Totes Flüchtlingsbaby: Die letzte Fahrt des kleinen Joshua

Die Mutter war mit ihrem Sohn von der Klinik, von der sie sich abgewiesen sah, zu einer Kinderärztin gefahren – doch dann war es zu spät.

Nahm den kleinen Joshua nicht auf: das hannöversche Krankenhaus Auf der Bult. Bild: dpa

HAMBURG taz | Totschlag durch Unterlassung oder ein tragisches Missverständnis? Die Umstände des Todes des kleinen Joshua im hannoverschen Kinder- und Jugendkrankenhaus Auf der Bult sind noch ungeklärt. „Wir warten die Obduktion ab“, sagt Staatsanwältin Kathrin Söfker, „noch wissen wir nicht, ob Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden vorliegen.“

Vor gut zwei Wochen war der erst einen Monat alte Sohn der Asylbewerberin Vida M. auf dem Weg ins Kinder- und Jugendkrankenhaus gestorben, wo er erst kurz zuvor gewesen war. Die Ghanaerin erhebt seither schwere Vorwürfe gegen die Klinik und behauptet, ihrem Sohn sei aufgrund eines fehlenden Krankenscheins die Behandlung verweigert worden. Die Klinikleitung bestreitet dies und verweist auf Verständigungsprobleme mit der Mutter.

„Sie wurde in der Klinik nicht aufgenommen“, sagt der Anwalt der Familie, Matthias Waldraff. Der ehemalige CDU-Oberbürgermeisterkandidat für Hannover soll laut Hannoverscher Allgemeiner Zeitung für seine Mandantin einen Exklusivvertrag mit der Bild abgeschlossen haben.

„Als die Mutter das Kind abgeben wollte, wurde ihr Krankenschein nicht akzeptiert, da dieser nur für ihre beiden älteren Söhne gelte“, sagt Waldraff. Verzweifelt habe Vida M. mit ihrem Babywagen das Krankenhaus verlassen und sei mit dem Bus zu einer ihr bekannten Kinderärztin gefahren. Als diese Joshua in die Klinik einweisen ließ, war es zu spät. Das Baby starb noch im Krankenwagen.

Dabei wurden die Frühchen Joshua und sein Zwillingsbruder Joseph bereits nach ihrer Geburt wegen Atemproblemen Auf der Bult behandelt. Vida M. habe den Entlassungsschein der Klinik und ein Schreiben an die Kinderärztin, in der das Krankheitsbild genau erläutert war, vorgewiesen, sagt der Rechtsanwalt. „Doch in der Klinik hat dort niemand reingeschaut.“ Waldraff hat bei der Hannoverschen Staatsanwaltschaft eine Klage wegen Totschlags durch unterlassene Hilfeleistung eingereicht.

Klinikdirektor Thomas Beushausen dementiert: „Wir haben die Mutter mit dem Jungen in unserer Notfallambulanz nicht abgewiesen.“ Vida M. habe alle notwendigen Papiere für eine Behandlung vorgelegt. „Die Untersuchung des Kindes stand unmittelbar bevor.“

Allerdings sei die Verständigung mit der Mutter „sehr schwierig“ gewesen, da Vida M. kein Deutsch und nur wenig Englisch spreche, so Beushausen. Als während der Anmeldung ein Notruf zu einem Verkehrsunfall eingegangen sei und die Mitarbeiterin für „maximal fünf Minuten“ zum Telefonieren in einen Nebenraum ging, habe Vida M. mit ihren Söhnen das Krankenhaus verlassen.

„Da steht jetzt Aussage gegen Aussage“, meint Sigmar Walbrecht vom Flüchtlingsrat Niedersachsen. Das grundlegende Problem liegt für ihn im System: Um medizinisch versorgt zu werden, müssen Asylbewerber in Niedersachsen in einem oft langwierigen Verfahren einen Krankenschein beantragen. Nur dann werden die Behandlungskosten übernommen – es sei denn, es handelt sich um einen Notfall.

„Mit einer Krankenkassenkarte wäre von vornherein klar, dass die Person versichert ist“, sagt Walbrecht und fordert für Flüchtlinge in Niedersachsen eine Regelung nach dem Bremer Modell. Dort arbeiten die Behörden eng mit der AOK zusammen. Denn auch wenn es in diesem Fall möglicherweise an der Verständigung gelegen habe: „Wir haben von anderen Fällen gehört, in denen Patienten in der ambulanten Aufnahme Auf der Bult weggeschickt wurden.“

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