Syrische Bloggerin über Bürgerkrieg: „Nicht nur IS, auch Assad angreifen“

Bloggerin Marcell Shewaro fordert Attacken auf Assad, um den Bürgerkrieg zu beenden. Sonst könne es bald viele IS geben.

Noch 600.000 Menschen wohnen im weitgehend zerstörten Aleppo. Bild: reuters

taz: Frau Shewaro, Sie stammen aus Aleppo. Wie ist derzeit die Lage in der ehemaligen Wirtschaftsmetropole im Norden des Landes?

Marcell Shewaro: Präsident Baschar al-Assad ist kurz davor, die Kontrolle zurückzugewinnen. Gleichzeitig wächst die Gefahr einer Hungersnot, weil die Versorgung zusammengebrochen ist. In Aleppo wohnen immer noch 600.000 Menschen, doch es kommt kaum noch humanitäre Hilfe an.

Wie sieht man in Syrien den Kampf um Kobane, wo der Westen massiv interveniert?

Wir waren überrascht von der Reaktion des Westens. Die USA und ihre Verbündeten haben zunächst nicht einmal gemerkt, dass da ein Islamischer Staat entsteht. Dabei ist der IS durchaus real. Ob es einem nun gefällt oder nicht, dort hat sich ein Staatswesen etabliert. In Syrien machen wir sogar böse Witze darüber: In fünf Jahren wird der IS einen Sitz in der UNO haben.

Aber genau das will die von den USA geführte Koalition doch verhindern.

Es gibt gar keine Koalition gegen den IS. Das Einzige, was wir sehen, sind Luftschläge der USA. Doch die machen die Lage für die Menschen nicht besser, ganz im Gegenteil. Als die Angriffe begannen, gab es noch die Hoffnung, dass Assad nun seine Luftschläge einstellen würde. Doch auch diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Die Menschen in Syrien sind nun wütender denn je. Viele fragen sich, warum es so wichtig ist, den IS anzugreifen, nicht aber Assad. Geht es nur darum, die Sunniten zu schlagen? So kommt das bei vielen an.

ist Bloggerin aus Aleppo. Nachdem ihre Mutter von syrischen Soldaten erschossen wurde, flüchtete sie nach Istanbul. Sie engagiert sich vor allem für Frauenrechte.

Kennen Sie persönlich IS-Kämpfer aus Ihrer Zeit in Aleppo?

Ja, ich kenne drei. Am Anfang waren das nur abenteuerlustige Kids, die fasziniert von der Revolte in Ägypten waren und etwas Ähnliches machen wollten. Als sie zu den Waffen griffen, haben wir zunächst alle gedacht, das sei eine Art Heavy-Metal-Gruppe. Und niemand hat sie daran gehindert, nach Syrien zu kommen. Heute ist das natürlich anders. Aber die IS-Anhänger profitieren immer noch von dem Vorurteil, dass sie wenigstens wissen, wie man richtig kämpft.

Der UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, hat sich nach Gesprächen mit Präsident Baschar al-Assad vorsichtig optimistisch über die Möglichkeit einer allmählichen Beendigung des Bürgerkriegs geäußert. Syriens Machthaber Assad befasse sich „sehr ernsthaft“ mit einem Plan zum „Einfrieren“ des Konflikts, sagte de Mistura am Dienstag in Damaskus. Demnach sollen alle Parteien die Kämpfe in Aleppo einstellen und Hilfslieferungen aufgenommen werden. In ersten Reaktionen zeigten sich die syrische Opposition und Vertreter der Rebellen zurückhaltend. (epd, taz)

Was sollte die EU tun, um den Menschen in Syrien zu helfen?

Vor allem sollten die Europäer versuchen, den Syrern mehr Respekt entgegenzubringen. Wir haben den IS in drei oder vier Tagen aus Aleppo vertrieben. Wenn es eine echte Partnerschaft zwischen der EU und den Syrern gäbe, dann entstünde nicht mehr der Eindruck, dass es um einen Kampf zwischen Christen und Muslimen geht. Außerdem sollte die EU den Syrern helfen, eine Zivilgesellschaft aufzubauen. Wir brauchen mehr Wissen, die Bildung sollte eine Priorität werden. Und natürlich sollte die EU Assad bekämpfen. Wenn wir nicht endlich den Bürgerkrieg beenden, wird es bald nicht nur eine, sondern viele IS geben.

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