TV-Formate vor der Wahl in Frankreich: Wie in einer Realityshow

Es menschelt in den Talkshows vor der französischen Präsidentschaftswahl. Doch ist Mitgefühl ein gutes Wahlkriterium?

Nicolas Sarkozy spricht bei einer Wahlveranstaltung und hebt bedeutsam die Hände

„Seine Energie ist legendär…“, sagt eine Stimme aus dem Off über Nicolas Sarkozy Foto: ap

PARIS taz | Vor der französischen Präsidentschaftswahl überbieten sich die verschiedenen Sender mit möglichst originellen Konzepten, um möglichst hohe Einschaltquoten zu erzielen. Eine Talkshow auf dem französischen Fernsehsender M6 will die Begegnung mit dem hinter dem Politiker und der Politikerin verborgenen Menschen ins Zentrum stellen. Mit dem Titel „Une ambition intime“ wird angetönt, zwischen der politischen Ambition und der persönlichen Privatsphäre bestehe ein direkter Zusammenhang.

Die Neugier der Zuhörer jedenfalls ist geweckt, da ihnen ein Striptease von Prominenten angekündigt wird. Aber es hagelte auch im Voraus schon Kritik. Was soll das, die BewerberInnen um die Staatsführung über ihre selektiven Kindheitserinnerungen, über ihre Familie, ihren Geschmack und vermeintlichen persönlichen Stärken oder Schwächen zu befragen – und sie so gegebenenfalls zu verharmlosen oder lächerlich machen?

Ist das wichtig, dass der Konservative Bruno Le Maire vor dem Schlafengehen deutsche Gedichte liest, dass der Gründer der Linkspartei in Frankreich von Arien der Operndiva Maria Callas zu Tränen gerührt wird oder dass Marine Le Pen Hortensien liebt und gern bretonische Kuchen backt, in ihrer Jugend aber Schweres durchgemacht hat? Sie durfte nämlich beispielsweise nicht wie andere die „Pif“-Comichefte lesen, weil diese vom Parti Communiste Française herausgegeben wurden.

Auch erzählt sie der Journalistin Karine Le Marchand, wie traumatisch es für sie als Achtjährige war, als ein Bombenanschlag auf ihren Vater, Jean-Marie Le Pen verübt wurde. Das steht zwar schon längst in ihrer Autobiografie, aber so kurz vor der Wahl macht sich die Horrorstory immer gut, um sie ihren Wählern menschlich näher zu bringen. Ist Mitgefühl ein gutes Wahlkriterium?

Alles Montage

Natürlich möchten die Leute wissen, was das für Menschen sind, die das Land regieren. In dieser Talkshow aber erfahren sie zwar manche dem breiten Publikum unbekannte Kleinigkeiten, aber nichts Wesentliches. Interviewerin Le Marchand spielt selber eine Rolle, indem sie mit allem Charme eine Intimbeichte inszeniert. In diesen Sendungen ist alles Montage wie in einer Realityshow.

Die am Bildschirm gezeigte Begegnung in einer als gute Stube arrangierten Kulisse ist ein Zusammenschnitt der „besten Momente“, umrahmt mit Musik und angereichert durch ausschließlich positiven Aussagen von Angehörigen. Vom Gast Nicolas Sarkozy sagt eine Offstimme: „Seine Energie ist legendär …“ Die Interviewerin selber klammert alle riskanten Themen aus und reagiert mit gestelltem Erstaunen auf die vorbereiteten Antworten. Unkritischer geht es nicht. So wird Politik entpolitisiert.

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