Streit um Neuerungen bei der Berlinale: Ein Brief und seine Folgen

Keine Berlinale mehr ohne Dieter Kosslick? Die Petition von 79 Regisseuren zur Nachfolge des Festivalchefs sorgt für Debatten – und Verwirrung.

Dieter Kosslick nimmt seinen Hut ab, im Hintergrund verschwommen Berlinaletrubel

Kosslick soll durch eine Frau ersetzt werden Foto: dpa

Eigentlich las sich die Petition recht nüchtern. Doch seit gut einer Woche, nachdem 79 Filme­macher aus Deutschland in einem offenen Brief an Kulturstaatsministerin Grütters darum gebeten haben, bei der Neubesetzung der Berlinale-Leitung ein transparentes Verfahren mit internationaler Findungskommission zu wählen, gibt es in deutschen Medien eine rege Debatte zur Nachfolge des amtierenden Berlinale-Chefs Dieter Kosslick.

Anlass der knappen Einlassung der Regisseure, darunter Maren Ade, Helke Sander und Julia von Heinz, dürfte die ­Podiumsdiskussion „Filmfestivals heute“ sein, zu der Grütters für den 4. Dezember ins Berliner Haus der Kulturen der Welt geladen hat. Teilnehmer sind etwa der Regisseur und Mitunterzeichner Christoph Hochhäusler und Kirsten Niehuus, Geschäftsführerin der Filmförderung des Medienboards Berlin-Brandenburg. In derselben Woche wird Kosslick ein neues Leitungskonzept für die Berlinale vor deren Aufsichtsrat vorstellen.

Vieles spricht dafür, dass Niehuus nach 2019 auf Kosslick folgt – Grütters soll an der Besetzung mit einer Frau interessiert sein. Man fürchtet, dass der Berlinale ein bloßes „Weiter so“ bevorstünde – auch Kosslick kommt aus der Filmförderung. Eine weitere Befürchtung ist, dass das neue Leitungskonzept das Amt eines Präsidenten vorsehen könnte – mit Kosslick als erstem Inhaber.

Seitdem gab es zahlreiche Kommentare, vor allem gegen Kosslick gerichtet. Zur Sprache kam dabei in erster Linie noch einmal die verbreitete Kritik an der Entwicklung der Berlinale seit Beginn der Ära Kosslick – er regelt die Festivalgeschicke seit 2001. Hauptpunkte: nachlassender Wettbewerb und ein unscharfes Profil der Sektionen.

Erneuerungswille klingt anders

Auf Spiegel Onlinebemängelt Hannah Pilarczyk, dass der Wettbewerb „mit einer Mischung aus unerheblichem Starkino und diffus politischem Film als der mit Abstand schwächste unter den großen Filmfestspielen“ gelte. Wiederholt habe die Berlinale herausragende Filme abgelehnt, etwa den Oscar-Gewinner „Sauls Sohn“ von László Nemes.

Ähnlich kritisiert Andreas Kilb in der FAZ die Berlinale im Vergleich mit den Festivals von Cannes und Venedig: „Berlin … hat Speck angesetzt, während sein Herzstück, der Wettbewerb um den Goldenen Bären, geschrumpft ist.“ Seine Empfehlung: „Eine neue Festivalchefin müsste das Gewicht des Wettbewerbs stärken und das der Sektionen reduzieren.“

Im Perlentauchersieht Lukas Foerster hingegen die Schwierigkeit weniger in der ausdifferenzierten Sektionseinteilung als in deren Präsentation: „Das Problem an Kosslicks Berlinale ist nicht die Anzahl der Filme, sondern die Indifferenz, mit der sie präsentiert werden. Die Vielfalt der Sektionen könnte eine wunderbare Spielwiese des Gegenwartskinos sein, auf der einander widersprechende Vorstellungen davon, was Filme können, […] gegeneinander in Stellung gebracht werden. Aber dafür bräuchte es zuallererst den Willen, diese Vorstellungen zu artikulieren, und damit ein Gespräch übers Kino, das über eine bloße Aneinanderreihung von Geschmacksurteilen heraus geht, in die interessierte Öffentlichkeit hinein zu tragen.“

Diesen Mangel an Diskurs erkennt auch Katja Nicodemus in der Zeit, sieht darin jedoch kein Berlinale-spezifisches Problem, „weil es hierzulande Meinungen, Positionen, aber schlichtweg keinen Diskurs über das Kino gibt.“ Nicodemus hat zudem Kosslick befragt und, separat, zwei der Unterzeichner: Dominik Graf, der sich über die Abrechnung mit Kosslick ärgert, und Andreas Dresen, der sich ebenfalls distanziert von der Kampagne, die der Petition folgte. Was ein wenig naiv wirkt. Immerhin empfiehlt der Brief für die Nachfolge „eine herausragende kuratorische Persönlichkeit […], die für das Kino brennt“. Was sich fast wie eine Steilvorlage für die Medien liest. Und Kosslick? Sieht Schwierigkeiten bei etwaigen Umbauvorhaben. Erneuerungswille klingt anders.

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