Streit der Woche: Geheime unter Druck

Der Verfassungsschutz halte faschistische Organisationen künstlich am Leben. Deshalb muss er weg, fordert Linken-Parteichefin Gesine Lötzsch.

Musste im Fall der Zwickauer Zelle Fehler einräumen: das niedersächsische Landesamt für Verfassungsschutz. Bild: dpa

BERLIN taz | Angesichts der Ahnungslosigkeit der Verfassungsschutzämter im Fall der Zwickauer Zelle werden Rufe nach einer Auflösung der Behörden laut. Die Chefin der Linkspartei Gesine Lötzsch und der Bürgerrechtsaktivist Rolf Gössner fordern im "Streit der Woche" der sonntaz, den Verfassungsschutz abzuwickeln.

"Der Verfassungsschutz muss abgeschafft werden, denn er schützt unsere Verfassung nicht", schreibt Lötzsch in einem Gastbeitrag für das Wochenendmagazin der taz. "Immer wieder müssen wir erleben, dass der Geheimdienst mit Steuergeldern faschistische Organisationen künstlich am Leben hält und offensichtlich auf dem rechten Auge blind ist." Was derzeit geschehe sei der "größte Verfassungsschutzskandal der Nachkriegsgeschichte".

Der Bremer Anwalt und Bürgerrechtsaktivist Rolf Gössner möchte, dass die Arbeit von Wissenschaftlern übernommen wird. "Skandalgeneigte und kaum kontrollierbare Geheimorgane, die Demokratie und Bürgerrechten mehr schaden als nützen, gehören perspektivisch aufgelöst und durch gut ausgestattete unabhängige Forschungsinstitutionen ersetzt", schreibt er in der sonntaz.

Gössner wurde vom Bundesamt für Verfassungsschutz 38 Jahre lang beobachtet – unrechtmäßig wie das Verwaltungsgericht Köln in diesem Jahr feststellte. Die Inlandsgeheimdienste seien Fremdkörper in der Demokratie, weil sie "mit ihren geheimen Strukturen, Mitteln und Methoden demokratischen Prinzipien der Transparenz und Kontrollierbarkeit widersprechen".

Dagegen verteidigte Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) in einem Statement den Inlandsgeheimdienst. "Die geforderte Abschaffung des Verfassungsschutzes ist ein Irrweg", erklärte er taz.de. Intakte Nachrichtendienste seien als Frühwarnsystem unserer wehrhaften Demokratie unverzichtbar. "Gerade in Anbetracht terroristischer Gefahren brauchen wir staatliche Aufklärungsfähigkeiten, um extremistische, häufig schwer zugängliche Milieus in der Tiefe zu durchleuchten."

Auch der ehemalige bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) hält den Inlandsgeheimdienst für notwendig. "Aufgrund vereinzelter Fehler aber zu folgern, man könne auf den Verfassungsschutz zur Gänze verzichten, halte ich für so realitätsfern wie fatal", schreibt er in der sonntaz. "Wer 'Nie wieder Krieg!' fordert und wer möchte, dass in Deutschland nie wieder Minderheiten diskriminiert und verfolgt werden, der muss auch jeder Form von Extremismus eine Absage erteilen."

Außerdem schreiben im "Streit der Woche" der aktuellen sonntaz die Netzaktivistin und Bloggerin Anne Roth, taz.de-Leser Lukal Klemenz und der Wissenschaftler Michael Buback, Sohn des von der RAF ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback.

Alle Gastbeiträge im Streit der Woche lesen Sie am Wochenende in der sonntaz, dem Wochenendmagazin der taz. Am Kiosk, eKiosk oder im Briefkasten via www.taz.de/we. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz

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