US-Musiker David Grubbs: Geistesblitze aus der Gitarre

Der New Yorker David Grubbs ist Avantgardemusiker und Gitarrist. Die ungewohnte Paarung prägt sein neues Album „Prismrose“. Nun kommt er auf Tour.

Eine Gitarre, viele Ideen: David Grubbs Foto: John Foster

Ein Mann und eine Frau haben sich getrennt. Bevor sie auseinandergehen, wollen sie sich gegenseitig beweisen, dass sie sich wie Erwachsene benehmen können. Zum Beweis schaut sie noch im Wohnzimmer nach, ob die Zimmertemperatur dem Bonsaibäumchen zusagt. Er trägt Pokerface und blickt aus einem Fenster auf die New Yorker Brooklyn Bridge, an deren Sockel vor ein paar Jahren künstliche Wasserfälle angelegt wurden.

Angeregt von der Erinnerung nimmt er die Gitarre und beginnt aparte, zögernde Töne zu spielen. Sie klingen wie Gedanken von Jerry Garcia in der Komfortzone. Dies Szenario ist Teil des Stücks „Bonsai Waterfall“, das „Prismrose“, das neueste Album des umtriebigen US-Musikers David Grubbs beschließt.

Bevor der Musiker selbst einen Blick aus einem Fenster auf den East River werfen konnte, hat David Grubbs einen langen, höchst ertragreichen Weg zurückgelegt. Alles begann in Louisville, Kentucky, Anfang der Achtziger, als sich Grubbs im Teenageralter über eine militant sportliche Bewegung in der Musik namens Hardcore amüsierte.

Deren Anhänger verstanden darunter harte, verzerrte Gitarrenakkorde und hoch beschleunigte Drumrhythmen immer „schneller, härter, lauter“, wie es hieß, laufen zu lassen. Als Grubbs mit seinen Schulfreunden in Kentucky wieder aus dem Lachen rausgekommen war, begannen sie Parodien zu entwerfen. In einer Nacht stellten sie zwanzig Stücke fertig und nannten sich Happy Cadavers.

Sein Kopf wuchs

Mit 14 Jahren spielte Grubbs in seiner ersten Band Gitarre. Während er mit dem melodiö­sen Punkrock seiner zweiten Band Squirrelbait (Deutsch: Eichhörnchenköder) Platz für Seelenlandschaften schaffte, ging Grubbs aufs College. Sein Kopf wuchs, und seine dritte Band verbiss sich Ende der achtziger Jahre in Ernsthaftigkeit. Sie hieß Bastro und ließ mit Bass, Gitarre und Schlagzeug hart rockendem Groll freien Lauf. Bastro machten Stücke aus allem, was sie zur Weißglut brachte, sei es ein sich einmischendes Über-Ich, das sich abzeichnende Ende des Sozialismus oder schlechte Popsongs.

Grubbs befand sich in einer entsprechend aufgewühlten Stimmung, als er an die Universität nach Chicago wechselte, um englische Literatur zu studieren. Seine Freizeit wollte er mit Musik, Lesen und Schreiben ausfüllen. Manchmal befiel ihn regelrecht Angst, kostbare Stunden durch lästige Müdigkeit zu verschwenden; er trank zum Wachbleiben täglich wenigstens ein halbes Dutzend Becher Kaffee. Legte er zwischendurch etwa seine Gitarre oder die „Cantos“ von Ezra Pound zur Seite, um sich die nächste Kanne aufzubrühen, hörte er von draußen Geräusche, die das Fenster seiner Studentenbude vibrieren ließen.

Von Drumcomputern und Basssynthesizern geschickt, setzten sie in der Stadt, die schon von dem Prohibitionsgangster Al Capone, dem Bluessänger Muddy Waters und dem Film über den blaumachenden Schüler Ferris Bueller geprägt worden war, ein weiteres Zeichen der Zeit: Chicago House.

Grubbs und seine Mitspieler trafen sich von nun an seltener für Proben und stattdessen häufiger zu Besprechungen. Grubbs bekam erklärt, dass er zu viel von Poesie halte. Sobald er selber welche singe, klinge das nach Verkündigung: „Heute mache ich Worte und morgen mich selbst zum Diskursleiter.“ Und überhaupt wäre Ezra Pound ja nicht nur als Dichter aufgefallen, sondern auch als glühender Anhänger Mussolinis.

Ursuppe allem Postrocks

Der ergebnisoffene Schlagabtausch endete, als ein Bandmitglied entnervt in die Suburbs zog, um Wirtschaftsanwalt zu werden. Die anderen verwandeln sich in Fettaugen auf der Ursuppe aller Postrockbands, der Band Tortoise, um sich bis heute als erleichterte Instrumentalisten aufzuführen. Grubbs indessen fand sich Anfang der neunziger Jahre allein mit einer Akustikgitarre wieder. Er legte es nicht mehr auf eine weitere Band an, sondern traf sich mit Jim O’Rourke. Der beteiligte sich als musikalischer Handlungsreisender überall dort, wo sich Avantgarde und Rock verbündeten wie Yoko Ono und John Lennon.

Über mehrere Alben ventilierten O’Rourke und Grubbs fixe Ideen unter dem Namen Gastr del Sol. Rasant zerhackt und bis ins Kleinste organisiert brach Grubbs dazu in kurze Tonfolgen aus und kehrte dann einen Moment in die Stille zurück, um für die nächsten Ausbrüche Atem zu holen. Er spielte Gitarre wie Stockhausen Klavier spielte. So entstand Musik, die in der Luft hing und dort über den Ausblick staunte. Die Musik kehrte auf die Erde zurück, als Grubbs Ende der neunziger Jahre Privatdozent in Brooklyn wurde und begann, Soloalben zu veröffentlichen.

David Grubbs: „Prismrose“ (Dragcity/Rough Trade)

live: 9. Oktober Berlin „West Germany“, 11. Oktober Hamburger „Westwerk“, 12. Oktober Düsseldorf „Filmwerkstatt“, 13. Oktober Köln „Loft“

„Prismrose“ erzählt nun Stück für Stück vom letzten gemeinsamen Abend des oben erwähnten Paars. Das erste besteht aus einzeln stehen gelassenen Tönen und verweist schon im Titel auf die geminderte Bereitschaft, sich gegenseitig zuzuhören: „How to hear less than meets the ear“ . In „Cheerie Eh“ unternimmt Johann Sebastian Bach mit gezupfter E-Gitarre einen letzten Versuch, die Stimmung des Paars zu lockern.

Ein „Learned Astronomer“ mischt sich mit gesungenen Worten wie von einem Zen-Buddhisten ein, der Sterne beobachtet: „Von Zeit zu Zeit schaue ich in die perfekte Stille.“ In „Nightfall in the covered age“ fliegen Rückkopplungen vorbei wie Meteoriten. Dann erhellt die hereinbrechende Nacht ein Geistesblitz: Die Katastrophe liegt hinter dem Paar, das ab jetzt Gefahr läuft, in seiner eigenen Vergangenheit zu leben. Oder in einer seltsamen Blume, einer Prism­rose.

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