Theaterregisseurin Jette Steckel: German Ernst

Jette Steckel steht für eine neue Ernsthaftigkeit an deutschen Theatern. Jetzt eröffnete die 25-Jährige mit "Gerettet" das Festival junger Regisseure am Volkstheater München.

Jette Steckels "Gerettet" beim "Radikal jung"-Festival 2008. Bild: arno declair

Unausgeschlafen, doch aufgeräumt sitzt Jette Steckel im Café, blinzelt in den Frühsommermorgen und löffelt gezuckerten Milchschaum aus ihrem Kaffeebecher. Unangestrengt sieht sie aus, zarter Wollschal, Segeltuchschuhe, lässige Tasche. Graugrüne Augen zu raspelkurzen Haaren. Eine, die an der Uni zuhört, nicht mitschreibt.

Sonntagabend eröffnete Jette Steckel "Radikal jung" - Festival in München. Zum vierten Mal reisen neun auserwählte Jungregisseure aus dem deutschen Sprachraum an, um sich zu beweisen. So betrachtet ist Jette Steckel radikal falsch hier, da hilft alles nichts. Mit 25 ist sie höchstens arm an Jahren, aber bereits radikal erfolgreich: Im Jahr 2007 gewann ihre Inszenierung des 40 Jahre alten Jugendgangstücks "Gerettet" von Edward Bond den mit 5.000 Euro dotierten Eysoldt-Preis für junge Regie. Die Zeitschrift Theater heute kürte sie zur Nachwuchsregisseurin des Jahres, für ihre Umsetzung von Darja Stockers "Nachtblind", ebenfalls am Thalia Theater Hamburg.

Jette Steckel inszeniert in Köln, in Wien, in Hamburg und demnächst am Deutschen Theater in Berlin Camus "Caligula". Falls ein Stück nicht zu ihr passt, wie "Schattenstimmen" von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel, ein Text über illegal in Deutschland lebende Menschen, dann lehnt sie es eben ab: "Das wird weder dem Text gerecht noch dem Regisseur noch dem Autor." Ihre Arbeit "Gerettet" , mit der sie jetzt von Hamburg nach München kommt, eröffnet sie, man kanns nicht anders nennen, mit grölenden Proleten: "Jetzt gehts looo-os!" Von inhaltsleerer Provokation hält Jette Steckel jedoch gar nichts: Brav erklären ihre Darsteller zuerst, es gebe ja heute immer mehr von ihnen; doch damals, 1965, als Edward Bond Babymütter und aggressive Jungmänner auf die Bretter schickte, waren sie dort noch radikal selten. Das Stück behandelt ein Tabu, den Mord an einem Kleinkind. In den Sechzigern war das ein Skandal, die britische Theaterzensur verbat das Stück. Jette Steckel holt den Stoff in die Gegenwart, lässt lispeln und lieben, schlägt über eingestreute Erklärungen, vertraute musikalische Klänge und eine angepasste Sprache eine Brücke, bis dem heutigen Betrachter das Undenkbare vorstellbar wird. Im Rausgehen flüstert ein Besucher: "Mei, so schlimm war des scho do." Mission erfüllt. Publikum erreicht, nicht provoziert.

Fast möchte man also einstimmen in den Chor, der Jette Steckel als das Gesicht einer neuen deutschen Ernsthaftigkeit rühmt, als eine, die ohne Pop und Pomp auskommt, die Camus mag und die Texte nicht ironisiert, sondern annimmt. Die Fragen an ein Skript richtet und sie sogar offen lassen kann, denn gerade "dafür braucht es Mut". Deshalb gefällt ihr das Label "ernsthaft" auch immer noch besser als "jung".

Aber dann möchte man auch von diesem Kind aus der Theaterfamilie erzählen, das herausschritt aus dem langen Schatten des berühmten Vaters Frank-Patrick Steckel, der als Regisseur regelmäßiger Gast beim Berliner Theatertreffen und früher Intendant am Bochumer Schauspielhaus war. Ein Kind, das seine Vormittage in der Schule und die Nachmittage im Theater verbrachte, das zwischen Bühne, Garderoben und probenleeren Rängen eine "richtige Familie" fand, und: "Theater war für mich immer Arbeit", die einzig denkbare Arbeit, auf etwas anderes kam sie nie. Nur das Organisatorische, die Interviewtermine, die ständige Müdigkeit, das hatte sie sich so nicht vorgestellt.

Ständig nach dem Vater gefragt zu werden, hat sie nicht so gern. Schon während des Regiestudiums in Hamburg musste die Berlinerin sich entscheiden, ihre familiäre Prägung einzubringen oder nicht. Sie entschloss sich dafür: "Einmal hat eine wirklich gute Schauspielerin eine kleine Rolle für mich gelesen. Und meine Mutter hat ein Bühnenbild gemacht." Das gab ein bisschen Ärger, provozierte Neid. "Aber schließlich hat jeder seine Freunde, seine Kontakte."

Auch Ulrich Khuon, Intendant des Thalia-Theaters in Hamburg, ist jetzt nach München gereist, um das hauseigene Stück auf fremder Bühne zu sehen. Die Sprache des Geschäfts musste er seiner jüngsten Regisseurin nicht einpauken. Sie hat beschlossen, nicht auf Leute zu hören, "die stolz darauf sind, einen Begriff zu kreieren", die ihr gern ein Label verpassen würden. So liest sie Besprechungen ihrer Arbeit immer erst ein paar Tage später, ganz gezielt, wenn sie sich selbst eine Meinung gebildet hat über das, was da auf der Bühne passiert ist.

Und manchmal lässt sich Jette Steckel auf Gespräche ein, die sich fast wie Mädchenunterhaltungen anfühlen. Über Camus und Liebeskummer. Über den Rand von zwei Milchkaffeetassen hinweg. Frühe Professionalität also? Na, ihretwegen auch das. JOHANNA SCHMELLER

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