Stadtentwicklung in Aachen: Ein Quartier im Umbruch

Wie soll sich Aachen-Nord weiterentwickeln? Wie viel Gentrifizierung ist gut für das Viertel? taz.meinland fragte vor Ort nach.

Im Depot in Aachen-Nord wurde über die Zukunft des Viertels diskutiert Bild: Burhan Yassin

von JANN-LUCA ZINSER

Wenn man das „Depot“ in Aachen-Nord betritt, überquert man mit roter Farbe gefüllte Schienen. Das neu errichtete Kulturzentrum war einst ein Straßenbahnhof und soll heute ein Begegnungspunkt für die Bewohner und für soziale und kreative Projekte sein.

Die große Halle ist lichtdurchflutet. Freiliegende Rohre unterstreichen den industriellen Charakter, der das Viertel in seiner Vergangenheit so prägte. Sinnbildlich steht der Komplex für das, was taz.meinland hier diskutieren will: einerseits das Potential, andererseits die vielen Probleme von Aachen-Nord.

Zu Gast waren Patricia Yasmine Graf, designmetropole aachen, Marianne Kuckelkorn, Begegnungszentrumskoordinatorin der Arbeiterwohlfahrt Aachen-Nord, Alexander Samsz, Autor und Herausgeber von „Aachen Nord Viertelmagazin”, Nadya Bascha, Atelierhaus Aachen, und Roberto Graf von der Tu was GmbH Schülerfirma. Laila Oudray, Redakteurin im Projekt taz.meinland, führte durch den Abend.

Wieviel Gentrifizierung darf es sein?

Was genau sind die Probleme vor Ort? Schnell kristallisiert sich in der Diskussion heraus: Der Kiez war schon immer ein Arbeiterviertel. Und soll es auch bleiben. „Aachen-Nord ist kein Schickimicki-Viertel. Wir müssen den ursprünglichen Charakter erhalten!”, fordert ein Mann im Publikum.

„Aachen-Nord ist kein Schickimicki-Viertel. Wir müssen den ursprünglichen Charakter erhalten!”

Peripher und doch zentral gelegen, waren die Wege zwischen Zuhause und Arbeit nie weit, der Wohnraum bezahlbar. Seit immer weniger Menschen in diesem Sektor arbeiteten, änderte sich auch die Gegend. Jene, die es sich leisten konnten, zogen weg und die Zersplitterung des ehemals fast greifbaren Zusammenhalts im Viertel nahm ihren Lauf. Der Wohnraum blieb billig, auch, weil kaum saniert wurde.

Jetzt, da eine kreative Szene das Viertel aufmischt, hohe Summen in Projekte und Gebäude investiert werden, sorgt sich manch einer um die Identität von Aachen-Nord. Der Wunsch nach der Struktur vergangener Tage wird laut.

Soweit, so bekannt – Gentrifizierung ist das Stichwort. Ein Prozess, der in Deutschland vielerorts zu beobachten ist. Doch Aachen-Nord scheint anders. Es brodelt. Viele der alten Fabriken stehen leer und werden nun zu kreativen Hotspots. Im Zuge dieses Prozesses bleiben allerdings einige Menschen auf der Strecke: Migranten, die kaum integriert werden, und junge Menschen aus sogenannten bildungsfernen Milieus. Das Depot will deswegen Berührungspunkte auch und explizit mit ihnen schaffen. Das erfordert aber viel Eigeninitiative, die viele Betroffene schlichtweg nicht aufbringen können.

Engagement kostet Kraft

Die Co-Gründerin der „designmetropole aachen" kennt daneben die Schwierigkeiten, mit denen Initiatoren sozio-kultureller Projekte zu kämpfen haben. Der bürokratische und finanzielle Aufwand sei immens, Fördermittel kämen oft (zu) spät. Für den „normalen Bürger“ seien die Verwaltungsstrukturen zu langsam.

Darüber herrscht an diesem Abend Konsens: Etwas selber zu machen verlange viel Geduld, noch mehr Mut und nicht zuletzt auch die finanziellen Mittel. Man könne sich, so heißt es von einer jungen Frau im Saal, von den unbürokratischeren Nachbarländern lernen: „Das Rad kann man nicht neu erfinden, man kann es aber verbessern!“

Die Initiativen im Viertel müssen jedoch vor allem die Teilhabe aller dort lebenden Menschen gewährleisten können. Marianne Kuckelkorn von der Arbeiterwohlfahrt hat deshalb versucht, den Lebensraum-Radius von Müttern mit migrantischem Hintergrund, die, nach ihrer Aussage, nur den Weg von Zuhause zur Kita und zurück kennen, zu erweitern. Ihnen die Umgebung zeigen, Stadt näher bringen.

Eine gewaltige Aufgabe. Deshalb plädiert sie für neue Ansätze in Kitas und Grundschulen. Man müsse bei den Jüngsten anfangen, sie peu à peu und Generation für Generation in die Gesellschaft führen.

Einander kennenlernen

Darum führte das „Aachen Nord Viertelmagazin” unter der Leitung von Alexander Samsz auch Nachbarschaftsinterviews durch: „Lernt einander kennen!” Man ist hier sichtlich bemüht, Begegnungspunkte zu kreieren, die in vielen Fällen leider an den Anzusprechenden vorbeigehen.

Als sich die Diskussionsrunde ihrem Ende nähert, wird die Diskussion noch einmal hitzig. Ein großes Problem des Depots, dem als kulturellen Knotenpunkt gedachten Koloss aus Beton und Stahl, sei die Verwaltung durch die Stadt. Die Bürokratie bremse den kreativen Geist, lege die zahlreichen Initiativen lahm.

Ein Gast überspitzt: um das Depot zu retten, müsse man eine Selbstverwaltung erzwingen. Notfalls mit zivilem Ungehorsam. Applaus brandet auf. Ein ehemaliger Hausbesetzer hängt kurzerhand einen taz-Beutel mit der selbstverfassten Aufschrift „Das Depot ist besetzt!” über einen Stuhl.

Wie in Spanien, ruft ein Gast, müsse man die Bürgersteige entern. Die Ängste der Verwaltung vor Kontrollverlust und Subkultur seien offensichtlich: „Die meinen doch: ‘Nicht, dass es da noch lebendig wird!’“ Ein letzter tosender Applaus.

Neues Gemeinschaftsgefühl

Im Nachgang bleibt festzuhalten, dass im Aachener Norden viel im Entstehen ist. Die Partizipation der Bürger, das spiegelt auch das Publikum der Veranstaltung wider, ist nicht unbeachtlich. Viele stellen sich den Hürden unseres Verwaltungsapparates, einige kämpfen dagegen an, manche feiern schon Erfolge.

Das Depot jedoch muss sich von alldem lösen, Entscheidungsträger und Initiatoren müssen gemeinsam die Schwächsten der Gegend mit ins Boot holen – und tatsächlich integrieren. Das kann mit Projektarbeit anfangen. Aber es muss in einem neuen Gemeinschaftsgefühl in Aachen-Nord enden.