Tour de France-Führender Froome: Vom Rechner zum Surfer

Team Sky will sein dröges Datenimage loswerden und erlaubt dem Tour-Führenden, Favoriten und Frontmann Chris Froome schnelle Abwege.

Nahaufnahme von Christopher Froome bei der Tour de France

Blickte nach vorn und jagte ins Tal: Christopher Froome Foto: reuters

REVEL taz | Das bisherige Ereignis dieser Tour de France war kein spektakulärer Massensprint, kein Kampf um Höhenmeter, sondern eine Abfahrt. Chris Froome blickte am Gipfel des Col de Pey­re­sourde in den Pyrenäen mal nicht auf sein Powermeter, um zu sehen, wie weit er am Limit ist und was die Daten hinsichtlich einer Attacke auf die kaum weniger angestrengten ­Gegner versprechen. Nein, Froome blickte nach vorn und jagte ins Tal. „Ich hatte einfach Lust auf die Abfahrt und wollte sehen, wer noch mitmacht“, sagte er vergnügt.

Nun, es machte niemand mit. Zu verblüfft war Quintana, der gerade aus einer Flasche trank, als Froome beschleunigte. „Schlauheit gehört zum Radsport. Froome hat das prima gemacht, uns alle ziemlich überrascht. Ich hätte ihm das nicht zugetraut“, meinte Quintanas Teamchef Eusebio Unzue zur taz – und sprach damit aus, was viele dachten.

Froome holte 13 Sekunden auf Quintana heraus, mit der Zeitgutschrift auf den Etappensieg wurden es 23. Der kleine Vorsprung ist umso wertvoller, weil sich am Sonntag bei der Bergankunft in Andorra Arcalis – für Jan-Ullrich-Bewunderer ein kleiner Erinnerungswallfahrtsort, weil Ullrich 1997 dort Marco Pantani bezwang und das Gelbe Trikot holte – die Favoriten neutralisierten. Froome kam nicht weg, Quintana versuchte es gar nicht. Auch die Versuche von Dan Martin und Adam ­Yates, hinter Froome auf den Plätzen drei und zwei, fruchteten nicht.

„In diesem Jahr ist das Niveau besonders hoch. Es gibt knapp ein Dutzend starke Fahrer. Die Tour wird nicht in Minuten, sondern in Sekunden entschieden“, so Sky-Mastermind Dave Brailsford. Und weil Froomes Kletterkapazitäten ausgereizt scheinen, haben sich die Briten einem neuen Feld zugewandt, der Abfahrt.

Bislang galten die Sky-Profis da als unterdurchschnittlich. Bei seiner Giro-Teilnahme 2013 wurde Bradley Wiggins zum Gespött des Pelotons, weil ihm die Abfahrten der Kollegen zu halsbrecherisch waren. Froome war etwas besser auf dem Rad. Er hatte in jungen Jahren am Trainingszentrum der UCI Nachhilfestunden im Fahren im Peloton und der Geschmeidigkeit in der Abfahrt erhalten. Mit seinen sechs, sieben Kilogramm Körpergewicht mehr als Quintana ist er auch physisch im Vorteil. Aber als echter Abfahrtscrack galt er nicht.

Das hat sich mit dieser 8. Etappe der Tour 2016 geändert. Froome setzte eine Technik ein, die 2013 vom damaligen Juniorenweltmeister Matej Mohorič erstmals auf der großen Radsportbühne präsentiert wurde und danach zum Markenzeichen des Radartisten Peter Sagan wurde: Das Gesäß geht aus dem Sattel, platziert sich davor auf dem Oberrohr. Der gesamte Oberkörper wird auf den Rahmen und den Lenker gelegt.

„Wie früher als Kind“

Steuern ist da nur eingeschränkt möglich, weil man mit den spitz abgeknickten Armen kaum Manövrierfähigkeit hat. Bei den Pedalumdrehungen kommen auch die Knie den Ohren gefährlich nahe. Wer als ausgewachsener Mensch schon mal auf einem Kinderfahrrad saß, bekommt eine Idee davon, wie sich diese Haltung anfühlt. Froome kam so immerhin auf 90 Sachen.

Strahlend erzählte Froome im Ziel: „Das war wie früher als Kind, wenn du einfach Vollgas gibst, um so schnell wie möglich sein.“

Die Freude am Radfahren ist ein neuer Zug bei Froome. Sein Rennstall wirkte bisher wie eine perfekt arbeitende Maschine. Um das letzte Quäntchen aus den Fahrern herauszuholen, hat Sky die Produktivkräfte Freude und Improvisationsvermögen entdeckt. „Wir mussten einfach etwas Neues machen. Wenn man immer das Alte macht, stagniert man. Die Rennfahrer haben jetzt etwas mehr Freiheit. Und die Ergebnisse sprechen ja für sich“, meinte Brailsford zur taz am Ruhetag in Andorra.

Froome schwelgte in dem Gefühl, jetzt nicht mehr als der Powermeterknecht gelten zu müssen: „Habt ihr gesehen, ich habe eine ganze Zeitlang gar nicht mehr auf die Daten geschaut, sondern bin meinem Instinkt gefolgt.“

Vollkommen improvisiert war die Aktion aber nicht. Froome hatte sich vor der Etappe von seinem Mechaniker Gary Blem ein um zwei Zähne größeres Kettenblatt als gewöhnlich aufschrauben lassen. Doch alles wie gehabt bei Sky. Nur eben mit mehr Fun.

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