Tanz über Ende und Anfang: Tanz um Henne und Ei

Im Rahmen der Trilogie „Fokus Tanz“ präsentiert die Hamburger Choreografin Antje Pfundtner den Abschluss ihrer Trilogie über Vergänglichkeit.

Küken-Mensch umtanzt ein Riesen-Ei

Ernsthaft und trotzdem heiter: Antje Pfundtner hat eine ganz eigene Tanzsprache entwickelt Foto: Simone Scardovelli

HAMBURG taz | Es sind nur ein paar wenige Takte. Und immer dann, wenn man meint, in die Wiedererkennbarkeit des Songs eintauchen zu dürfen und wenn die vier Tänzer sich mit weichen Bewegungen hineinfallen lassen in die Melodien – dann erstirbt die Musik: abrupt, interrupt, stop. Nein: weitertanzen, weiterspielen. Das war doch der Anfang von … Das war doch Bowies „Heroes“. Und das Bachs „Orchestersuite“. Und das „Song 2“ von Blur.

Minutenlang werden die Zuschauer durch Fragmente musikalischer Vertrautheiten gejagt, werden Choreografien vorerst nur skizziert, werden erste berühmte Akkorde zu abgebrochenen Anfängen.

Es steht „Alles auf Anfang“ – so heißt Antje Pfundtners aktuelles Tanzstück, uraufgeführt am Donnerstagabend auf Kampnagel Hamburg zu Beginn der Reihe „Fokus Tanz“, deren vierte Ausgabe noch bis zum Sonntag unter der Überschrift „Faux Pas“ ganz unterschiedliche Einblicke in den zeitgenössischen Tanz gibt.

Zu sehen ist unter anderem noch die neue Produktion „Dis_Syphide“ von Saša Asentić, der seit vielen Jahren mit behinderten und nicht behinderten Performer*innen arbeitet. Oder der chilenische Choreograf José Vidal, der mit einem 50-köpfigem Ensemble – je zur Hälfte Tänzerinnen aus Chile und Hamburg – sein Frühlingsopfer „Rito de Primavera“ als Ritual für die heutige Zeit präsentiert.

Und Antje Pfundtner macht mit „Alles auf Anfang“ also einen Anfang. Wer die Arbeiten der Hamburger Tänzerin und Choreografin ein wenig kennt, weiß: Der Titel ist wörtlich zu nehmen. Er ist Konzept, ist offener Denk- und Spielraum.

Ein Abend voller Anfänge

Im Dezember 2016 hatte Pfundtners Kompanie „Antje Pfundtner in Gesellschaft“ auf Kampnagel die Arbeit „Ende“ gezeigt. Das war der Auftakt ihrer Trilogie über Vergänglichkeit – ein Langzeitprojekt, in dem sie die Gesetzmäßigkeiten von Zeit und Endlichkeit untersucht. Jetzt also geht es um Anfänge. Und derer gibt es an diesem Abend viele.

Pfundtner umkreist und hinterfragt das Thema, indem sie verschiedene Ebenen verknüpft: Tanz mit Sprache, theatrale Gesten mit tänzerischen Abfolgen, Musik mit Leere, professionelle Performer mit einem Laienchor. Gemeinsam mit den Tänzern Dani Brown, Frank Koenen, Matthew Rogers und Anna Till schafft sie einen weiten und bei aller Ernsthaftigkeit äußerst spielerischen Assoziationsraum.

Mal diskutieren Pfundtner und Rogers auf Klappstühlen den nicht benennbaren Moment des Anfangs (denn, kaum ausgesprochen, ist dieser schon vorbei), kippen mit komischer Eleganz nach hinten weg, setzen sich erneut und fangen wieder von vorn an. Dann wieder tippelt das Tänzerensemble leichtfüßig über den weißen Bühnenboden, mal werden Verheißungen gemacht – „Ich habe da was vorbereitet“ – mal singt der fast 20-köpfige Chor (Leitung: Uschi Krosch) aus dem Zuschauerreihen heraus eine sehnsuchtsvolle Tango-Melodie. Zum Heulen schön ist das.

Putziges Kükenganzkörperkostüm

Die Tänzer umkreisen einander, wippend, balancierend, nehmen aufeinander Bezug und bleiben doch vereinzelt. Peitscht die Musik (Nikolaus Woernle) sie auf, hüpfen und zucken sie, gehen zu Boden – und verlassen abrupt die Bühne, weil ja etwas Neues beginnt. Ganz unvermittelt: Ein Anfang hat keinen Vorlauf. Später wird Evas Apfel gegessen, schreitet eine mit Luftschlangen dekorierte, asiatisch anmutende Initiationszeremonie vorbei, blinzelt die Morgensonne durch die raumteilende Jalousie (Bühne: Irene Pätzug).

Da personifiziert sich das Henne-Ei-Problem in Form eines putzigen Kükenganzkörperkostüms, das beinahe von einem Riesenwasserball überrollt wird, und wird Kate Bushs „Running Up that Hill“, ihre allererste Single und Musikvideo-Choreografie aus dem Jahr 1985, mit exaktem Pathos nachgetanzt. Natürlich nicht bis zum Schluss. Schließlich geht es immer noch um Anfänge.

In einer intuitiv wirkenden Szenenfolge stellt Pfundtner existenzielle Fragen, erprobt immer wieder den Zauber des Beginnens, freut sich mit kindlicher Ernsthaftigkeit an Wortspielen: „Fang Ann! Ann, fang! Los jetzt fang doch, fang schon Ann!“, erzählt Geschichten vom Kennenlernen, vom ersten Schritt, vom ersten Tanz. Feinsinnig und humorvoll verhandelt sie Mythisches und Alltägliches, zelebriert die Wiederholung und das Ritual. Und schafft bei all dem eine hohe performative Transparenz.

Dass in all dem eine leichtherzige Heiterkeit mitschwingt, ist typisch für Pfundtners ganz eigenwillige Tanzsprache. Sie generiert sich aus einer unnachgiebigen Genauigkeit, einer dringlichen Ernsthaftigkeit und vor allem aus einer entwaffnenden Offenheit, mit und in der Pfundtner und ihr Ensemble arbeiten. Und zwar von Anfang an.

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