Übernahme der „Abendzeitung“: Rückenschule statt Champagner

Der konservative Verleger Martin Balle kauft die insolvente „Abendzeitung“. Er will sie zu einem Boulevard-Heimatblatt umbauen. Der Chefredakteur geht.

Stolze Käufer: Martin Balle (rechts) und Dietrich von Boetticher. Bild: dpa

MÜNCHEN taz | Zum Aufmacher hat die eigene Rettung nicht gereicht. Am Mittwoch titelte die Abendzeitung (AZ) mit dem großen „Rückenreport“, daneben ein nackter Frauenrücken, wie es sich für eine Boulevardzeitung gehört. Erst auf Seite 27 im Kulturteil behandelte sie die eigene Rettung wenig euphorisch. Dabei setzte am selben Tag der Verleger Martin Balle seine Unterschrift unter einen Kaufvertrag, der die Zukunft der ältesten Boulevardzeitung Deutschlands retten soll.

Martin Balle, 50 Jahre alt, führt seit 1995 die Geschäfte der Mediengruppe Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung, die 14 Regionalzeitungen herausgibt. Er hatte sich gegen Konkurrenten wie Verleger Dirk Ippen, der die Münchner Zeitungen Münchner Merkur und tz herausgibt, und den Süddeutschen Verlag durchgesetzt. Beide hatten nur Angebote für den erfolgreichen Onlineauftritt abgegeben.

Vor allem die Süddeutsche hatte großes Interesse, da die Onlineangebote von AZ und SZ seit 2011 gemeinsam vermarktet werden. Fast 17 Prozent der Reichweite des SZ-Portals gingen auf die Kappe von abendzeitung.de. Die Kooperation solle aber bestehen bleiben. Frank Elsner, Sprecher des Insolvenzverwalters der AZ, sagte: „Die SZ hat kein Problem mit Herrn Balle.“

In der Redaktion der Abendzeitung hingegen dürfte Balle nicht bei allen gut ankommen. Zwar sieht der neue Verleger mit braun gebranntem Gesicht und schickem Anzug nicht aus wie ein Provinzkönig. Auch ist ihm die Großstadt nicht fremd – er hat eine Zweitwohnung in München und hospitierte in den Neunzigern selbst bei der AZ. Dennoch gilt sein Straubinger Tagblatt als konservativ und bodenständig.

Die Abendzeitung aber ist Glamour und Großstadtrausch. Sie war Vorlage für die Fernsehserie „Kir Royal“, in der Klatschreporter Baby Schimmerlos mit Föhnfrisur bei den Mächtigen und Schönen der Stadt Champagner schlürft. Sie war aber auch immer politisch. Unvergessen die Titelzeile „Grüß, Gott, Herr Strauß, jetzt gibt’s Ärger“, mit der die Redaktion den übermächtigen bayerischen Landesvater aus dem Urlaub begrüßte.

Kritische Stimme soll bleiben

Balle versichert, die „kritische und selbstbewusste Stimme“ der AZ erhalten zu wollen. Außerdem gibt es ja noch den Münchner Wirtschaftsanwalt Dieter von Boetticher, der Mitherausgeber wird. Er hat sich mit einem Minderheitsanteil am Kauf beteiligt und soll laut Balle gut zur politischen Ausrichtung der AZ passen.

Trotzdem solle die neue AZ unter ihm ein „Boulevard-Heimatblatt“ werden, das sich vor allem an Familien richtet und Veranstaltungstipps bietet. Zumindest Chefredakteur Arno Makowsky scheint damit nicht viel anfangen zu können. Der Süddeutschen Zeitung sagte er: „Ich bin nicht der Mann fürs Heimatgefühl.“ Er wird die Redaktion verlassen.

Mit ihm werden noch mehr Mitarbeiter gehen müssen. Nur rund 25 der 102 Mitarbeiter sollen übernommen werden. Der Großteil von ihnen will einer Transfergesellschaft beitreten, die ihnen für mindestens vier Monate ein Auskommen sichert, das höher als das Arbeitslosengeld ist. Balle will eben nicht nur ein „Zeichen für die gedruckte Zeitung“ setzen, sondern das Blatt auch endlich „profitabel führen“.

Anfang März hatten die Eigentümer der AZ den Insolvenzantrag gestellt. Seit 2001 ist der Verlust auf 70 Millionen Euro angewachsen. Balle will die Kosten auf ein Drittel senken, indem er die Ressourcen des Straubinger Tagblatts nutzt. Das Blatt soll in Straubing gedruckt werden und das kleine Berliner Format bekommen. Auch der Inhalt soll schrumpfen: Nur Lokales und Feuilleton bleiben in München, Politik und Wirtschaft werden in Straubing verfasst.

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