Syrische Schauspieler gegen Assad: „Auf Diktatorenwitze steht Todesstrafe“

Mit einer satirischen Puppenshow begleitet Regisseur und Schauspieler Jamil die Revolution. Ein Gespräch über schwarzen Humor und die Dummheit von Diktatoren.

Assad (2. v. rechts), gespielt von der Künstlergruppe Masasit Mati. Bild: Screenshot: YouTube

taz: Jamil, Sie sind Regisseur und Schauspieler. Wann haben Sie sich entschlossen, Ihr Leben zu riskieren, „nur“ um öffentlich Witze über Baschar al-Assad zu machen?

Jamil (Pseudonym): Wie viele Künstler war ich von Anfang an bei der Revolution dabei. Die Künstlergruppe Masasit Mati (Strohhalm für Matetee) haben wir erst im Sommer gegründet. Die erste Episode unserer Puppenshow „Top Goon. The diaries of a little dictator“ (Top-Schläger. Die Tagebücher eines kleinen Diktators“) lief dann im August 2011 auf YouTube.

Sie leben inzwischen im Exil.

Ja, und ich sehne mich sehr nach meiner Heimat Syrien. Auch wenn ich im engen Kontakt stehe, Skype sei dank. Zu sagen, wo ich jetzt bin, ist aber zu gefährlich. Ich stehe auf der Fahndungsliste.

Assad ist bei Ihnen eine Fingerpuppe mit einem Holzkopf, Segelohren, seine Augen bestehen aus zwei Nägeln. Die kleine Puppe sieht dem Diktator verblüffend ähnlich. Warum spielen Sie überhaupt mit Puppen, und warum sind Bühne und Hintergrund immer schwarz?

Die Blackbox ist eine Anspielung auf unseren schwarzen Humor, und für die Puppen haben wir uns aus Sicherheitsgründen entschieden. Unsere Gesichter zu zeigen, wäre viel zu riskant.

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Sie zeigen Assad als einen blutrünstigen, infantilen, ängstlichen Idioten. Wie konnten Assad und auch sein Vater es durchsetzen, dass vierzig Jahre lang niemand wagte, über sie in der Öffentlichkeit zu lachen?

Profitinteressen, Netzwerke, Korruption. Das mafiöse Denken war in Syrien extrem verbreitet. Es gibt ein riesiges Netzwerk von Leuten, die Assad brauchen, um ihre Geschäfte abwickeln zu können. Und natürlich ist es ihnen und der Assad-Familie gut gelungen, Angst und Schrecken zu verbreiten. Auf Diktatorenwitze stand oder steht noch immer die Todesstrafe oder zumindest Folter. Im Privaten hat man sich natürlich über das Regime lustig gemacht, aber man fühlte sich dabei allein gelassen, eben auch wie in einer Blackbox.

Wie leben die Menschen im Krieg und wie könnte ihr Leben in fünf Jahren aussehen? Niemand weiß es. Mit dem sechsseitigen taz-Dossier in der Print-Ausgabe vom Freitag, 31.8 soll auf Entwicklungen hingewiesen werden, die für die Zukunft bedeutsam sein könnten – von positiven Ansätzen im Widerstand über das Erstarken der Zivilgesellschaft bis zur Gefahr eines Bürgerkriegs:

NACHBARN Kaum jemand hält noch zu Assad. Nun geht auch Ägyptens Präsident auf offenen Konfrontationskurs.

STAAT Dem Regime entgleitet die Kontrolle über das Land. Nur das Militär ist noch fest in seiner Hand.

VERSORGUNG Müllabfuhr, Krankenhaus – wie die befreite Stadt Soran ihre Infrastruktur neu aufbaut.

PORTRÄT Fatma Sahra Haswanil riskiert ihr Leben, um die Aufständischen zu bekochen.

REBELLEN Die Grenzen zwischen zivilem und bewaffnetem Widerstand sind oft fließend.

Waren Sie vor der Revolution erfolgreich in Ihrem Beruf?

Das muss das Publikum entscheiden. Auf jeden Fall habe ich ganz gut Geld verdient.

Sie haben Ihre „Tagebücher des kleinen Diktators“ nur über YouTube an die Leute bringen können. Auch bei den Protesten spielt das Internet ein wichtige Rolle. Im schwer gesicherten Damaskus etwa finden sogenannte fliegende Demos statt. Leute versammeln sich nur für kurze Zeit, filmen die Aktion und stellen die Bilder sofort ins Netz. Keine Revolution ohne das Internet, das Assad selbst 2000 freigegeben hat. Ironie der Geschichte?

Das Internet ist wichtig, aber nur ein Faktor in der Revolution. Man sollte es nicht überschätzen. Als Assad das Internet freigab, wollte er nur das eigene System stärken. Dass es seinen Gegnern nutzen würde, damit hat er allerdings nicht gerechnet. Aber Diktatoren sind ja nie weitsichtig. Und logisch denken können sie auch nicht.

Jede Episode vom „Top Goon“ beginnt mit einem Song. Assad rappt mit Fistelstimme: „Ich bin nicht verrückt, ich bin nicht verrückt.“ Singen die Leute diesen Song, wenn sie auf die Straße gehen?

Leider nicht. Rap ist ja bei uns nicht so verbreitet. Aber seit Kurzem hört man immer öfter seinen Spitznamen „Beeshu“ (kleiner Baschar) auf der Straße. Das freut mich natürlich.

Die zweite Staffel ist viel düsterer als die erste. Nicht mehr die Freude am Witzemachen dominiert, sondern das viele Blut, die Verzweiflung, der Schmerz der Leute sind jetzt die zentralen Themen.

Wir verarbeiten ja immer das, was auf der Straße gesprochen wird. Und die Verzweiflung ist groß. Trotzdem wollen wir weiter vor allem Hoffnung machen.

Wie?

Einfach, indem wir nicht aufhören, indem wir weitermachen, und die Leute wissen, Masasit Mati bleibt bei uns, trotz allem, was passiert.

Wie hat sich die Rolle der Künstler verändert, jetzt wo Bürgerkrieg in Syrien herrscht?

Wir haben keinen Bürgerkrieg. In Syrien kämpfen nicht verschiedene syrische Gruppen gegeneinander, sondern die Syrer kämpfen gegen das Regime.

Das Regime und seine Anhänger sind doch auch Syrer.

Die Revolution in Syrien ist eine gute Sache.

Wenn es keinen Bürgerkrieg gibt, warum sprechen jetzt so viele davon?

Weil es dem Regime gelungen ist, dieses Bild vom Bürgerkrieg zu kreieren. Und die westlichen Medien übernehmen es einfach. Es reicht offenbar nicht, dass uns die internationale Gemeinschaft nicht hilft. Sie hat sich auch gegen uns verschworen. Aber ihr Bild von der Situation in Syrien ist falsch. Ich selbst gehöre einer Minderheit an. Und die Minderheiten kämpfen nicht gegeneinander, sondern gemeinsam gegen Regime. Ich bin wirklich überrascht darüber, dass ihr das anzweifelt.

Die Opposition hat viel dafür gegeben, die Zensur zu umgehen und die Bilder von der Gewalt in die Welt zu schmuggeln. Und die Welt zweifelt nicht mehr an der Brutalität des Regimes, trotzdem gibt es keine Hilfe. Haben Sie die Kraft der Bilder überschätzt? Oder den Zynismus des Westens unterschätzt?

Das passiert ja immer wieder in der Geschichte. Die internationale Gemeinschaft hat auch nicht verstanden, was in Ruanda vor sich geht. Sie ist immer in ihren Interessen befangen und sieht nicht genau hin.

Welche Aufgabe hat Kunst, wenn die Gewalt jeden Tag zunimmt?

Sie muss zeigen, dass die syrische Gesellschaft noch intakt ist und die Revolution nach wie vor die richtigen, auch edlen Ziele verfolgt.

Das ist keine Schönfärberei?

Nein! Das Problem ist, dass Assad keine internationalen Journalisten ins Land lässt. Deshalb habt ihr ein falsches Bild.

Wäre eine internationale militärische Intervention inzwischen sinnvoll?

Nein. Das führt nur zu noch mehr Blutvergießen. Mit Waffen kann man keine Zivilgesellschaft aufbauen. Aber der internationale Druck auf Assad sollte massiv erhöht werden.

In Ihrer Gruppe kam es unlängst zu großem Streit, zwei Schauspieler sind abgesprungen, weil sie fanden, es sei an der Zeit, dass die Opposition sich bewaffnet und die vielen Opfer rächt.

Wir sind immer noch Freunde. Aber die Idee von Rache überzeugt mich nicht. In einer Episode, sie heißt „Monster“, geht es übrigens genau darum: Der Freiheitskämpfer wird gefoltert, und Assad versucht, ihn zu verführen: „Komm, lass das Monster in dir frei, schlag zurück, werde so wie ich.“ Genau das müssen wir verhindern. Wir dürfen auf keinen Fall so werden wie Assad und das Regime. Auch wenn sie uns foltern, auf uns schießen, trotz all der Massaker, die jetzt stattfinden. Kunst ist die Stimme der Seele, und sie bringt Menschen im Namen von Lieben und Vergebung zusammen. Nicht nur ich, viele Künstler und Schauspieler arbeiten dafür, dass wir eben nicht anfangen, zu hassen.

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