Strafen in den Friesenhof-Jugendheimen: „Wir wussten, dass das nicht richtig ist“

Eine Hamburgerin berichtet von Isolation und Strafen in einem Friesenhof-Mädchenheim. Die Mädchen seien dort fixiert und entwürdigend behandelt worden.

Das Gebäude eines ehemaligen Friesenhof-Heims hat vergitterte Fenster.

„Man konnte nicht einfach raus“: Manche Fenster waren sogar vergittert Foto: dpa

KIEL taz | Die schlimmste Strafe war die Isolation, berichtet Rebecca R. Eine Woche lang habe sie allein in einem Zimmer verbracht, nur Essen und Trinken bekommen und einen Brief schreiben müssen. Der Grund war, dass sie und zwei weitere Mädchen sich wehrten gegen die strengen Regeln, die 2009 im sogenannten Mädchencamp Nana der Friesenhof GmbH herrschten. Sie habe diesen Brief ganz oft geschrieben. „Bis er so war, wie er ihnen gefällt.“ Dann erst habe der pädagogische Leiter P. gesagt: „Du darfst wieder raus.“ Gut zwei Stunden sagte die 22-jährige Hamburgerin vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss Friesenhof aus.

Sie bestätigte alle bisher bekannten Vorwürfe gegen die 2015 geschlossenen Heime –und schilderte neue: unter anderem wurde ihr mit Entmündigung gedroht. Als sie 2009 in das Heim kam, musste sie sich entkleiden, erst den BH ausziehen, für die Kontrolle oben, danach die Unterhose bis zu dem Knien herunterziehen und hüpfen.

Telefonüberwachung und Strafsport

Bei dieser entwürdigenden Prozedur im Erzieher-Büro war nur eine Frau anwesend. Doch im Alltag des Camps hatten die Mädchen oft mit männlichen Betreuern zu tun. Herr P. habe sie sogar „Jungs“ genannt. Der wäre lange beim Militär gewesen, die Mädchen hätten vor ihm Angst gehabt. Fast alle Betreuer seien körperlich übergriffig geworden. „Wir wurden halt fixiert“, schildert die Zeugin. Ein Betreuer habe dabei den Arm genommen und ihn nach hinten gedrückt. „Eventuell wirst du auf den Boden gedrückt. Sie setzten sich auf einen drauf, bis man nicht mehr kann.“

Andere Male seien sie oder andere Mädchen mit besagter Armdrehtechnik „gegen die Wand gehauen“ worden. Telefonate mit den Eltern seien über Lautsprecher mitgehört, ihre Post von Betreuern gelesen worden. Einmal sei ihr Brief nicht abgeschickt worden. „Da habe ich meiner Mama mit reingeschrieben, dass wir Strafsport machen müssen.“ Das habe nicht drinstehen dürfen. Hundert Liegestützen hätten sie und zwei Mädchen machen müssen. Und weil sie es nicht schafften, sei die Situation eskaliert: Die Betreuer hätten jeder von ihnen die Arme umgedrückt.

Strafsport sei schon wegen einmaligen Lachens angeordnet worden. Und Strafe gab es auch in Form des „Aussitzens“, berichtet die junge Frau. Dabei mussten alle Mädchen im Raum sitzen bleiben, bis eine Sache geklärt oder zugegeben war. Einmal hätten sie wegen einer geklauten Smarties-Tüte von zehn Uhr morgens bis in die Nacht so gesessen und dann wieder ab sechs Uhr früh. „Irgendwann kann man nicht mehr sitzen. Möchte sich gern bewegen.“ Sie habe das Gefühl gehabt, dass die Betreuer drauf hofften, dass die Mädchen sich gegenseitig unter Druck setzen.

Bei Abhauen gab's die „Grünkohlstrafe“
Eine Zeugin

„Wir wurden halt fixiert.“

Schlimm sei auch die „Grünkohl-Strafe“ gewesen. Weil drei Mädchen geflüchtet waren, habe es zwei Wochen nur ungewürzten Grünkohl aus der Dose gegeben. Ein anderes Mal habe es „Hartz-IV-Essen“ gegeben. Einfach raus habe man nicht gekonnt. Die Haupttür sei geschlossenen gewesen, von Fenstern die Griffe abgenommen worden, und zeitweise hätten die Zimmertüren eine Alarmanlage gehabt, sodass man nachts klopfen mussten, wenn man auf Toilette wollte.

Die Mädchen hatten den Eindruck, es sei ein geschlossenes Heim. „Wir wussten, was sie machen, ist nicht richtig“, sagte Rebecca R. Mehrfach hätten sie geplant, beim „Hilfeplangespräch“ mit dem Jugendamt Missstände anzusprechen. Doch die Betreuer hätten gesagt, man würde ihr nicht glauben. Außerdem hätten sie gedroht, sie würden dafür sorgen, dass sie einen „gesetzlichen Betreuer“ bekommt. Wegen dieser Drohung sei sie auch bis zum 21. Lebensjahr in Folgeeinrichtungen des Friesenhofs geblieben. „Es hieß, diesen Betreuer würde ich zehn, 15 Jahre nicht mehr los. Ich könnte kein Konto haben, keine eigenen Entscheidungen treffen“.

Der Abgeordnete Wolfgang Dudda (Piraten) nannte die geschilderte Praxis „gewerbsmäßigen Menschenhandel“. Die CDU-Politikerin Heike Franzen erklärte, mit Isolationsstrafen, totaler Überwachung, Übergriffen und drohender Entmündigung würden Kinderseelen zerstört. „So etwas darf sich nicht wiederholen.“

Bis Redaktionsschluss wurde noch die zweite Zeugin Denise K. gehört. Sie berichtete unter anderem, sie hätten ihre Kleidung abgeben und Jogginganzüge mit Zahlen auf dem Rücken anziehen müssen. Am 2. Mai wird die Betreiberin Barbara J. gehört. Sie hatte bisher erklärt, in den Heimen seien lediglich aggressive Mädchen zu ihrem eigenen Schutz festgehalten worden. Dieser Darstellung widersprach Rebecca R. Die Betreuer hätten oft vorschnell gehandelt. „Sobald wir sauer waren, haben die uns fixiert.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.