Terry-Gilliam-Oper in Berlin: Einmal Nazi mit alles

Terry Gilliam hat für die Berliner Staatsoper „La damnation de Faust“ von Hector Berlioz inszeniert. Das Ganze könnte ein Monty-Python-Witz sein.

Feurige Hinrichtungsszene

Apokalyptisch: Méphistophélès, Faust, Marguerite und der martialische Chor Foto: Matthias Baus

Simon Rattle liebt die Oper. Er ist mit einer Sängerin verheiratet, mit seinen Berliner Philharmonikern, die ihn auch lieben, kann er jedoch wenig dafür tun. Er hat keine Bühne. Deswegen ist er glücklich, wenn er in der Berliner Staatsoper das Orchester seines Kollegen Daniel Barenboim dirigieren darf.

Am Samstagabend war es mal wieder so weit. Seine Ehefrau Magdalena Kožená singt das Gretchen, das in der Version des „Faust“ von Hector Berlioz eher eine Nebenrolle spielt. Aber mit dem Bariton Florian Boesch für den Teufel und Charles Castronovo für den grübelnden Gelehrten hat ihm die Staatsoper zwei so überragend gute Sänger geschenkt, dass jetzt volle zwei Stunden lang zu hören ist, wie sehr er den Ausflug ins Schillertheater genießt.

Die Staatskapelle klingt anders unter Rattles Händen, aber auch anders als seine Philharmoniker. Die intime dunkle Wärme des Klangs, die dort fehlt, bleibt erhalten. Sie wird nur energischer akzentuiert. Barenboim lässt das Orchester manchmal vor sich hin träumen, um noch die letzten Ecken eines Werkes auszuhorchen; Rattle treibt es voran, es steht unter Strom, vibriert und tanzt.

Für Hector Berlioz, diesen zwischen Klassik und Romantik herumirrenden Geist, gibt es nichts Besseres. Rattle versucht gar nicht erst, die „Damnation de Faust“ zu einem abgeschlossenen, logischen Ganzen zusammenzustauchen. Er gibt Raum für die vielen Brüche und Kontraste, auch für die misslungenen Stellen.

Finanzielle Katastrophe

Berlioz hat jahrelang daran gearbeitet, seine Begeisterung für Goethes Faust in eine Musik zu übersetzen, die sich an keine konventionellen Formen hält. Disparate Elemente stehen sehr modern, aber manchmal schief nebeneinander. Die Uraufführung von 1846 war eine finanzielle Katastrophe für den Komponisten.

Eigentlich könnte Rattle diesen französischen Faust auch in der Philharmonie spielen. Berlioz beschrieb sein Werk als „Oper ohne Bühne und Kostüme“. Das klingt so skurril, dass irgendjemand in der Intendanz an Terry Gilliam und seinen „Monty Python Flying Circus“ denken musste. Wahrscheinlich noch vor dem Brexit. Jedenfalls bekam Gilliam den Auftrag, ein Theater auf die Bühne zu bringen, das Berlioz gar nicht haben wollte.

Die Pistolenschüsse sind fürchterlich, denn der Chor singt makellos schön

Das könnte noch ein originaler Monty-Python-Witz sein – was danach geschah, nicht mehr. Viel gelesen über Hector Berlioz habe er nicht, erzählt Gilliam im Programmheft, das man studieren muss, um zu verstehen, warum wir auf der Bühne einen live gespielten Comic über das lustige Leben der Nazis zu sehen bekommen. Bei Gilliam geht das so: Schon da Vincis nackter Mann in Quadrat und Kreis war ein Arier à la Leni Riefenstahl.

Auf der offenen Bühne dahinter kommt dann die Romantik: Faust im Gebirge mit Nebel und Sonnenuntergängen. Soldaten reiten vorbei, weil die Romantik zum Nationalstaat und zum Weltkrieg führt. Neue Ritter von der Kokosnuss sitzen dann mit festgefroren flatternden Fahnen auf Goldsesseln in Versailles, und schon sind wir am Ziel angekommen: Der Versailler Vertrag bringt die Nazis an die Macht.

Braunhemden stehen an der Rampe

Gilliam hätte ebenso gut bei irgendeiner Frittenbude für Stammtischgeschichten „einmal Nazi mit alles“ bestellen können. Sie sind jetzt überall. Was immer Mephisto dem Faust vorzaubern muss, es sind Nazis mit Stechschritten, Rhönrädern, Braunhemden, Sturmgewehren und Juden. Die sind immer gut zu erkennen am Stern und daran, dass sie auf Koffern sitzend auf den Zug nach ­Auschwitz warten. Auch das Gretchen ist unter der BDM-Perücke mit Blumenkranz eine Jüdin, denn was wären die Nazis ohne ihre Juden? Genau.

Derweil feilt Rattle unbeirrt an der französischen Eleganz auch noch der lautesten Passagen dieses Meisterwerks. Nun mag es sein, dass auf deutschen Theatern sogar in solchen Fällen, die rein gar nichts mit deutscher Geschichte und Schuld zu tun haben, die Nazis niemals vergessen werden dürfen. Nur stellt sich dann die Frage nach dem Zweck der Bußübung.

Wenn dafür keine Antwort erkennbar ist, kommt es zu politischen Totalschäden wie diesen: Die Braunhemden stehen an der Rampe stramm. Sie singen den besoffenen Kanon der Studenten aus Auerbachs Keller, den Berlioz zu einem wunderbar ironischen, akademischen Leerlauf auskomponiert hat. In der hintersten Reihe erschießt einer ständig Juden. Die Pistolenschüsse sind fürchterlich, denn der Riesenchor der Staatsoper singt auch jetzt makellos schön. Dann versagt plötzlich die Pistole. Kein Knall, die Jüdin fällt erst beim zweiten Versuch um.

Deutsche Wertarbeit mal wieder, was haben wir gelacht. Mephisto schnippt die Finger, und die ganze Truppe fällt auf den platten Bauch. Was nun? Natürlich darf man über die Nazis lachen.

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