Umstrittene Heimpolitik: Hamburg will Jugendliche stören

Hamburg betreut schwierige junge Flüchtlinge jetzt im Industriegebiet. Es gibt Restriktionen, aber kein Schloss. Bremen plant geschlossenes Heim für diese Gruppe.

Seit Donnerstag leben junge Flüchtlinge auf diesem Platz in Containern. Bei Fehlverhalten bleiben die Gemeinschaftsräume für eine Zeit tabu. Bild: Jonas Walzberg

HAMBURG taz | Freitagabend am Bullerdeich 6. Ein Wachmann in schwarzer „Securitas“-Kluft patrouilliert vor dem Tor des früheren Recyclinghofs. Im erleuchteten Pörtnerbüro sitzen zwei weitere Wachleute. Im Hof geht ein Junge im blauen Pulli über den Platz. Ob es gut laufe? „Ja und nein“, sagt der Wachmann. Man habe ja gerade erst eröffnet, „mit neuem Konzept“.

Hinter der Auffahrt befindet sich ein zweiter Zaun, dahinter stehen acht graue Container. Das Zuhause für zwölf minderjährige Flüchtlinge, die am Donnerstag hier einzogen. Im Haupthaus aus gelbem Klinker ist ein Mitarbeiterbüro hell erleuchtet. Die Fenster dazwischen liegen im Dunkeln und sind von innen vergittert. In westlicher Richtung ist eine große Fabrik mit Rohren und Stahltanks zu sehen. Es ist eher eine Kulisse für einen Science-Fiction-Film als für ein Jugendheim - mit Absicht.

Bei Fehlverhalten kein TV

„Das ist keine schöne Gegend“, sagt Sozialbehördensprecher Marcel Schweitzer. Wenn sie lernten, sich an Regeln zu halten, kämen die Jungs woanders hin. Es seien Jugendliche, die sich zum Teil seit Jahren auf Europas Straßen durchschlagen. Sie hätten keine Bezugspersonen und entzögen sich jeder Ansprache, seien kriminell auffällig geworden und konsumierten Drogen. Das Ziel sei, sie „im Verharren in ihrer Lebenssituation zu stören“. Die Gemeinschaftsräume, in denen gegessen, gekickert oder TV geguckt wird, sind nur zu festen Zeiten am Tag zugänglich. „Bei Fehlverhalten kann der Zugang verweigert werden“, sagt Schweitzer. Spiele oder Fernsehen seien dann nicht möglich. Außerdem werden die Jungen bei Verdacht auf Drogen oder Waffen kontrolliert.

Die Einrichtung hat 20 Plätze. Neben vier Pädagogen und den Wachleuten arbeiten dort zehn „Sprach- und Kulturmittler“, die zum Beispiel Arabisch sprechen und sich mit dem Kulturkreis der Jungen auskennen. Jeder Betreute soll regelmäßig sein Verhalten reflektieren. Tut er das, werde es belohnt, macht er es nicht, werde es nicht sanktioniert, sagt Schweitzer. Die Türen blieben offen, auch nachts. Abschließen dürfe man gar nicht.

Also können die Jungen zu Fuß die 800 Meter zum nächsten S-Bahnhof gehen. Ein geschlossenes Heim ist dies nicht.

Auch in Bremen gibt es eine Gruppe minderjähriger Flüchtlinge, von denen es heißt, sie hätten lange auf der Straße gelebt und seien nicht zugänglich. Der rot-grüne Bremer Senat plant ein geschlossenes Heim und führt mit Hamburg Gespräche für eine Kooperation. Man wolle Freiheitsentziehung „zeitlich begrenzt für ganz spezielle Jugendliche“, sagt Bernd Schneider, der Sprecher der grünen Sozialsenatorin. So ein Heim sollte „nicht für mehrere Monate geschlossen sein“, ergänzt die Grüne Politikerin Linda Neddermann. „Zum Beispiel, wenn ein Entzug passiert, dass man sagt, du darfst nachts nicht raus“. Darauf angesprochen, dass Hamburg für eben jene Zielgruppe eine zwar restriktive, aber offene Lösung versucht, sagt Schneider, „Ich meine, Hamburg hat eine andere Zielgruppe.“

Individuelle Lösungen

Was beide Städte unterscheidet: Bremen hat die Wahlen am 10. Mai vor sich, Hamburg hat sie gerade hinter sich. Am Montag verhandeln dort SPD und Grüne über das strittige Thema. Die Sozialbehörde soll ein Papier vorlegen für eine Zusammenarbeit mit Bremen. Dabei kommt Bremen seit Jahren ohne solche Heime aus, hat Erfolge mit der „intensiven sozialpädagogischen Einzelfallhilfe“ (ISE), bei der Jugendliche in eigenen Wohnungen betreut werden. „Ich weiß, dass dies bei deutschen und bei migrantischen Jugendlichen funktioniert“, sagt Christoph Knievel vom Träger Brigg. „Warum soll es nicht auch bei diesen Jugendlichen klappen?“

Auch in Hamburg hat es seit einem Jahr keine geschlossene Unterbringung mehr gegeben, weil ein Trägerverbund sich um individuelle Lösungen kümmert. Das sei viel sinnvoller, sagte der frühere Jugendhilfe-Abteilungsleiter Wolfgang Hammer bei einer Anhörung in Hamburg-Altona. Denn ein Erfolg geschlossener Heime sei nicht bewiesen.

Man sei gar kein Befürworter geschlossener Heime, sagte dort der Leiter des Amts für Familie Uwe Riez. „Wenn wir 2015 und 2016 auch null Fälle haben, dann ist es eben so“. Es sei aber nicht schlau, dies „ohne das Ansehen von Einzelfällen“ auszuschließen. Deshalb hätte Hamburg gern Plätze in Bremen.

Das Thema trifft einen Nerv bei den Hamburger Grünen, die gegen geschlossene Heime sind. Als Trost gilt nur die Kunde, dass Bremen die Hamburger Problemfälle gar nicht will.

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