Überwachung von Nukleartests: Bombenalarm bei Bischofsreut

Was hat die hinterste Ecke des Bayerischen Waldes mit Nordkoreas Diktator Kim Jong Un zu tun? Professor Bönnemann kennt die Antwort.

ein Mann beugt sich über einen Betonschacht im Wald

Christian Bönnemann beugt sich über einen Schacht, in dem sensible Elektronik Erdbewegungen misst Foto: Tobias Köhler

BISCHOFSREUT taz Am Morgen um 5.30 Uhr ist es im Bayerischen Wald still und finster. Dieser 3. September, ein Sonntag, lässt sich ausgesprochen ruhig an, so wie meistens. Vom Bayerischen Wald bis nach Nordkorea beträgt der Zeitunterschied sechseinhalb Stunden. Im Land Kim Jong Uns geht es um diese Zeit weniger gemütlich zu.

Um 12 Uhr mittags lässt der Diktator eine Atombombe zünden. Es donnert gewaltig unter dem Mantap-Berg im Nordosten des isolierten stalinistisch-diktatorisch geführten Landes. Es ist der sechste Atomtest Nordkoreas seit 2006, und der bei weitem stärkste. Die Sprengkraft der Bombe beträgt mehr als einhundert Kilotonnen. Zum Vergleich: Die Atombombe von Hiroshima besaß 15 Kilotonnen Sprengkraft.

Hoch auf einem Berg im Bayerischen Wald endet die Geruhsamkeit kurz darauf. „Zwölf Minuten später“, erzählt Christian Bönnemann, „war es mit der Ruhe vorbei.“ Bönnemann ist Professor und leitet das Fachgebiet Seismologie bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) im niedersächsischen Hannover.

Die unterirdischen Wellen des Atomtests haben die Messstation auf dem Sulzberg im Bayerischen Wald erreicht und werden dort registriert. Das System schlägt Alarm. Kim Jong Un, der dicke Diktator aus dem Schreckensland, hat sich erneut in die Weltpolitik gebombt. Auf dem Sulzberg hat man das schnell gemerkt.

Mitten im Wald, nahe des 500-Einwohner-Ortes Bischofsreut, liegt die Anlage. „Für die Überwachung des internationalen Kernwaffenteststopp-Vertrages ist sie immens wichtig“, sagt Bönnemann. Auf schmalen Wegen fährt man herauf zu dem mit dunklem Holz vertäfelten Haus, ab und zu stößt man auf Wanderer. Es könnte eine Übernachtungsherberge sein oder eine idyllisch gelegene Gastwirtschaft, hier oben in 1.146 Metern Höhe. Doch es ist die Zentrale der Station.

Das Herzstück und die Datensammler tief im Wald

Christian Müller, ein Geoinformatiker von der Hannoverschen Bundesanstalt, führt in einen dunklen Raum. Darin stehen mehrere Rechner, sonst kaum etwas, es wirkt alles ausgesprochen unspektakulär. „Das ist das Herzstück“, sagt Müller, „hier laufen alle Datenelemente zusammen.“ Das heißt: Rumst, donnert und knallt es irgendwo auf der Erde, auch etwa bei Erdbeben oder durch Meteoriteneinschläge verursacht – diese Zentrale nimmt das wahr. Auf die Rechner haben all jene einen direkten Zugriff, die das im Falle von Atomtests wissen müssen. Dazu gehört die Geo-Bundesanstalt in Hannover ebenso wie die in Wien angesiedelte Organisation zur Überwachung des Verbots von Nuklearversuchen.

„Als Kim Jong Un den Test zündete, lösten die Leute in Wien eine Stunde später den Alarm aus“, erzählt Christian Bönnemann, 6.42 Uhr war es da. Um sieben Uhr wiederum ging die Information an das Auswärtige Amt in Berlin.

Wenn es irgendwo in der Welt rumst, hier bemerkt man es zuerst

Das Herzstück, das Computergehirn auf dem Berg, wäre nichts wert, gäbe es keine Lieferanten von Informationen, keine Datensammler von Wellen unter- und oberhalb der Erde. Diese sind rundherum in das Waldgelände hineingebohrt. Zu ihnen kommt man nicht mehr mit dem Auto hin, man muss querfeldein in den ziemlich schummrigen Wald über abgefallene, knisternde Äste und feuchtes Laub laufen. Dann stößt man auf die mit rundlich gewölbten Deckeln verschlossenen Luken. Das ist der Einstieg in den Schacht, der hinab führt, fünf Meter unter die Erde. Dort ist es voll mit Technik und eng, zwei Leute passen kaum hinein. „Hier sind die hoch sensiblen Messgeräte“, sagt Christian Müller, der Geoinformatiker.

26 solcher seismologischen Minibunker aus Beton sind im Berg vergraben, in einem Radius von zwei Kilometern. Sie messen unterirdische Erdbewegungen. Hinzu kommen acht Infraschallstationen, die oberirdisch sehr tiefe Frequenzen erkennen – also Töne, die so tief sind, dass Menschen sie nicht hören können. Dem 58 Jahre alten Bönnemann, ein agiler Typ, den seine Arbeit fasziniert, kommt da der Meteoriteneinschlag im Ural im Februar 2013 in den Sinn. Ein Himmelskörper war über der Stadt Tscheljabinsk mit ihren 1,1 Millionen Einwohnern explodiert, es gab rund 1.500 Verletzte. In Bischofsreut ist das natürlich registriert worden. Und zwar ziemlich genau, erzählt Bönnemann begeistert: „Die von uns gemessene Welle ist innerhalb von 40 Stunden zwei Mal um die Erde gesaust.“

Vom Kalten Krieg zur Nukleartestüberwachung

Warum aber der Sulzberg im Bayerischen Wald, Landkreis Freyung-Grafenau? Das ist fast schon Niemandsland, eine wirtschaftlich schwache Gegend mit wenig Infrastruktur, so ziemlich im letzten Eck Deutschlands gelegen. Die Straßen sind eng und gewunden. Die Menschen, die „Waldler“, sind konservativ. Bis zur tschechischen Grenze sind es nur zwei Kilometer, Österreich ist auch nah. In die nächste größere Stadt, nach Passau, braucht man mit dem Auto dagegen eine Stunde.

Im Kalten Krieg stand auf dem Sulzberg eine militärische Überwachungsanlage in Richtung der damaligen Tschechoslowakei. Christian Müller zeigt in der Station 30 Jahre alte Seismografen, die dort eingelagert sind, auf den Kisten steht „US-Government“, US-Regierung. Als der Eiserne Vorhang fiel, wurde der Standort frei für die Hannoveraner Geowissenschaftler.

Bestens geeignet ist der Ort aus mehreren Gründen: „Die ruhige Lage ist wichtig“, sagt Christian Bönnemann, „wir sind hier weit weg von Industrieanlagen, Verkehr und anderen Störungsfaktoren.“ Im Wald, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Zudem bietet der harte Untergrund aus kristallinem Gestein wie Granit beste Bedingungen für die Leitung von seismologischen Wellen.

„Ich bin da, wenn’s brennt“

Unten in Bischofsreut steht Thomas Madl in seinem Edeka-Markt und sortiert Gemüse ein. Madl, dessen Familie den Laden schon über Generationen betreibt, ist eine wichtige Person für die Messstation. „Ich bin da, wenn’s brennt“, sagt er. Eine Art vor Ort ansässiger Hausmeister, der „Care-Taker“, wie es Christian Bönnemann bezeichnet. Madl, 52 Jahre alt und mit Schnauzbart, ist der einzige Einheimische, der die Schlüssel hat. Für die Türen am Zaun der Messstation, für das Innere und die einzelnen Schächte. Vier BGR-Angestellte kümmern sich von Hannover aus um die Station, machen alles digital – per Computer und Kameras. Doch in Bischofsreut sind sie nur für zwei Wochen im Jahr, ansonsten ist Thomas Madl zuständig.

„Ich räume den Schnee“, sagt er, „und repariere, wenn etwas kaputt ist.“ Er füllt Diesel nach, damit die Stromaggregate funktionieren, bei Gewitter kümmert er sich um die Sicherungen. Mal musste er einen Monteur herausholen, der sich eingesperrt hatte. Alle erinnern sich noch daran, als Diplomaten und andere hohe Herrschaften aus Wien von der Nukleartest-Überwachungsorganisation zu einem Empfang anreisten.

Madl organisierte das Buffet vor dem Haus, die Zelte und Sitzgelegenheiten. Auch der Blutwurz fehlte da nicht, ein Kräuterlikör aus dem Wald mit bis zu 60 Prozent Alkohol. „Herr Madl ist unsere gute Seele“, sagt Bönnemann. „Ich bin ja eh immer da“, meint der so Gelobte mit der Bescheidenheit des Waldlers.

Abschreckung vom Sulzberg funktioniert

Die Überwachung des Nukleartestverbots ist eine komplizierte Angelegenheit der internationalen Politik. Der Kernwaffenteststopp-Vertrag ist nicht überall in Kraft. Wichtige Länder haben das Abkommen nicht ratifiziert – darunter China, Indien und Pakistan, der Iran, Nordkorea und auch die USA. Dennoch hat die Wiener Organisation ein System aufgebaut, um Atomtests zu entdecken – unter der Erde, im Wasser und in der Luft. „Das ist eine wirksame Abschreckung“, sagt Professor Bönnemann.

Die Anlage auf dem Sulzberg ist eine von weltweit insgesamt 32, die für die Wiener Organisation arbeiten. Sie ist vielleicht die wichtigste, für Wien ist sie die am nächsten gelegene. „Und unsere Messungen sind schon sehr präzise“, ist sich Bönnemann sicher.

Nachdem am 3. September das Auswärtige Amt informiert ist, gibt es gleich am Vormittag einen vorläufigen Bericht und eine Pressemitteilung. Am nächsten Tag kommt der südkoreanische Generalkonsul von Hamburg nach Hannover, um bei den Spezialisten nachzufragen, was der Nachbar gemacht hat. „Die Detonation war auf jeden Fall sehr stark“, sagt Christian Bönnemann. Man könne aber weiterhin nicht sagen, ob es sich um eine so genannte geboostete Bombe gehandelt hat, deren Sprengkraft durch das Beimischen weiterer Stoffe erhöht wurde – oder, wie von Nordkorea behauptet, um eine noch weit gefährlichere Wasserstoffbombe.

Für die Forscher und ihre Messstation im Bayerischen Wald ist der große Knall in Südkorea sehr ergiebig. „Von Mal zu Mal können wir die Apparate immer genauer anpassen, die Erkenntnisse werden immer besser“, meint Bönnemann mit dem Eifer des Forschers. „Unfreiwillig war das für unsere Arbeit sehr interessant.“ Doch der Professor sagt auch: „Das Fernziel ist das Ende von Nukleartests und eine Welt ohne Atomwaffen.“

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