Streit der Woche: Volkssport Blitzerwarnung

Für die einen ist es ein Akt der Solidarität, Autofahrer vor Blitzern zu warnen; für andere Ausdruck, dass gesellschaftliche Normen im Auto nicht gelten.

Ist es solidarisch oder unmoralisch vor Blitzern zu warnen? Bild: dpa

Die Frage, ob Warnungen vor Blitzern im Straßenverkehr, die im aktuellen Streit der Woche gestellt wurde, moralisch sind, trennen die Bevölkerung. Die einen, Autofahrer in der Regel, finden nichts Verwerfliches dabei, andere Autofahrer vor Radarkontrollen zu warnen. Im Gegenteil, die schiere Existenz dieser Kontrolltechniken empört sie.

Sie fühlen sich in ihrer Autofahrerfreiheit eingeschränkt, fühlen sich betrogen, hintergangen, abgezockt wie der Generalsyndikus des ADAC Werner Kaessmann im sonntaz-Streit sagt: „Wenn beim Blitzen aber offensichtlich finanzielle Überlegungen überwiegen, um damit marode kommunale Haushalte statt maroder Straßen zu sanieren, fühlt sich der Autofahrer abgezockt.“

Ganz anders beantworten Leute, die die Gefahren des Autofahrens im Blick haben, die Frage. Für sie sind Warnungen vor Blitzern, wie sie halbstündlich über die Radiostationen gesendet werden, wie man sie im Netz abrufen oder sich gar aufs Handy laden kann, im höchsten Maße verwerflich.

„Während wir gemeinhin Menschen schätzen, die ihre Mitmenschen uneigennützig vor Fallstricken schützen, bewahrt die Blitzerwarnung den Autofahrer vor den Folgen seines egoistischen und gefährlichen Tuns“, sagt etwa Dirk Flege vom Verkehrsbündnis Allianz pro Schiene.

Die Macht der Autofahrer

Bei vierzig Prozent der Unfälle ist zu schnelles Fahren Unfallursache. Jeder dritte Unfalltote geht auf Geschwindigkeitsüberschreitung zurück. Im ersten Halbjahr 2012 gab es 1,16 Millionen Unfälle mit 184500 Verletzten und 1693 Toten – horrende Zahlen sind das.

Trotzdem beharren Autofahrer, darunter auch der Leiter der Zeitenspiegel-Reportageschule und ehemalige taz-Kolumnist Philipp Mausshardt darauf, dass Geschwindigkeitsbegrenzungen für solche AutofahrerInnen sind, „die nicht selbst entscheiden können oder wollen, wie schnell oder langsam sie in bestimmten Situationen oder an bestimmten Gefahrenstellen fahren sollen.“

Und er geht noch weiter: „Alle anderen, also diejenigen, die sich ein eigenes Urteil über die Höhe ihrer Geschwindigkeit erlauben, werden durch Radarmessungen in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt.“ Mausshardt wurde kürzlich wegen zu schnellen Fahrens verurteilt und geht demnächst für zwei Tage dort in den Knast.

In die Zuständigkeit von Anja Ritschel, die in Bielefeld Beigeordnete für Umwelt und Klimaschutz ist, fällt die angeblich berühmteste Blitzerfalle Deutschlands auf der A2. Pro Jahr werden dort etwa 200.000 Autofahrer geblitzt, die sich nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung bei diesem neuralgischen Unfallschwerpunkt halten. Und dies, obwohl von amtlicher Seite vor der Radarfalle zwei Mal groß auf die Radarfalle hingewiesen wird. Die einen, vornehmlich eben die Autofahrer, sehen nur die Blitzerfalle, die anderen sehen das Problem.

Die Gesellschaft im Auto

Studien belegen, dass Geschwindigkeitskontrollen wirkungslos wären, wenn sie nicht mit Verwarnungen und Bußgelder kombiniert sind. Nur aufgrund der Androhung von Strafe also, sind Autofahrende bereit, sich an Regeln zu halten. Dass sich dahinter im Grunde eine grobe Missachtung gesellschaftlicher Vereinbarungen verbirgt, bringt Moritz Maus, der die Frage, ob Blitzerwarnungen unmoralisch sind auf taz.de kommentierte, auf den Punkt.

Er vergleicht Autofahrer mit einer Spezies, die von ihren Kommunikationsmöglichkeiten eher dem Tierreich als dem Homo sapiens nahe steht. Tiere kommunizieren durch Körpersprache und Laute. Dem entsprechen Fahrverhalten und etwa die Hupe oder Lichthupe der Autofahrer. Einen direkten sozialen Kontakt mit anderen hat ein Autofahrer, der in der Regel alleine im Auto sitzt, nicht.

Er fühle sich im Auto „frei von Gesellschaft“. Eine falsche Wahrnehmung ganz klar. Eine effektive Verkehrskontrolle bedeute daher auch: die Gesellschaft „ins Auto zu bringen“. „Warnungen vor Kontrollen suggerieren hingegen, dass die gesellschaftlichen Normen im Auto eigentlich nicht gelten.“ Besser bringt es niemand auf den Punkt.

Die sonntaz-FrageSind Warnungen vor Blitzern unmoralisch" diskutieren außerdem Maria-Sibylla Lotter, Philosophiedozentin an der Universität Stuttgart, Bettina Cibulski, Pressesprecherin der Allgemeinen Fahrrad-Clubs und Hartmut Hoffmeister, Verkehrssicherheitsexperte beim Radargerätehersteller Jenoptik – in der sonntaz vom 08./ 09.September. Die sonntaz gibt es auch im Wochenendabo.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.