deutschland. Sie arbeitete als Software-Ingenieurin, ihr Mann als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Physik.

Singh: Den Turban-Tag wollen wir schon seit einem Jahr veranstalten. Trotzdem hat der antisemitische Vorfall im Prenzlauer Berg gezeigt: Nur wegen einer Kopfbedeckung wird da jemand geschlagen, geprügelt und überfallen. Mit dem Turban-Tag wollen wir die Menschen darüber aufklären, was ein Turban ist und was ein Sikh. Und das man keine Angst davor haben muss. Nur weil jemand Turban trägt, ist er noch lange kein Islamist.

Kaur: Wir glauben daran, dass man Vorurteile nur abbauen kann, indem man miteinander spricht. „Warum macht ihr das?“, ist eine Frage, die man als Religionsgemeinschaft beantworten muss. Nur so kann man der irrationalen Angst entgegenwirken. Wissen ist die beste Medizin gegen Vorurteile.

Fühlen Sie sich sicherer durch Ihre Aufklärungsarbeit?

Kaur: In Berlin ist uns noch nichts Schlimmes passiert. Aber wir sind vorsichtig. Viele unserer Gemeindemitglieder haben kleine Kinder. Damit andere Kinder und Eltern verstehen, warum die einen Patka tragen – den kleinen Bruder des Turbans – gehen wir mittlerweile auch in Schulen und stellen uns dort vor.

Der Turban-Tag Am Samstag veranstaltet die Sikh-Gemeinde Berlin von 11–18 Uhr einen Turban-Tag am Potsdamer Platz. Die Gemeindemitglieder erklären Interessierten, warum Sikhs einen Turban tragen und wie man ihn bindet.

Die Religion Sikhs haben ihre Ursprünge in der Region Punjab in Nordindien. Guru Nanak ist der Gründer der Sikhs. Er lehnte das Kastenwesen ab und sah sich als Diener und Botschafter Gottes. Ihm folgten neun weitere Gurus. Der letzte Guru Gobind gründete im Jahr 1699 eine kämpferische Gemeinschaft. Seitdem tragen die Sikh-Männer den Namen Singh („Löwe“) und die Sikh-Frauen den Namen „Kaur“ („Prinzessin“). Als Zeichen der Heiligkeit sollen sich Sikh-Männer ihre Haare wachsen lassen und unter den Turban stecken. Die Kopfbedeckung weiblicher Sikhs, ein leichtes Tuch, wird Chunni oder Dupatta genannt.

Die Zahlen Weltweit gibt es etwa 25 Millionen Sikhs, die meisten leben in Indien. Als 1984 das religiöse Zentrum der Sikhs, der goldene Tempel in Amritsar, von indischen Truppen gestürmt wurde, flohen viele ins Ausland. In Deutschland leben laut Deutschem Informationszentrum für Sikhreligion (DISR) rund 18.000 Sikhs. In den 1960ern kamen die ersten Sikhs nach Westberlin, viele arbeiten in der IT-Branche. Seitdem Universitäten Studiengänge auf Englisch anbieten, kommen vermehrt junge Sikhs nach Berlin.

Der Anschlag Am 16. April 2016 gab es einen islamistischen Sprengstoffanschlag auf das Gebetshaus der Sikh-Gemeinde in Essen. Drei Menschen wurden dabei verletzt.

Können Sie mir kurz den Ort vorstellen, an dem wir hier zusammen sitzen?

Kaur: Wir sind hier in unserer Gebetsstätte Gurduwara, dem „Tor zum Guru“. Als Sikhs kommen hier 400 Gemeindemitglieder zusammen, um aus unserem heiligen Buch zu lesen und danach zu beten. Das ist das Wichtigste für uns und nicht, wie es hier aussieht. Eine Sikh-Gebetsstätte kann überall sein, auch in einem einfachen Haus.

Singh: (lacht) Dieses hier war früher eine Malerwerkstatt und richtig dreckig. Unsere jungen Männer haben es dann aber in nicht einmal drei Monaten renoviert. Das war großartig. Bei uns Sikhs wird die Arbeit mit den eigenen Händen sehr geschätzt.

An was glauben Sikhs?

Kaur: An den einen Gott. In unserem heiligen Buch steht geschrieben, dass es am Anfang einen Lichtgott gab, auf dem jede Schöpfung beruht. Für uns sind alle Menschen gleich, unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrem Geschlecht oder ihrer Herkunft. Das Kastensystem lehnen wir ab. Um das zu symbolisieren, sitzen wir alle auf dem Boden und essen das Gleiche. In der Gemeinde kochen wir immer vegetarisch, Fleisch ist aber nicht verboten. Suchtmittel wie Tabak oder Alkohol allerdings schon.

Das sind ja schon ein paar Regeln.

Kaur: Die Sikh-Religion basiert auf drei Grundsätzen. Man soll immer im Gottesnamen meditieren, seinen Lebensunterhalt selbst verdienen und an Bedürftige spenden. Selbstlosigkeit ist das Höchste, was ein Sikh tun kann, um sich von Sünden zu reinigen. Zum Beispiel heute: Da kochen unsere jungen Gemeindemitglieder für die Bedürftigen. Ein Anderer hat für die ganze Gemeinde ein Jahr lang Mails und Briefe an den Bezirk geschrieben, damit wir den Turban-Tag veranstalten können.

Wie lange dauert es eigentlich, einen Turban zu binden?

In Deutschland sagte man mir dann aber: Herr Singh, Ihr Turban passt nicht zur Krawatte.

Singh: (lacht) Ich brauche dafür vielleicht vier Minuten. Ich bin aber auch schon 80 Jahre alt. Jemand, der damit anfängt, braucht eher 20 Minuten.

Haben Stoff und Farbe des Turbans eine Bedeutung?

Singh: Als Stoff verwenden wir einen leichten Baumwollstoff. Die Farbe hat keine Bedeutung.

Kaur: Nur Blau und Orange sind eine Ausnahme. Sie findet man in jeder Sikh-Gebetsstätte, oft in der Dekoration, immer aber in unserer Flagge. Blau steht für Reinheit, Orange für Tapferkeit.

Singh: Als ich 1963 als junger Ingenieur nach Deutschland kam, trug ich Turbane in allen möglichen Farben. Bei uns in Indien gibt es ja ganz andere Vorstellungen davon, was farblich so zusammenpasst, nämlich fast alles! In Deutschland sagte man mir aber: Herr Singh, Ihr Turban passt nicht zur Krawatte. Ich dachte dann: Das lerne ich doch nie, was für euch zusammenpasst und was nicht! Seitdem trage ich überwiegend Weiß.

In New York hat die Sikh-Gemeinde an ihrem Turban-Tag über 9.000 Turbane gebunden. Schaffen Sie das auch?

Singh: (lacht) Ja, Ranjit, schaffen wir das?

Kaur: Einige Hundert schon.

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