Spielsystem der Japanerinnen: Zauber der Zwerge

Die Japanerinnen sind im Finale der Fußball-WM. Vielen Zuschauern kommt ihr Spiel spanisch vor. Dabei nimmt es sich Judo und Aikido als Vorbild.

Setzen sich auch im Zweikampf durch: Kozue Ando gegen Annica Svensson (li) und Marie Hammerstroem (re) Bild: dapd

FRANKFURT taz | Es war einer dieser ganz seltenen Abende, an denen Fußball zum Kunstgenuss wird. Und so war es folgerichtig, dass sich die Japanerinnen am Mittwochabend im Frankfurter WM-Stadion wie nach einer Theateraufführung in einer Reihe vor der Haupttribüne aufstellten und verbeugten.

Die Zuschauer, die schon während des Spiels ihre Hochachtung kundtaten, bedankten sich am Ende mit kräftigem Applaus für die magische Vorstellung. Es fehlte nur der Vorhang.

Wieder räumten die Japanerinnen ein Team aus dem Weg, das sich selbst als Favorit sah. Nach den Deutschen besiegten sie nun die Schweden 3:1. Wieder hatten sie sich gesteigert, obwohl man dachte, sie seien an ihre Grenze gestoßen. Wieder hatten sie ein Team besiegt, das im Schnitt zehn Zentimeter größer war. Nicht die kleinen Asiatinnen, sondern die hochgewachsenen Schwedinnen waren chancenlos.

Entrückte Spielweise

Das bisherige Resümee der WM, dass die Teams insgesamt näher zusammengerückt seien, muss modifiziert beziehungsweise ergänzt werden: Die Japanerinnen sind den anderen aufgrund ihrer Spielweise entrückt.

Der Frauenfußball, hieß es stets zu Recht, müsse seinen eigenen Weg gehen, da er auf eine wesentlich kürzere Entwicklungsgeschichte zurückblickt. Die Japanerinnen aber haben in den letzten vier Jahren einen Quantensprung vollzogen. Sie genügen bereits jetzt modernsten fußballtaktischen Ansprüchen. Nicht zufällig werden sie derzeit häufig mit dem weltbesten Vereinsteam, dem FC Barcelona verglichen, dessen Erfolge auf die Kombinationskunst kleiner wendiger Spieler wie Lionel Messi, Andrés Iniesta und Xavi beruhen.

Wobei es einen maßgeblichen Unterschied gibt: Die Asiatinnen sind keine Befürworterinnen der totalen Offensive, sie wirbeln nicht durch dichte Abwehrreihen in der gegnerischen Hälfte, sondern sie denken und kombinieren ihr Spiel überfallartig aus der Defensive heraus.

Überzeugt, unterlegen zu sein

"Wir müssen die Leistung des Gegners klein halten, damit er seine Kraft nicht entfalten kann", sagte Trainer Norio Sasaki nach dem Finaleinzug. Funktionieren könne das nur über das Kollektiv. Sasaki erklärte: "Wir involvieren alle. Wenn wir das nicht machen, können wir uns international gegen die viel kräftigeren und größeren Gegnerinnen nicht behaupten."

Das ist vielleicht das Bemerkenswerteste an der Erfolgsgeschichte der Japanerinnen. Ihre sich immer weiter auswachsende Überlegenheit entspringt der Überzeugung, allen eigentlich unterlegen zu sein. Voller Respekt haben sie in der letzten Woche immer von den großen Deutschen und den großen Schwedinnen gesprochen.

Im Halbfinale zählten dann gerade zwei von den Kleinsten der Kleinen zu den Protagonistinnen des Abends. Aya Miyama, die zur Spielerin des Spiels gewählt wurde, sowie Nahomi Kawasumi, die zwei Tore erzielte, sind gerade einmal 1,57 Meter groß. Doch im Grunde genommen sind das nur Äußerlichkeiten.

Das Spiel beruht auf der Defensivstrategie

Die Japanerinnen überzeugten als Kollektiv. Es lief fast immer nach Plan. Und der lautete: möglichst nicht in Zweikämpfe mit den Schwedinnen geraten und geschickt den Ball rotieren lassen. Schnell wurde der meist im Mittelfeld erobert, rasch nach vorn umgeschaltet, flink die freien Räume besetzt, in rasantem Tempo kombiniert. Einziger Mangel: Es wurden zu wenig Chancen kreiert - diese dafür recht effizient ausgenutzt.

Bedenkt man es genauer, ist das Spiel der Japanerinnen überhaupt nicht so spanisch, wie das vielen vorkommen mag, die momentan ständig auf dem Barcelona-Vergleich herumreiten. Die Angriffskraft des Gegners aufzufangen und diese Energie sogleich in einen wirkungsvollen Gegenschlag umzuwandeln, das entspricht traditionell japanischer Kultur. Kampfsportarten wie Aikido und Judo beruhen auf dieser Defensivstrategie. Dabei geht es auch immer um die innere Harmonie. Und die kann man den Japanerinnen bei diesem Turnier wahrlich nicht absprechen.

Trainer Norio Sasaki selbst hob die "Seelenruhe" hervor, die das Team mittlerweile habe, aufgrund derer man sich auch nicht durch die Führung der Schwedinnen aus dem Konzept bringen ließ. Sein Team ist für die Zukunft gut gerüstet. Zumal Sasaki betonte, dass die Nachwuchsspielerinnen in Japan das schnelle Kombinationsspiel noch sicherer beherrschen würden als die Elf, die in Frankfurt das Publikum so verzückte.

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