Tüftler über seine Erfindungen: „Fahrradtechnik ist keine Raumfahrt“

Der Hamburger Tüftler Karl Thiel hat gerade einen motorgetriebenen Fahrradanhänger entwickelt. Ein Gespräch über Patente, Seefahrten und Untergänge.

Karl Thiel sitzt mit seiner Gitarre in seiner Werkstatt

Nicht zu viel Klimbim: Für Karl Thiel sollte Fahrradtechnik simpel sein Foto: Hannes von der Fecht

taz: Herr Thiel, wie kamen Sie darauf, einen Fahrradlastenanhänger mit Bremse zu erfinden?

Karl Thiel: Die Inspiration kam, weil ich einige Unfälle mit Fahrradanhängern gesehen hatte. Ein Freund von mir hatte sich selber einen Anhänger zum Transport gebaut, mit dem er sich im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel überkugelt hat. Und dann ist mir aufgefallen, dass man solche schweren Lasten nicht ohne vernünftige Auflaufbremse bewegen kann. Da habe ich mich vor einer technischen Aufgabenstellung gesehen, die mich in gewisser Weise gereizt hat. Fahrradtechnik hat eine niedrige Einstiegsschwelle, es lohnt sich, sich damit zu befassen und zu tüfteln, ohne dass man das bei irgendeiner Behörde zulassen muss. Und dann habe ich in der Straßenverkehrszulassungsordnung nachgeguckt.

Was stand dort drin?

Damals stand drin, dass Fahrradanhänger ab einer Masse von 60 Kilogramm gebremst sein sollten. Heute sind das 40 Kilogramm. Und dann habe ich, wie man so schön sagt, das ganze Thema einmal gegoogelt. Ich habe dort nichts Verwertbares aus dem industriellen Bereich gefunden. Im Gegensatz zu irgendwelchen Blogs, wo absolute Selbstmordlösungen kolportiert wurden. Und dann habe ich so ein Ding selber gebaut.

Wann war das?

Vor ungefähr vier, fünf Jahren.

Wie ging es weiter?

Damals war die ganze Pedelec-Geschichte noch in den Anfängen. Da gab es schon die Firma Electrail, die bauen auch heute noch elektrische Schubanhänger. Dann hatte ich bei denen angefragt, ob sie auch Schubanhänger mit Auflaufbremse bauen. Das taten sie nicht. Aber ich hatte ja eine entwickelt. Und so habe ich dann eine Woche darüber nachgegrübelt, wie man eine Auflaufbremse an einem Anhänger mit Schubmotor zusammenbauen kann, sodass es auch funktioniert. Danach war eine patentfähige Lösung da, die ich auch gebaut habe und für die das Patent erteilt worden ist. Das ist eigentlich der erste Schubanhänger mit Auflaufbremse, der auf dem Markt ist, der den Namen auch verdient.

Ist das ihr erstes Patent?

Ich hatte vorher schon zwei Patente angemeldet, die aber leider Gottes nicht gefruchtet haben, da hatte ich auch ein paar Fehler gemacht. Mein allererstes Patent hatte ich vor 40, 45 Jahren. Das behandelte etwas völlig anderes, da ging es um eine elektronische Zündanlage, die sich selber einstellt. Da musste ich leider feststellen, dass General Motors das Patent ein Dreivierteljahr vor mir angemeldet hatte.

Ihre jetzt patentierten Lastenanhänger sind handgefertigte Einzelstücke und deshalb nicht ganz billig. Haben Sie Pläne, in Serie zu gehen?

Die Anhänger sind als Einzelanfertigungen sehr teuer, weil die Komponenten, die ich verbaue, sehr teuer sind. Ab 2.000 Euro geht das bei mir los. Eines der beiden Räder, die ich verbaue, kostet im Einkauf über 100 Euro. Da kaufen sich andere bei Aldi ein ganzes Fahrrad für. Selber in Serie fertigen, das möchte ich mir gerne verkneifen. Ich werde dieses Jahr 70 Jahre alt, rein perspektivisch macht das keinen Sinn, in eine Zukunft zu investieren, die man nicht mehr so wahnsinnig lange steuern kann. Und deswegen kommt eigentlich nur jemand infrage, der als Lizenznehmer oder als Marketingspezialist oder wie auch immer das Ding in Regie nimmt. Dazu kommt, dass es für diese Anhänger eigentlich nur einen Nischenmarkt gibt. Diese Technik lohnt sich nicht für den normalen Haushaltsgebrauch. Das ist schon eine etwas ambitioniertere Nummer.

69, ist in Hamburg geboren. Seine Werkstatt betreibt er im Wilhelmsburger Weltgewerbehof. Der studierte Biologe ist unverheiratet und kinderlos. Neben einer Autoreparaturwerkstatt und einer Kneipe in Hamburg-Bahrenfeld betrieb er jahrelang eine Galerie. Außerdem hat er als Segellehrer und Skipper in Griechenland, auf Mallorca und den Kanaren gearbeitet und Yachten überführt.

Was transportieren Ihre Kunden denn?

Einer meiner Kunden ist CargoCycle, eine Altonaer Fahrradspedition. Der baut seine Fahrradanhänger selber und hat sich mit meiner Hängertechnik ausgestattet, um einfach das Volumen, das er pro Tour bewegen kann, zu vergrößern. Gerade im Fahrradlogistikbereich hängt natürlich auch der Verdienst von der beförderten Menge Ladung ab und wie gut man die Leute, welche die Menge bewegen, entlohnen kann. Aber auch Lebensmittel, Gemüsekisten und ähnliche Sachen werden transportiert. Es ist auch denkbar, solche Anhänger mit einem Kühlkoffer auszustatten und gekühlte Sachen zu fahren.

Welche Vorteile haben Ihre Kunden durch Ihren Anhänger?

Mein Fahrradanhänger ist einfacher und sicherer zu fahren und stellt mindestens die doppelte Kapazität eines Lastenrades bereit. Sowohl im Volumen, wie auch im Gewicht.

Wieviel sind das jeweils genau?

200 bis 250 Kilo Gewicht wird schon gehen. Auf normal befestigten Straßen, muss man natürlich dazusagen. Vom Volumen her kriegt man locker einen Kubikmeter mit. Das ist mit einem normalen, einspurigen Lastenrad überhaupt nicht zu schaffen.

Der Senat will Hamburg zur Fahrradhauptstadt machen. Sind die Zeiten für Sie und Ihre Anhänger günstig?

Das ist mit gemischten Gefühlen zu sehen. Das eine ist, normale Radwege auszubauen. Das andere, was eben auch betrieben wird, ist die Entwicklung der Fahrradlogistik. Und dort ist, außer Wasserstandsmeldungen und Absichtserklärungen, eigentlich nichts Konkretes festzustellen. Generell muss man sagen, das ganze Segment Fahrradlogistik erfordert natürlich sehr hohe Investitionen. Demgegenüber steht auch die schlechte Einkommenssituation in dem Bereich, weil die Honorare, etwa für Postzusteller, unter aller Kanone sind. Man muss sich die Frage stellen, ob wir das als sozial empfinden, dass Leute in dem Bereich das als Hartz-IV-Aufstocker machen müssen. Und dass dies von einigen Unternehmen schon in das Unternehmensmodell eingepreist wird.

Wie kamen Sie zum Tüfteln?

Ich war, neben meiner künstlerischen Ader, schon immer sehr stark naturwissenschaftlich und auch technisch interessiert. Ich hatte mal mit jemandem zusammen eine Kfz-Werkstatt betrieben. Dazu kommt meine Erfahrung als Seemann. In dem Bereich braucht man ein hohes technisches Improvisationstalent. Auf See muss man viele Dinge selber fertigen und instandhalten, die man nicht mal eben um die Ecke kaufen kann. Auf der anderen Seite ist so ein Fahrradanhänger im Prinzip sehr einfach, auch wenn es dort komplexe Zusammenhänge in der Fahrdynamik gibt. Wovor man sich hüten muss, ist, den ganzen Kram mit zu viel Elektronik und sonstigem Klimbim zu überziehen. Fahrradtechnik muss man simpel halten, denn es macht den Charme des Fahrrads aus, dass es keine Raumfahrt ist.

Sie sind als Maschinist zur See gefahren. War das Ihr Beruf bis zur Rente?

Nein, um Gottes Willen. Was war mein Hauptberuf? Das ist schwer zu sagen.

Was haben Sie denn schon alles gemacht?

Ich habe Musik gemacht in jungen Jahren, auch später noch.

Auch beruflich?

Ja, ich habe davon gelebt und teilweise mein Studium damit finanziert.

Was haben Sie gespielt?

Gitarre hauptsächlich, aber auch Trompete und Bass. Gypsy Swing. Die Elbinsel Wilhelmsburg, auf der wir hier gerade sind, ist das Homeland of Gypsy Swing. Es gibt wahnsinnig viele talentierte Musiker hier.

Was haben Sie noch gemacht?

Ich habe mal in ganz jungen Jahren beim NDR als Redaktionsassistent gearbeitet. Und Meeresfischereibiologie studiert. Meine Diplomarbeit ging um ein spezielles Problem der Fischereiintensivhaltung. Was ich gut daran fand, war, dass meine Arbeit auch praktische Anwendung erfuhr. Heute will ich gar nichts mehr davon wissen, weil jede Form von Intensivhaltung im landwirtschaftlichen Bereich eigentlich nur zu beschissenen Ergebnissen führt.

Waren Sie als Biologe tätig?

Nur kurz, in der Futtermittelforschung. Wenn ich als Fischereibiologe zur See gefahren wäre, hätte ich irgendwo bei einer öffentlich geförderten Forschungseinrichtung einen Job haben müssen. Das war damals nicht drin. Ich hätte nach Abschluss meines Studiums gerne etwas im Umweltbereich gemacht, da gab es aber damals keine Stellen. Das war alles im Umbruch.

Wann war das?

1977. Jeder, der das Wort „Umwelt“ in den Mund nahm, geriet bei Industrie und Behörden in Verdacht, mit dem Teufel im Bunde zu sein. Das hat sich absolut geändert. Man musste ja damals regelrecht verhehlen, dass man irgendwo beim Umweltschutz tätig war.

Sie haben später auch für Greenpeace gearbeitet.

Ja, kurz. Das war 1998 anlässlich der damaligen Pallas-Katastrophe vor Amrum. Da wurde mir klar, dass es bei Greenpeace hauptsächlich um Aktionen geht und nicht um Nachhaltigkeit. Wenn irgendwelche Themen aus dem Fokus des öffentlichen Interesses waren, waren die auch relativ schnell aus dem Fokus von Greenpeace. Mir ist noch ein Satz in Erinnerung: Denk nicht, du bist hier bei Robin Wood. Nachhaltigkeit war dort eben nicht die Kernkompetenz. Bei Brent Spar, der Ölplattform, war das ähnlich. Das war ein Riesenmedienhype, aber viel hatte dort nichts mit der Realität vor Ort zu tun. Es gab damals den schönen Spruch: „Bren(n)t Spar? Nein Aldi.“ Im Nachgang zu diesen Sachen hat sich bei Greenpeace natürlich viel verändert. Bei der Entwicklung von Fahrradlogistik ist Greenpeace allerdings sehr einsilbig. Aber da muss man auch verdammt dicke Bretter bohren. Da sind diverse Beharrungswiderstände zu überwinden, in Wirtschaft und Politik.

Durch ihr Leben zieht sich eine Faszination für die See. Neben allerlei schwerem Gerät haben Sie in Ihrer Werkstatt auch Bojen stehen. Sie waren zudem Betreiber einer Kneipe mit dem Namen „Titanic“. Das Motto war „Jeden Abend ein gelungener Untergang“. Wie wurden Sie Wirt?

Das war ein Zufall. Wir hatten Bekannte, die wollten unbedingt eine Kneipe aufmachen. Das war in der Stresemannstraße. Die hatten aber nicht genug Geld und brauchten mehr Gesellschafter und Mitbetreiber. Meine Freundin und ich sind dann da eingestiegen mit ein paar Mark. Nach einem Jahr hatte das nicht so eingeschlagen, wie sich alle das vorgestellt hatten. Die anderen hatten dann Muffensausen gekriegt und ich habe das dann alleine weitergemacht. Ich wollte nicht Korn in die Flinte gießen, wie man so schön sagt. Irgendwie habe ich das dann hingekriegt, dass ich die Bar 18 Jahre geführt habe. Im Nachgang muss ich sagen, dass ich es ein paar Jahre zu lange gemacht habe. Da war emotional dann die Luft raus bei mir. Ich hatte das große Glück, dass eine junge Irin einen eigenen Laden aufmachen wollte. Die war sehr engagiert und hat den Laden übernommen. Sie betreibt ihn bis heute erfolgreich unter dem gleichen Namen.

Gab es viele gelungene Untergänge?

Ja, kann man sagen. Manche waren auch nicht so gelungen. Unter dem Strich war aber alles ganz nützlich und spannend.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.