Terror von rechts: Suche nach verschollenen Neonazis

Gibt es noch andere militante Rechtsextreme, die abgetaucht sind? Das Protokoll einer vertraulichen Sitzung dokumentiert die Ahnungslosigkeit der Sicherheitsbehörden.

Überführung eines Verdächtigen: Bisher wird immer noch gerätselt, wie groß der rechte Untergrund tatsächlich ist. Bild: dpa

BERLIN taz | Gibt es noch weitere Untergrund-Neonazis? Militante Rechtsextreme, gegen die ein Haftbefehl vorliegt, der aber nicht vollstreckt werden kann, weil sie schlicht und einfach nicht aufzufinden sind?

Das ist eine Frage, die nach dem Bekanntwerden der Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) die Innenexperten aller Fraktionen umtreibt. Nur: Die Sicherheitsbehörden können ihnen darauf bisher keine Antwort geben. Die „Aufenthaltsermittlung“, wie es im Bürokratensprech heißt, gestaltet sich offenbar schwierig.

Wie ratlos Polizei, Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft bei dieser Frage sind, zeigt das Protokoll der viereinhalbstündigen, vertraulichen Sitzung des Bundestagsinnenausschusses von Anfang dieser Woche, das der taz vorliegt.

Da stellt der Ausschussvorsitzende Wolfgang Bosbach (CDU) eine ziemlich simple Frage: „Gibt es noch andere Rechtsextremisten, die per Haftbefehl gesucht werden, aber nicht zu finden sind?“ Was darauf von den Vertretern der Sicherheitsbehörden folgt, ist die schiere Ratlosigkeit. „Das kann ich im Moment nicht verbindlich sagen“, sagt der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm. „Das müssen wir klären.“

Darauf die Vizechefin des hessischen Verfassungsschutzes: „Ich kann mich dem anschließen“. Und schließlich der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, dem Land also, aus dem das Terror-Trio des NSU kommt: „Ich sehe es auch so.“

Bis ins ferne Waziristan

Laut Protokoll der Innenausschuss-Sitzung werden die Parlamentarier danach ungehalten. „Sie wissen nichts?“, ruft jemand aus der SPD. Und auch Wolfgang Bosbach von der CDU verliert die Contenance. „Liebe Leute, jetzt muss ich aber einmal etwas sagen“, wird er zitiert. „Ich bin ja an und für sich gemütlich vom Wesen her. Aber nach so einem Komplex muss man doch wissen, ob es Haftbefehle gibt und diejenigen, die man sucht, untergetaucht sind.“

Die Frage nach nicht vollstreckbaren Haftbefehlen, so Bosbach weiter, „kann man doch nicht mit Nichtwissen beantworten“. Um schließlich sein Statement mit einem sarkastischen „Herzlichen Glückwunsch“ zu beenden.

Noch drei Tage nach der Sondersitzung war bei den Mitgliedern des Innenausschusses das Entsetzen zu spüren. Bei jedem Islamisten, der durch radikale Sprüche in der Moschee auffalle und dann irgendwann vom Radar verschwinde, klingelten sofort die Alarmglocken, sagte am Donnerstag der Grünen-Innenexperte Wolfgang Wieland. Dann suche man im fernen Waziristan nach ihm.

Nur bei der Frage nach untergetauchten Rechtsextremisten ist in Deutschland alles anders – da herrscht die große Ahnungslosigkeit.

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Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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