Türkische „Zaman“ in Deutschland: „Ich bin nur ein Zeitungsleser“

Seit 20 Jahren ist Şuayip Ileri Abonnent von „Zaman“. Ende November erscheint die letzte Ausgabe der Zeitung, die ihn sein Leben lang begleitet hat.

Männer in seltsamer Pose sitzen in einem Bus

Nur ein Leser, kein „Putschist“. Verhaftete Soldaten nach dem Putsch in der Türkei im Juli 2016 Foto: dpa

„Ich habe die Zaman immer abends gelesen, wenn ich von der Arbeit nach Hause kam“, erzählt Şuayip Ileri. Zuerst den Wirtschaftsteil, dann Kulturnachrichten, die Bildungsseite. Ein tägliches Ritual.

Şuayip Ileri heißt tatsächlich so: Şuayip Ileri. Er will nicht wie andere unter einem Pseudonym in den Medien auftauchen. „Ich habe keine Angst“, sagt Ileri, „ich bin nur ein Zeitungsleser.“ Der türkische Geheimdienst MIT interessiere sich sehr für die Liste mit den Namen aller Abonnenten. Aber dort wisse man ohnehin schon lange, dass er die Zaman abonniert habe.

Zwanzig Jahre lang ist Ileri schon Abonnent der Tageszeitung, die zum Netzwerk des islamischen Predigers Fetullah Gülen gehört. Und er ist auch Abonnent geblieben, als viele andere gekündigt haben. Aus Angst vor Schwierigkeiten in Deutschland oder bei der Einreise in die Türkei. Auf Facebook kursieren Beiträge mit den Namen von Abonnenten; sie werden bedroht. Andere User rufen zum Boykott von Supermärkten und Geschäften auf, die in der Zeitung Anzeigen geschaltet haben.

In die Türkei will Ileri derzeit lieber nicht fahren. Spätestens seit dem gescheiterten Putsch im Juli, für den Erdoğan die Gülen-Bewegung verantwortlich macht, ist das für ihn keine Option.

Mit seinem Vater in der Türkei telefoniert er. „Die Türkei ist fast am Ende, es kann nicht mehr viel schlimmer werden.“ Ileri ist erleichtert, in Berlin zu sein, hier lebt er mit seiner Frau und seinem Kind, das in die Kita geht. Innerhalb der türkischen Community allerdings fühlt er sich zunehmend isoliert. „Entweder du bist für die Heimat oder gegen die Heimat.“ Es gebe nur noch schwarz oder weiß. Man stehe auf einer bestimmten Liste oder nicht.

Die Zeitung: Der deutsche Ableger der türkischen Tageszeitung Zaman, übersetzt „Die Zeit“, galt nach Eigenangaben einst mit 30.000 Exemplaren als auflagenstärkste türkische Tageszeitung in Deutschland (erhältlich nur über Abonnements). Sie steht der Bewegung des islamischen Predigers Fetullah Gülen nahe, der von der Türkei für den gescheiterten Putsch im Juli 2016 verantwortlich gemacht wird.

Das Ende: Nach dem Putschversuch wurde die Mutterredaktion in der Türkei geschlossen, nun wird auch der deutsche Ableger bald eingestellt. Der Grund: Leser*innen werden bedroht, Anzeigen brechen weg.

Die Serie: Die taz begleitet die Redaktion in ihren letzten Wochen. Jede Woche erscheint eine neue Folge. Alle Folgen finden sie hier.

Ileri findet sich in dieser polarisierten Welt selbst nicht wieder.

Er sitzt in einem Konferenzraum in der Nähe des Berliner Gendarmenmarkts. Gepolsterte Stuhlreihen, ein Vortragspult, ein Flipchart. Die Wände sind kahl. Im dritten Stockwerk eines modernen Bürogebäudes mit Lichthof hat der Verein Forum Dialog seine Räume. Ileris Frau hält hier Vorträge und ist Mitglied im Vorstand der Bildungseinrichtung, die zur Gülen-Bewegung zählt. Ihre Anhänger nennen die Gülen-Bewegung selbst „Hizmet“, also „Dienst“.

Wenn Şuayip begeistert von „unserer“ oder „meiner“ Zaman erzählt, dann klingt es so, als spräche er über ein Familienmitglied. Dann liegt aber auch wieder ein aktivistischer Ton in seiner Stimme. „Ich bin Zaman-Abonnent, das bedeutet, ich unterstütze die Zeitung“, sagt Ileri. „Die Zaman ist nicht nur eine Zeitung, sie hat auch eine soziale Aufgabe.“ Ihre Werte bilden einen Dreiklang: „Dialog, Toleranz, Respekt“.

Leben in Unordnung

Auch seine Frau habe ein eigenes Abo, erzählt er. Auf der Website kann man es für 25 Euro im Monat bestellen. Die Zaman wird in Deutschland seit 1990 als Abonnementzeitung vertrieben. „Die Zeitung ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Sie hat mir dabei geholfen, wie ich in der Welt leben soll.“

In diesem Jahr ist sein Leben in Unordnung geraten. Bis vor Kurzem hat Ileri in der Marketingabteilung der türkischen Fluggesellschaft Turkish Airlines gearbeitet. Dann hat man ihm gekündigt. Zurzeit klagt er vor einem Berliner Gericht gegen die Kündigung. Die Turkish Airline gehört zu 49 Prozent dem türkischen Staat. Im Sommer entließ sie nach dem Putschversuch in der Türkei auf einen Schlag über 200 ihrer Mitarbeiter. Die Kündigungswelle hatte die Fluggesellschaft damals auch damit begründet, dass die Mitarbeiter Verbindungen zur Gülen-Bewegung gehabt hätten.

Ileri wiederholt zum Abschied die Prinzipien wie ein Mantra, als könne er sich daran festhalten: „Dialog, Toleranz, Respekt.“ Er hofft, dass die Zaman ab November im Internet weiterexistieren wird. Dann läuft in Offenbach die letzte Ausgabe der Zeitung durch die Druckerpressen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.