Sport für Windhunde: Von Hasenziehern und Hundesöhnen

Ein Windhundrennen ist ein uneinholbarer Kontrollverlust und für die Halter eine Lebensaufgabe. Ein Besuch auf der Rennbahn.

Fünf Hunde mit Maulkörben rennen und springen auf einer präparierten Strecke

Ihr Hetztrieb ist nicht abtrainierbar: Windhunde beim Überwinden des Chaos Foto: Karin Kölsch

Mit siebzig Sachen donnern sie dahin, sagt Frau R., manche sagen sogar: mit achtzig. Frau R., eine Frau knapp unter 50 mit grauem Kurzhaarschnitt, ist Vorsitzende des Windhund-Rennvereins Untertaunus-Hünstetten, der die Bahn betreibt, auf der die Hunde laufen, in Hünstetten-Limbach, einem Dorf zwischen Wiesbaden und Limburg. Ihr Kollege erzählt, es sei die beste Bahn in ganz Deutschland.

Frau R. arbeitet als Kauffrau in der Ingenieursbranche und hat selbst einen Windhund. Greyhound nennt sich ihre Rasse. Sie sind die schnellsten, sagt Frau R.. So schnell sind sie, dass sie einen extra langen Auslauf brauchen, um nicht zu abrupt zu bremsen und sich dadurch zu verletzen. Weitere Rassen sind unter anderem: Afghanischer Windhund, Barsoi, Chart Polski, Deerhound, Galgo Espanol, Irish Wolfhound, Saluki, Sloughi, Whippet und Windspiel.

Sinn der Tiere war die Jagd. „Sie sollten früher einfach den Braten auf den Tisch bringen“, sagt Frau R.. Je nach Braten haben die Rassen verschiedene Features. „Whippets“ zum Beispiel sind sehr klein, da englische Bergleute sie zur Kaninchenjagd züchteten und weder Platz noch viel Futter für sie hatten. Heute würden die Hunde für Rassenschauen zum Teil auch opulenter und massiger gezüchtet, sodass sie nicht mehr so schnell jagen können. „Aber irgendwann ist das dann einfach kein Windhund mehr.“

Um dem fremdländischen Blut gerecht zu werden, das in den Adern ihrer Hunde fließt, greifen die meist Meier oder Schmidt heißenden Besitzer zu ungewöhnlichen Namen: „Dervisch Daydreamer“, „Mutabaruga’s Sunsplash“, „Nyakigláb Go-Go Girl“, „ElwëSingollo iz mira älf“, „Keen Ice vom rauhen Meer“, „Aristoteles vom Meatloaf“. Der Ansager hat Probleme mit der Silbentrennung.

Futuristische Häuser

Windhunde orientieren sich, anders als alle anderen Hunde, nicht am Geruch – sie sind „Sichtjäger“. Beim Rennen auf der Sandbahn laufen sie einem gelben flatternden Pappmachébündel hinterher, das einen Hasen imitieren soll. Über eine Stange ist es an einer umgebauten Kettensäge befestigt, die es laut röhrend auf einer Art Leitplanke an der Innenseite der als „Endlosanlage System Egger“ klassifizierten Bahn gegen den Uhrzeigersinn durch die Runde zieht.

Es wird mit einer Fernbedienung gesteuert; die Person, die das macht, heißt „Hasenzieher“. Der „Hetztrieb“ der Hunde sei nicht abtrainierbar. Das entspreche vollkommen ihrem Naturell, sagt Frau R. immer wieder. „Die sind einfach geboren, um zu laufen.“

Den Hunden scheint es egal, welchen Platz sie belegen. Den Besitzern nicht

Mit ihrem langen, schmalen Maul und ihrem langen, schmalen Körper sehen Windhunde fast aus wie Vögel, oder kleine, futuristische Häuser. Wie Ballonhunde, aber in echt.

Windhunde schlabbern nicht herum wie andere Hunde. Sie sind ruhig, außer wenn der Kettensägenhase läuft und sie selbst nicht dürfen. Dann jaulen sie in seine Richtung und springen auf die dürren Hinterbeine, sodass sie fast so groß sind wie ein Mensch. „Das is ebbe denne ihr Leben“, sagen die Besitzer, die sich auf ihren T-Shirts gerne mit der Folgsamkeit ihrer Hunde rühmen, dann oft zur Beschwichtigung.

Ironie der Geschichte

Ein Windhundrennen zu veranstalten ist paranoid, wie jedes Unternehmen der Vernunft. Ordnung und Kausalität will sie erkennen dort, wo Kontingenz herrscht und unentwegt Chaos droht. Wo die Suche nach Gründen bestenfalls in Tautologien endet: Ein Hund gewinnt ein Rennen, weil er schneller rennt als die anderen Hunde.

Die Vernunft, die in diesen Verfolgungswahn gebracht werden soll, besteht aus Kontrollen: Rassekontrollen, Beitragskontrollen, Tierarztkontrollen. Überall riecht es nach Desinfektionsmittel. In „Lizenzläufen“ muss jeder Hund zu Beginn seiner Karriere zeigen, dass er die anderen Hunde nicht umschubst, nicht angreift, nicht aufisst. Passiert das später doch einmal, wird er disqualifiziert. Gleich morgens am Renntag bricht sich ein Hund das Sprunggelenk. Die Angst vor solchen Verletzungen ist bei den Besitzern gewaltig.

Maulkörbe stellen sicher, dass kein Blut fließt. Im Freien reißt so ein Windhund schon mal ein Reh, wenn man nicht aufpasst, sagt Frau R.. Da braucht man sich nichts vormachen. Einige Rassen wurden sogar zur Wolfsjagd gezüchtet – Ironie der Geschichte. Um ihre Pfoten zu schonen, wird den Hunden die Sandbahn ständig gewässert und glattgestrichen; bei mehr als dreißig Grad wird das Rennen sofort beendet. Und Wetten, sagt Rennleiter Heiko H.: Wetten auf Hunderennen sind in Deutschland verboten.

Anders in Irland oder Großbritannien, wo 30.000 Greyhounds pro Jahr gezüchtet würden für einen professionellen Rennbetrieb in großem Stil, mit sechsstelligen Preisgeldern. Ein Halter habe dort häufig mehrere Dutzend Tiere; die, die keine Leistung bringen, seien da „unnütze Esser“ und würden einfach umgebracht. Massentierhaltung, schimpft Frau R., Laufbänder, Zwinger.

Wohin der Hase läuft

Heiko H. ist sehr groß, trägt einen Schnurrbart und Crocs-Schuhe, in denen er gemütlich durch die Gegend schlurft. Er hat mehrere Sloughis, die zum Teil von „Isra Mahanajim“ abstammen. „Isra Mahanajim“ gehört Dr. Sabine S., die als Ärztin arbeitet, und den Reporter beim Training dazu auffordert, ihren Hund in die Startbox zu drücken. Auch sie schimpft über die anglo-irischen Windhundbetriebe: In Irland erhielten sie sogar EU-Subventionen! Ihr Sloughi hat wenige Wochen zuvor in Dänemark den EM-Titel im „Coursing“ geholt, worauf sie sehr stolz ist.

„Coursing“ sei, erklärt Heiko H., etwas komplizierter als das normale Im-Kreis-Rennen. Der „Hase“ werde dabei über eine Rolle gezogen, die an verschiedene kleine Haken im Feld gewickelt sei, und imitiere so das Hakenschlagen. „Viel näher kann man der Jagd legal nicht kommen.“ Kluge Hunde wüssten allerdings häufig schon, wohin der Hase läuft – und kürzten ab. „Das gibt dann Punktabzug.“

In Spanien, da würden noch echte Hasen gejagt, sagt Frau R.. Aber auch dort würden diejenigen Hunde umgebracht, die nichts erwischen. Es gibt keinen Ausbruch aus der Immanenz.

„Rassismus“ ist verpönt. Auch Nicht-Windhund-Hunde dürfen, zumindest an Trainingstagen, auf der Bahn laufen – zeigen allerdings meist kein Interesse an dem ratternden Pappmaché-Büschel. Die Windhundmenschen bleiben ohnehin eher unter sich; eine eingeschworene Gemeinschaft, jeder kennt jeden. Nicht nur die Hunde sind miteinander verwandt, sondern auch die Halter. Neben den Männern, Typ „Grillmeister“, sind auch ihre Frauen und Kinder dabei.

Überholen, gewinnen, verlieren

Schon früh werden Letztere herangeführt an den Hundebetrieb, dürfen manchmal sogar den „Hasen“ drapieren oder die Fernbedienung steuern, mit der er gezogen wird. Zwischendurch gibt es Bratwurst mit Eigensalaten, später dann leckeren Kuchen.

Der Rennwettbewerb besteht aus unverständlich schallenden Mikrofonansagen und, da jede Hundeunterrasse ihr eigenes separates Rennen bestreitet, aus unendlicher Wiederholung und Warten. Das gibt dem Ganzen etwas Maschinelles; so, als würde man einer Waschmaschine beim Waschen zusehen. Einzig die Entfernung wechselt: Einige Hunde laufen 280 Meter weit, andere 350 oder 480 Meter.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Anders als Rennpferde sind Windhunde völlig autonom darin, wie sie laufen, wohin sie laufen, ob sie überholen, gewinnen, verlieren. Ein uneinholbarer Kontrollverlust, der höchstens mit dem Verweis auf den „Spaß“ rationalisiert werden kann, den die Tiere dabei hätten.

Manch ein Hund läuft nicht hinter dem „Hasen“ her, sondern hinter der Kettensäge, bellt sozusagen den falschen Baum an. Einige stoppen nicht ab, nachdem der „Hase“ einige Meter hinter dem Ziel fallengelassen wird, sondern rennen einfach weiter, manchmal ganze Runden. Andere hingegen kommen nicht mal ins Ziel. „Stehen, damit es weitergeht“ hieß einmal eine Rubrik im Privatfernsehen.

Den Hunden sei es egal, welchen Platz sie belegen, spekuliert Heiko H.. Den Besitzern ist es das jedenfalls nicht. Die Windhundhaltung ist ein teures Hobby und, sozusagen, ebbe denne ihr Leben. Einer berichtet von 5.000 Euro Tierarztkosten pro Jahr. Fast jedes Wochenende sind irgendwo in Deutschland Rennen; viele fahren mit dem Wohnmobil umher. Als Schiedsrichter werde H. oft angefeindet, berichtet er. „Da ist teilweise ein enormer Ehrgeiz mit im Spiel, obwohl es nur um die goldene Ananas geht.“

Eine goldene Ananas gab es beim Rennen in Hünstetten nicht zu gewinnen; dafür Futtertüten, Näpfe, Statuen, Windlichter, USB-Sticks. „Ilyada Mahanajim“, die Hündin von Heiko H., hat ihre Rennen gewonnen. Es ist wie im Casino: Das Belohnungszentrum sprüht Funken.

***

Korrektur: In einer früheren Version dieses Textes wurde Dr. Sabine S. als Tierärztin ausgewiesen, sie ist aber Allgemeinmedizinerin. Außerdem wurde beschrieben, dass sich ein Windhund den Knöchel bei einer Kollision gebrochen hätte, das war aber nicht der Fall. Wir bitten, diese Fehler zu entschuldigen.

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