Touristischer Overkill: Auf Wachstum getrimmt

Tourismus ist ein Entwicklungsmotor und wir brauchen mehr davon, so das Motto von Städten, Regionen, Ländern und der WTO – doch vor Ort entsteht Widerstand.

Menschen in gelben T-Shirts stehen in einer Reihe am Strand

Im August blockieren Einheimische in Barcelona den Zugang zum Meer für Touristen Foto: Albert Llop

taz: Frau Plüss, 14 Millionen Touristen besuchen dieses Jahr Mallorca. Wo bleibt die viel propagierte Nachhaltigkeit im Tourismus?

Christine Plüss: Das fragen sich die Leute auf Mallorca auch. Es gibt dort klarste Anzeichen für touristischen Overkill, wie in Barcelona, Venedig oder anderen Städten.

Dabei hat die UNWTO, die Welttourismusorganisation, dieses Jahr zum Jahr touristischer Nachhaltigkeit erklärt. Leere Parolen?

Die Welttourismusorganisation hat in erster Linie das Wachstum des Tourismus im Blick. Jetzt sind es über 1,2 Milliarden internationale Reisen im Jahr und bis 2030 sollen es 1,8 Milliarden sein. Das ist, wohl gemerkt, nicht die Anzahl der Menschen, die reisen, sondern es sind internationale Ankünfte. Letztlich ist es immer noch eine privilegierte Minderheit der Weltbevölkerung, die internationale Reisen zu Erholungszwecken macht.

Indien, China und auch arabische Märkte kommen verstärkt hinzu. Eine Wachstumsspirale ohne Ende?

Ja und man versucht jetzt auch, den Tourismus verstärkt mit Entwicklungsgeldern zu fördern. Denn hinter den billigen Preisen fürs Reisen stecken Subventionen: Die mächtigen Investoren genießen großzügige Investitionserleichterungen, Steuervergünstigungen bis hin zur Steuerfreiheit, Sondertarife für Wasser und Strom. Hier müsste ein Umdenken in der Politik erfolgen.

In welche Richtung?

Was die internationale Entwicklung betrifft, haben wir mit der Agenda 2030 eine Vorlage, die von den meisten Staaten der Welt angenommen wurde, um Entwicklung nachhaltig zu gestalten. Der Tourismus wird darin explizit erwähnt. Da gibt es ganz hehre Ziele, wie der touristische Aufbau Arbeitsplätze und Einkommen für die Menschen vor Ort schaffen soll. Wir wissen aber, dass die Arbeitsbedingungen im Tourismus generell prekär sind. Beispielsweise haben im Juli in Griechenland die Tourismusangestellten gestreikt.

Die 1955 geborene Historikerin ­arbeitet seit 1988 im Arbeits­kreis Tourismus & Entwicklung Basel in geschäftsführender Position.

Sie ist Autorin und Mit­herausgeberin zahlreicher Publikationen und konzipierte das innovative Reiseportal www.fairunterwegs.org.

In Kooperation mit Menschenrechtsexperten arbeitete sie an der Studie „Alles was Recht ist“ als Grundlage für die Einführung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht in Tourismusunternehmen. w.akte.ch

Griechenland kurbelt den Tourismus an, um seine gebeutelte Wirtschaft zu konsolidieren.

Doch die Preise wurden so heruntergeschraubt, dass keine fairen Löhne oder Arbeitsbedingungen mehr drinliegen. Das entspricht dem Credo der internationalen touristischen Förderorganisationen wie UNWTO und World Travel & Tourism Council, WTTC: Tourismus ist ein Entwicklungsmotor und wir brauchen mehr davon. Bei dieser Wachstumslogik ist es schwierig, dass gerade krisengebeutelte Länder umdenken.

Welche strukturellen Veränderungen wären notwendig?

Die Länder, die Touristen empfangen, müssten das Wachstum qualitativ gestalten. Bis heute wird Tourismus nur daran gemessen, wie viele Leute kommen oder wie viele Jobs kreiert werden. Er wird nicht daran gemessen, wie das Geld sich im Touristenort verteilt, wie viel für die einheimische Wirtschaft bleibt und wie Einheimische den Tourismus mitgestalten. Es wird nicht gemessen, wie die Ressourcennutzung aussieht, auch nicht, welche Qualität die Arbeitsplätze haben, die geschaffen werden. Es zählen nur krude Wachstumszahlen.

Hat sich das Bild des massenhaft auftauchenden Touristen verändert?

Fakt ist, dass wir alle hier in Europa viel reiseerfahrener geworden sind. Reisen ist ein Konsumgut. Wir besteigen den Klimakiller Flugzeug, als ob es ein Autobus wäre. Hinzu kommt der Anspruch, sich mehr auf die lokalen Gegebenheiten einzulassen. Die Sharing-Ökonomie mit ihrem „live like locals“ kommt diesem Bedürfnis sehr ent­gegen.

Die Authentizität, die der Tourist sucht, wird durch ihn zerstört?

In Städten wie Palma, Barcelona oder Venedig kann man das wirklich sagen. In vielen touristischen Hotspots haben die Leute vor Ort die Touristen satt und wehren sich gegen den „Overtourism“.

Gibt es neue Ansätze?

Ich finde die derzeitige mediale Aufmerksamkeit dazu, wie sich der Tourismus selbst sein Grab schaufelt, recht heilsam. Diese Berichte könnten durchaus bewirken, dass über eine Begrenzung des Wachstums nachgedacht wird. Und es gibt auch konkrete Ansätze überall in der Welt: In Machu Picchu wird der Zugang zu den Ruinen beschränkt, Norwegen will die Zufahrt zu den Fjorden für Kreuzfahrtschiffe sperren, in Thailand gibt es Inseln, die während der Hochsaison für den Tourismus gesperrt werden. Besser wäre noch, die Politik würde vorausschauend handeln, bevor Proteste der „Gast­geberInnen“ sie dazu zwingt.

Welche Rolle spielt der Privatsektor?

Von Veranstaltern, Hotels, Onlineanbietern ist jetzt mehr denn je ein klares Bekenntnis zur unternehmerischen Verantwortung für eine umfassend nachhaltige, zukunftsfähige Entwicklung gefragt. Und ein entsprechend transparenter Ausweis, was dafür getan wird.

Und wir Kunden?

Wir müssen überlegen, wie wir Bedürfnisse befriedigen, ohne übermäßig Ressourcen zu verschleißen und der Bevölkerung zur Last zu fallen Wer will schon unter der Parole „Tourist go home“ urlauben?

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